So 4jährig – Warum Eltern mit dem richtigen Ohr zuhören sollten

An manchen Tagen habe ich das Gefühl, meine Kinder entspringen einem Lehrbuch. Nicht einem darüber, wie wunderbar und leicht und wohlerzogen Kinder sein können. Sondern einem Lehrbuch über all die Dinge, die Eltern nun einmal auf ihren Elternweg mit Kindern begegnen. Bei dem Baby sind es die typischen Babyentwicklungsphasen, bei dem Schulkind natürlich all die Schulerlebnisse, von denen von allein los gehen über Pausenhofreibereien bis Schummeln nichts ausgelassen wird. Und bei meinem Mittelkind sind es die ganz typischen Erlebnisse mit einem vierjährigen Kind zwischen mangelnder Impulskontrolle, eigenem Willen, Stürmen im Kopf und emotionalen Entladungen.

„Ich will das nicht! Aber ich will das andere auch nicht!“ „Ich kann das nicht mehr!“ „ICH WILL NICHT!“ „NEIN, Du!“ Es sind immer wieder diese Sätze in verschiedenen Situationen. Sätze, die den Alltag nicht unbedingt leichter machen. Für keinen von uns. Denn so sehr ich durch sie gestresst bin, so sehr ich mich gerade ein anderes Verhalten wünsche, denke ich doch auch daran: Warum ist das jetzt so? Warum reagiert mein Kind so? Und auch: Wie anstrengend das für mich ist – aber wie anstrengend ist es eigentlich für mein Kind?

Denn auch wenn es manchmal anders aussieht oder besser gesagt, wenn wir Erwachsenen den Eindruck haben, dass unser Kind es anders meinen könnte: Unsere Kinder wollen uns nicht verärgern. Sie sind auf uns angewiesen, auf unsere Liebe und Zuwendung. Sie brauchen uns noch sehr sehr lange für ihr Überleben und würden nicht absichtlich etwas tun, das ihre Versorgung durch uns gefährden könnte. Im Gegenteil: Sie tun etwas, um ihre Versorgung zu verbessern. Sie drücken ein Bedürfnis aus. Leider verstehen wir es allzu oft nur nicht richtig.

Wenn wir unserem Gegenüber etwas mitteilen, hat das einen bestimmten Inhalt, eine Absicht, die wir ausdrücken wollen. Friedemann Schulz von Thun hat einmal von einem Vier-Seiten-Modell einer Nachricht gesprochen: Ein und derselbe Satz kann einen Sachinhalt transportieren, eine Selbstoffenbarung sein, ein Appell oder etwas über die Beziehung aussagen. Und wir Zuhörenden hören auch mit entsprechenden Ohren. Leider passiert es oft, dass wir als Erwachsene die Aussage unseren Kindes falsch interpretieren – also mit dem falschen Ohr zuhören. Wir hören meist, weil uns das immer wieder eingeredet wird, heraus, dass es um Macht gehen müsse und das Kind versuchen würde, zu bestimmen. Wir interpretieren auf der Beziehungsebene und manchmal denken wir auch, dass es sich schlichtweg um Appelle unseres Kindes handelt.

Doch tatsächlich sagen uns unsere Kinder ganz oft etwas über den Sachinhalt oder geben eine Selbstoffenbarung – nur interpretieren wir sie viel zu oft falsch. Denn unsere Kinder sind vor allem noch eins: Kinder. Sie können sich noch nicht ausdrücken wie wir, sie denken noch anders. Sie wollen uns nicht verärgern, sondern uns ernsthaft mitteilen, dass sie vielleicht erschöpft sind vom Tag und nicht mehr laufen können, weil ihre kleinen Füße sie nicht mehr tragen. Vielleicht sind sie auch erschöpft davon, sich den ganzen Tag auf die ein oder andere Weise sozial angestrengt zu haben und fühlen sich nun bei uns sicher und angekommen, um die Anspannung los zu lassen. Sie wollen uns nicht ärgern, sondern einfach entspannen. Sie legen all ihr Gefühl in diese Äußerungen und wünschen sich, dass wir sie einfach verstehen.

