Das Loslassen begegnet uns Eltern immer wieder in verschiedenen Formen in unserem Elternleben. Manchmal sind es die kleinen Dinge, manchmal die großen. Manchmal fällt es leichter, manchmal so schwer. Manchmal scheint es, die Kinder würden mit einem großen Schritt vorwärts stürmen in ihr Leben und manchmal sind es nur die kleinen, die uns aber auch zeigen, dass sie sich fort bewegen von uns. Und immer hat es mit uns zu tun.
Das erste kleine Loslassen beginnt mit der Geburt. Aus dem Körper heraus der Sehnsucht nachspüren wie es war, die Bewegungen im Inneren zu spüren. Über die Bauchdecke zu streichen mit der eigenen warmen Hand und darunter das neue, kleine Leben zu spüren. Das Leben in einem selbst. Die unglaubliche Nähe, das Wunder und die Aufregung über den Menschen, der da heran wächst. Eines Tages lassen wir es los, lassen das Kind in die Welt kommen, immer behütet von uns, aber von nun an auch den eigenen Weg vor sich habend.
Das Loslassen ist es, wenn es seine ersten Bewegungen macht, die es fortbewegen. Wir beobachten, sehen lächelnd zu, wie es sich mühevoll und voller Anstrengung bewegt, sehen den Stolz in den Augen des Kindes, lächeln und doch sorgen wir uns auch: Wird es beim Rollen auf den Rücken nicht wieder mit dem Kopf so hart auf den Boden kommen? Wird es sich rückwärts unter das Sofa schieben und sich vielleicht weh tun, wird es ausrutschen oder bei den ersten tapsigen Gehversuchen das Gleichgewicht verlieren? Aber wir müssen dem Kind den Raum geben, sich zu erproben, seine eigenen Erfahrungen zu machen und daraus zu lernen. Loslassen bedeutet auch Freiheit geben.
Loslassen ist auch die erste Beikost. Nicht mehr nur gestillt oder mit künstlicher Säuglingsnahrung ernährt, sondern von der Süße und Würze probieren. Normale Nahrung zu sich nehmen, fast wie die Erwachsenen. Auch das ist es, was Loslassen bedeutet. Sehen: Mein Baby ist nicht immer Baby, es probiert sich an der Welt.
Das erste Mal allein lassen bei einem Babysitter, bei den Großeltern, bei einem Kind aus dem Kindergarten, die Eingewöhnung im Kindergarten überhaupt. Loslassen ist auch ein ganz konkretes Loslassen mit einem Verabschieden und Weggehen. Nicht lange, nicht andauernd, aber für einen Moment. Loslassen, sich trennen, vermissen, wieder zusammen kommen.
Manchmal sind es aber auch die gar nicht greifbaren Dinge, die wir los lassen müssen: Die Vorstellungen, die wir selber hatten. Eigene Pläne, die so mit Kind nicht umsetzbar sind. Vorstellungen treffen auf Vorstellungen. Mal muss das Kind von seinen Ideen abweichen, mal auch wir Erwachsene von unseren. Loslassen ist auch eine Kunst, über den eigenen Schatten zu springen.
Loslassen bedeutet, unseren Kindern die Möglichkeit zu geben, die zu werden, die sie sein möchten. Nicht die, die wir gern hätten. Wir führen sie nicht an unserer Hand durchs Leben sondern geben ihnen die Möglichkeit, allein über ein Seil zu tanzen. Wir geben ihnen einen Raum, in dem sie sich bewegen und entwickeln können und sie tun es darin auf ihre Weise. Sie brauchen den Raum, um sich selbst kennen zu lernen. Sie müssen von unserer Seite abweichen, um wirklich zu verstehen wer sie sind, was sie können und wohin sie wollen. Wir sind da, um ihnen im Notfall die Hand zu reichen. Wir sind auch da, um sie aufzufangen, um sie zu schützen und zu begleiten. Aber auf der anderen Seite sind wir auch dafür da, ermutigend die Hand einmal weg zu lassen, Vertrauen zu zeigen dadurch, dass wir sie lassen und auszudrücken: Du darfst Deinen Weg gehen.
Und was bedeutet das Loslassen für Euch?
Eure
„Du darfst seinen Weg gehen“ – wie sehr hätte ich mir diese Botschaft von meinen Eltern gewünscht. Ich hoffe, dass du viele Menschen erreichst, sie zum Nachdenken und Reflektieren anregst. Danke!
Loslassen heißt für mich:
Früher war das Lied „Das kleine Mädchen“ von Rheinhard Mey einfach nur ein gutes, schönes, wahres Lied – jetzt muss ich immer heulen, wenn ich es mit meiner Tochter zusammen am Klavier singe.
So ein wunderschöner Text! Danke. Für mich bedeutet Loslassen aktuell:meinem nur 5Monate alten Baby den Apfel essen zu lassen,es will unbedingt…und ich bin noch gar nicht so weit.
Ein sehr schöner Text! Mir fällt das Thema immer wieder auf, wenn ich Kommentare höre wie „sie werden so schnell groß“. Ja, sie werden groß und das ist toll, denn das ist die Kernkompetenz von Kindern: groß werden. Ich habe dazu neulich selber gebloggt, weil mir immer unterstellt wird, daß ich meine Kinder loslasse und (zu schnell?) groß werden lasse, weil ich alleinerziehend sei und keine andere Wahl hätte. Völliger Quatsch, denn das ist eine innere Haltung zum Kind, die ich auch hätte wenn ich einen Partner hätte. Ich erlebe es immer wieder, daß Kinder groß werden wollen, aber die Eltern sich schwer tun mit dem Loslassen, weil sie ihre „Babys“ noch nicht hergeben wollen. Dabei sind es nicht die Kinder, denen etwas nicht zugetraut wird, sondern die eigene Ängstlichkeit der Eltern, die am Loslassen hindert.
Und es ist nicht dieses „große Loslassen“ bei einschneidenden Erlebnissen wie Kita-Eintritt, Schulwechsel, etc, sondern genau wie Du schreibst, Susanne, das tägliche: jeden Morgen wenn meine Kinder das Haus verlassen und in ihren Tag ohne mich gehen, lasse ich sie los, und auch mir fällt das jeden Morgen ein wenig schwer. Und gleichzeitig bin ich irre stolz auf sie, wie selbstverständlich sie ihren Tag meistern und wir uns abends glücklich alle wiedersehen.
https://mutterseelesonnig.wordpress.com/2015/09/27/kinder-kernkompetenz-wachsen
Woher weiß man, ob es die eigene Ängstlichkeit ist, die am Loslassen hindert oder das tatsächliche Gespür dafür, dass das Kind noch nicht bereit ist.