An manchen Tagen bin ich zugleich verwirrt und traurig über die Dinge, die ich lese. Dies geht mir gerade so, wenn ich Artikel über Vater- und Mutterrollen lese oder Kommentare zu verlinkten Artikeln. Ich ganz persönlich denke nicht, dass es bestimmte Vater- oder Mutteraufgaben gibt. Denn wenn wir diese Dinge, die wir als Aufgaben betrachten, aus Sicht des Kindes betrachten, geht es in erster Linie darum, einem Menschen ein Bedürfnis zu erfüllen – unabhängig davon, wer wir sind und wer er oder sie ist.
Ein Kind ist ein Kind. Ein Kind hat Bedürfnisse wie wir Erwachsenen auch. Doch da es viele der Bedürfnisse nicht selbst befriedigen kann, ist es auf andere Menschen angewiesen. Auf uns als Eltern, als Bindungspersonen. Wir sind da, um die primären Bedürfnisse unseres Kindes wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Je kleiner das Kind ist, desto wichtiger ist das prompte Reagieren auf diese Bedürfnisse und überhaupt die Wahrnehmung selbiger. Sichere Bindung entsteht da, wo wir verlässlich sehen und reagieren. Sichere Bindung entsteht unabhängig vom Geschlecht des Gegenübers.
Wenn ein Mensch uns gegenüber ist und signalisiert, dass er Hilfe braucht, ist es unsere Aufgabe, zu helfen. Wenn ein Baby zeigt, dass es eine frische Windel braucht, dass es Nahrung braucht, dass ihm kalt oder warm ist und es mehr oder weniger Wärme benötigt, müssen wir darauf reagieren – egal ob wir Vater sind oder Mutter. Zu diesen Grundbedürfnissen gehört auch das Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung durch eine Bindungsperson. Wir Eltern nehmen unsere Kinder auf den Arm, wiegen sie darin, sprechen mit sanfter Stimme zu ihnen. Wir Eltern sind einfach Eltern. Wir sind Menschen und zeigen mit jeder Reaktion auf unser Kind einfach Menschlichkeit. Wir sind nicht „bessere Menschen“ für unsere Kinder, weil wir weiblich oder männlichen Geschlechts sind. Wir sind dann gute Menschen, wenn wir einfach menschlich und zugewandt sind, denn das ist, was Kinder brauchen.
Wie seht Ihr das?
Eure
Liebe Susanne,
ich sehe das ähnlich, denke aber auch, dass es in der Natur des Menschen liegt, Muster zu erkennen und „in Schubladen zu denken“. Insbesondere Kinder tun das, auch wenn sie schnell im Überdenken ihrer eigenen Thesen sind und deshalb Personen/Verhaltensweisen gern mal „umsortieren“. Etwas, das man angeblich im zunehmenden Alter nicht mehr so gut kann.
Die Mutter – oder Vaterrollenbilder kommen mit Sicherheit in gewisser Weise auch automatisch im Kind zustande, will ich damit sagen. Sie erleben z.B. „Papa macht immer das“, oder „Ist immer so“ (Humorvoll, Lacht viel oder ernst, streng…) und merken „Mama tröstet mich am schönsten“ oder „Macht sich hübsch und trägt Nagellack“ – schon sind in den Köpfen der Kinder Rollen angefertigt. Eine Rolle darf man nicht als strengen Titel verstehen, finde ich, sondern eben ähnlich wie im Theater. Es ist eben ein Stück, das wir für bestimmte Zeit (oder für immer) aufführen – die Kinder sind Zuschauer und ordnen unser Verhalten eben dem Stück nach zu. „Aha, die bringt mir sofort Essen, wenn ich quake“ oder „Der hat abends nochmal Lust zu toben“.
Das Problem ist vermutlich, dass wir Erwachsenen diesen Rollenverteilungen viel mehr beimessen, als das Kind es tut. Ich sagte ja: Kinder sind flexibel. Wenn Mama plötzlich die ist, die abends Lust zum Toben hat und Papa öfter zu Hause bleibt, und deshalb ganz neue Trösterqualitäten entwickeln kann, dann nehmen die Kids das sofort an. Theaterstück umgeschrieben, Rollen neu verteilt. Für uns Erwachsene ist das ein Riesenthema – für Kinder vermutlich egal: Am Ende zählt nämlich, das, was du geschrieben hast: Wer ist JETZT für mich da.
Oder, was meinst du?
P.S. Bin übrigens ein GROßER Fan deines Blogs, habe ihn erst letzte Woche entdeckt.
Danke für diesen schönen Beitrag. Wir sind zwei Frauen und bekommen in zwei Monate unser erstes Baby. Natürlich machen wir uns viele Gedanken über Rollenbilder und was unser Kind vorgelebt bekommt. Deshalb hat mir Dein Artikel sehr aus der Seele gesprochen – das Geschlecht bestimmt nun mal nicht die Rolle oder die Aufgaben.
Leider ist es meistens so, dass die Kinder wenn sie die Wahl haben, sprich wenn Papa und Mama beide anwesend sind, schon bei bestimmten Themen bevorzugt zu dem einen oder anderen gehen. Geschlechterrollen bekommen auch Kinder übergestülpt und verhalten sich dementsprechend ihren Eltern gegenüber. Deswegen sage ich zu meinen Kinder auch mal: Geh doch mal zu Papa damit, um IHM eine Chance zu geben, dieses Problem zu lösen. Das tue ich dann aber nicht, weil ich mein Kind abweisen will, sondern um ihm zu zeigen, dass auch der andersgeschlechtliche Elternteil (habe zwei Töchter) in dieser Situation ein Bedürfnis stillen kann, wenn man ihm eine Chance gibt.
Super Artikel. Du sprichst mir aus der Seele…