Das gelingt vielleicht nicht immer. Auch mir nicht. Aber ich übe mich darin. Ich versuche jeden Tag, mit dem richtigen Ohr hinzuhören oder mich zu fragen, welches Ohr nun hinhören sollte und was mein Kind mir eigentlich sagen möchte. Nicht das, was wir als allererstes denken, ist immer das richtige. Es kann helfen, in diesen Momenten kurz inne zu halten und sich zu fragen: Was höre ich da gerade, aber was könnte es eigentlich auch heißen?

Manchmal können wir dem Bedürfnis unseres Kindes nicht nachkommen, können nicht alle Wünsche erfüllen. Aber manchmal schon. Und wenn wir es nicht können, tut es zumindest gut, dass wir mit dem richtigen Ohr zugehört haben, denn so können wir auch wirklich auf das Bedürfnis unseres Kindes antworten und ihm sagen: „Ich verstehe, dass Du jetzt gerade jenes möchtest, aber leider geht es jetzt nicht.“ Eine solche Antwort – auch wenn sie negativ ist – lässt unser Kind verstehen, dass wir es verstanden haben. Eine solche Antwort unterstellt keinen Machtkampf und behindert nicht unsere Beziehung. Und darauf kommt es an diesen Tagen an: Es geht nicht darum, wer Recht behält oder sein Bedürfnis durchsetzt, sondern darum, überhaupt richtig gehört zu werden. – Etwas, was wir uns doch eigentlich immer alle wünschen.

Eure

4 Kommentare

  1. FrauH_ausDA

    Sehr wahr. Merke ich auch bei unserem noch etwa kleineren Mittelkind (knapp 3) häufig. Wenn ich das Bedürfnis oder den Wunsch partout nicht erkennen oder erfüllen kann, biete ich immer einfach an, es im den Arm zu nehmen. In 90% der Fälle wird das angenommen und nimmt irgendwie das negative aus der Situation…
    Schöner Text, Danke!

  2. Maria von OstSeeRäuberBande

    Oh ja. Wir haben hier auch ein beinahe 4-Jähriges Mittelkind, auf welches deine Beschreibung wunderbar passt. Er meint es nicht böse, er will uns etwas mitteilen ist zwar klar, trotzdem sind wir meist ratlos, was es eigentlich ist. Einen Moment ist alles in Ordnung, im nächsten Moment schreit er seine Geschwister an, haut und beißt und keiner weiß warum. Er selbst meist auch nicht so genau, behauptet nicht´s gemacht zu haben. Natürlich war da was, eine Ursache und eine fehlgeschlagene Kommunikation. Doch wie soll man etwas beantworten, wenn man es nicht gehört hat? Wir arbeiten an Extraaufmerksamkeit in anderen Situationen, vielen körperlich wilden Tobespielen und Hilfe/Trost wenn wieder etwas passiert ist – für beide Parteien. Aber leicht ist es nicht. Und besser wird es so auch gerade nicht. Trotzdem schön, dass es nicht nur bei uns schwig ist.
    Viele Grüße,

    Maria von OstSeeRäuberBande

  3. Sandy-Jane Meyer

    Das hast du ganz toll geschrieben! Genau so ist es! Ich habe an einem „Starke Eltern, starke Kinder“ Kurs teilgenommen wo wir unter anderem über genau dieses Thema sprachen. Aktives zuhören ist so wichtig und auch wenn es den meisten ganz klar ist, vergisst man es manchmal einfach. Wie heißt es so schön: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr! Da ist es wichtig sich mal wieder Rat zu holen um besser auf das Kind eingehen zu können.
    Liebe Grüße,
    Sandy

  4. Wilde Wölfin

    Das liebe ich wirklich sehr an deinem Blog! Ich finde dort so oft genau die Antworten, die ich gerade brauche – wie diesen tollen Beitrag. Und wieder kann ich nur sagen: Danke! Ein Augenöffner <3

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