Das Zurücknehmen oder Zurückhalten musste ich erst lernen. Früher war ich ein Mensch, der Dinge und Arbeiten direkt anging, ohne Umwege, ohne Abwarten. Zögern war für mich eher ein negativ bewertetes Wort. Im Laufe meiner Arbeit und besonders durch meine Kinder habe ich aber gelernt, dass gerade mit den Kindern, aber auch mit Schwangeren und Eltern, das Zurückhalten so wichtig ist. Es zeigt uns, wie andere einen Weg angehen, wie ein Problem behandelt wird und nicht zuletzt bei den Kindern ist der Weg oft mindestens genauso wichtig wie das Ziel.
„Hilfst Du mir beim Ausräumen des Geschirrspülers?“ frage ich meinen 2jährigen Sohn. Allein könnte ich es schneller, denke ich ganz kurz. „Möchtest Du das Holz durchsägen und ich halte es für Dich?“ frage ich meine 5jährige Tochter. Würde ich es allein machen, wäre der Schnitt wohl grader. „Willst Du Dir Deine Schuhe selbst anziehen?“ – Bei einem 2jährigen weiß ich nie, ob diese Frage nicht in einem Wutanfall endet.
Doch gehen wir ein wenig weiter zurück in der Entwicklung: Wörter und Sätze aussprechen lassen, es aushalten zuzusehen, wie das Kind sich immer wieder hoch zieht und doch umfällt und es nicht einfach festhalten. Das Kind selber ausprobieren lassen, wie die Formen durch das Steckbrett passen und es nicht vormachen. Die kleinen Beinchen zum Krabbeln nicht vorwärts schieben sondern die Impulse des Kindes abwarten. Es nicht mit Spielzeug zum Umdrehen locken, sondern beobachten und das Kind machen lassen.
Was gewinnen wir schon davon, wenn wir die Dinge selber in die Hand nehmen? Vielleicht ist es ein wenig Zeit, die wir bekommen. Vielleicht gewinnen wir selber Zeit und nehmen sie dabei aber auch unserem Kind: Denn wir lassen es nicht von sich aus eine Entwicklung vollziehen, nehmen vielleicht Schritte voraus, kürzen einen Entwicklungsweg ab. Vielleicht gewinnen wir selber dadurch ein wenig Entspannung im Alltag, doch wir verlieren vielleicht den Anblick leuchtender Kinderaugen, die uns zeigen: Schau, ich hab es allein geschafft und unsere Freude über diesen besonderen Moment.
Das Kind aber gewinnt durch unser Abwarten so viel: es darf selber Lösungen und Wege finden, ist selbstwirksam, es erfährt Ursache und Wirkung und lernt sich und seine Umwelt kennen. Es freut sich mit uns und für sich selbst über das, was es erreicht hat – oder zumindest probieren durfte.
Zurückhalten, abwarten, sich selbst zurück nehmen – das ist etwas, das wir durch das Zusammensein mit unseren Kindern in jeder Altersstufe lernen können und das uns so viel zurück gibt. Gönnt Euch heute einen Tag des Zurückhaltens und bestaunt, was ihr an Euch und Euren Kindern wahrnehmt.
Eure
Wenn Ihr es ausprobiert habt, würde ich mich über Eure Erfahrungen im Kommentarfeld freuen:
Es ist so schwer, sich zurück zu halten, ich übe es täglich. Neulich habe ich es geschafft, mich bei einem Streit zwischen meinem 5 jährigen und dessen Freundin zurück zu halten. Das Ergebnis war, dass er ganz toll seinen Standpunkt vertreten hat und dann aus eigenem Antrieb einen Kompromiss eingegangen ist. Er war unheimlich stolz, als ich ihn später sagte, wie sehr ich mich darüber gefreut habe. Und er hat viel gelernt, was er mit meiner Hilfe nicht gelernt hätte.
Ich bin eines der Kinder, die nie selbst ausprobieren oder zu Ende machen durften. Oft hörte ich den Satz: “ Lass, ich mach schon!“ “ Gib her, du kannst das nicht!“ Das hat mich echt nachhaltig beeinträchtigt, es war ziemlich schwer, eine gewisse Zuversicht aufzubauen, dass auch ich etwas schaffen konnte. Bei meinen Kindern habe ich es daher bewusst anders gemacht, als meine Eltern bzw. meine Oma bei mir, und es war gut so.
Lieben Gruß!
Das würde mich auch mal interessieren! Ich persönlich mache es mit meinem 8 Monate alten Sohnemann, das ich ihm sage was für Tiere es sind und wie sie „machen“, allerdings finde ich dieses zur Schau stellen auch schrecklich -.- ich sehe bei meiner 2 jährigen Nichte, das sie nicht weiß was eine Kuh ist und das die Kuh „muh“ sagt und finde das irgendwie erschreckend… Es wurde nie mit ihr gemacht…. Sprechen lernen tun sie aber sicher auch ohne 🙂 doch bestimmt besser wenn man ihnen vorließt und Dinge benennt und viel spricht … Oder?
Ich habe zum Glück überhaupt keine Schwierigkeiten mich zurück zuhalten, vlt liegt es auch daran das ich selbst in er Krippe arbeite, ich weiß es nicht. Allerdings hat der Papa da so seine Schwierigkeiten, werde ihm mal den artikel zu lesen geben. Ich liebe es mein Sohn (8monate) zu beobachten – wie er alles untersucht und sich zurzeit überall hochzieht und sich ausbalanciert, herrlich ❤️ Und später – ich sehe es schon vor mir – das bobbycar steht vor ihm, er versucht drauf zu kommen – vielleicht kurz helfen