Als ich zum ersten Mal in Kontakt kam mit der Pränataldiagnostik war eine Freundin von mir schwanger. Ich war 26 und hatte gerade mein Studium beendet. Ihr Kind, so sagte die Frauenärztin, sei auffällig und müsse bei der Feindiagnostik genauer betrachtet werden. Sie hatte Angst. Um ihr Kind und um sich, um ihre Familie. So saßen wir dort in einem weißen Raum mit vielen modernen Geräten und vielen Bildschirmen. Die Ultraschallbilder wurden direkt auf eine große Leinwand geworfen und zu sehen war das überdimensional große schlagende Herz des Kindes. „Ich erkenne einen white spot in der Herzkammer.“, sagte der Arzt. Die Diagnose Trisomie 21 stand im Raum. Auf einmal. Es sollten weitere Untersuchungen gemacht werden und sie solle sich darüber Gedanken machen, wie sie im Falle einer Trisomie handeln wolle. Eine Beendigung der Schwangerschaft sei in einem solchen Falle auch nach dem dritten Schwangerschaftsmonat noch möglich. Sie entschied sich für ihr Kind und bis zur Geburt war nicht sicher, ob es sich um „einen solchen Fall“ handeln würde oder nicht. Es war kein „solcher Fall“, ein Kind ohne Trisomie.
2 Jahre später sitze ich selber in diesem Zimmer. Auch meine Ärztin hat mich zur Feindiagnostik geschickt. Es ist dieselbe Praxis. Ich bin 28 Jahre alt und lege meine Hand auf den Bauch. Der Arzt lächelt mich an „Sie sind ja noch jung, da wird schon nichts Schlimmes mit dem Baby sein!“ Nichts Schlimmes. Was genau wäre eigentlich für mich schlimm? Was bedeutet eigentlich schlimm? Ist „so ein Fall“ schlimm? Die Nackenfaltenmessung ist unauffällig, es sieht alles gut aus. „Nun wollen wir die Kleine aber mal noch ein wenig bewegen, damit wir sie von vorne sehen. Wir wollen ja ausschließen, dass sie eine Hasenscharte hat.“ Ich blicke den Arzt an, sehe meinen Mann an, sehe wieder den Arzt an. Es ist ihm wohl nicht aufgefallen, welche Wörter er benutzt. Routinehandlungen. Die wievielte Patientin werde ich heute wohl sein? Welche Wörter benutzt er bei anderen? Ist das sein Standardspruch bei Kindern, die sich im Bauch verstecken? Mein erstes Kind ist „kein solcher Fall“ und hat auch keine „Hasenscharte“.
2012 sitze ich bei meiner Frauenärztin im Untersuchungszimmer. Mein Mann hält meine Hand und ich bin in der 11. Woche schwanger. Dass ich schwanger bin, haben wir erst vor wenigen Tagen gemerkt. Hektisches rechnen: Bin ich etwa schon im dritten Monat? Keine Beschwerden, keine Übelkeit, nichts. Die Menstruation war ausgeblieben, aber ich hatte gerade eine Praxis eröffnet und ein Buch heraus gebracht. Der Stress, dachte ich mir. Ich hatte in den letzten Wochen Sushi gegessen und Rohmilchkäse. „Dann wollen wir mal sehen, was das für ein Mensch ist, der da in Ihrem Bauch lebt.“, sagt die Ärztin „Oder soll ich sie gleich zur Feindiagnostik überweisen?“ „Nein, wir brauchen keine Diagnostik. Wir bekommen einfach unser Kind.“
Manchmal sind es schon die Wörter, die uns Angst machen bevor die Diagnosen im Raum stehen. Manchmal sind es die Wörter, die die Diagnosen begleiten, die uns Angst machen. Ich wünsche mir, dass wir alle mehr Acht geben würden auf die Worte, die wir täglich benutzen, wie wir über andere Menschen sprechen, wie wir mit ihnen sprechen. Manche Dinge werden zu schlimmen Dingen – nicht weil wir sie selber so sehen, sondern weil wir durch Worte auf einmal durch die Brille eines anderen Menschen sehen und uns erschrecken vor dem, was er sieht. Vielleicht wären viele Dinge weniger schlimm, wenn wir nicht von anderen gesagt bekommen würden, wie schlimm und erschreckend und bemitleidenswert es ist. Vielleicht könnten wir dann einfach wahrnehmen, annehmen und mit dem umgehen, was uns gegeben ist – wie auch immer unsere Entscheidung dabei ausfällt.
Ja, du hast sooo Recht. Worte sind ein gefährliches Werkzeug der Menschen…sie können zerstören und aufbauen; Unruhe stiften und besänftigen. Ich bin sehr froh, dass mein Frauenarzt die richtigen Worte gefunden hatte und sogar Freude auf die Feindiagnostik wecken konnte:“Da können sie jeden einzelnen Zeh ihres Lieblings bestaunen und das kleine Herz viel besser hören und sehen als bei mir. Machen Sie sich keine Gedanken und genießen Sie den tiefen Einblick in das kleine Reich ihres Kindes.“
Bei meinen beiden Kindern wurde Trisomie 13 vermutet. Beim ersten nur für ein, zwei Minuten… Und dann konnte man erkennen, dass alles in Ordnung war. Bei meinem zweiten Kind musste ich wieder zur Feindiagnostik (Risikoschwangerschaft). Hier dauerte der Ultraschall über eine Stunde. Der Arzt konnte nicht alles richtig erkennen und stellte wieder den Verdacht auf Trisomie 13 in den Raum. Ich war ruhig und erklärte, dass es beim ersten auch schon vermutet wurde, aber als man das Kind im Profil gesehen hatte, alles okay war. Der Arzt ließ nicht locker, nach diesem schrecklichen Ultraschall redet er nochmal eine dreiviertel Stunde auf mich ein und versuchte mich von einer Fruchtwasser Untersuchung zu über zeugen… Es war einfach furchtbar… Ich war so hilflos… Aber irgendwie hab ich es geschafft diesem extremen Druck stand zu halten… Das Thema Abtreibung stand auch einfach plötzlich im Raum. Ich war in der 22ste Woche. Mein erstes Kind kam in der 28sten Woche auch die Welt… Für mich war das völlig unbegreiflich… Freunde von uns haben mittlerweile siebenjährige Kinder, die in der 25sten Woche auf die Welt gekommen waren und plötzlich soll ich mir in der 22ste Woche überlegen, ob ich in so einem Fall…
Nun bin ich Mama von einem siebenjährigen Jungen und einem zweijährigen Mädchen. Beide kerngesund… Aber die Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit werde ich trotzdem nicht vergessen…
Pränataldiagnostik ist hilfreich und notwendig in bestimmten Fällen. Manchmal wird man aber auch von ihr überrannt. Ich hab keinen Ultraschall mehr danach genossen oder mich darauf gefreut…
Ich bin mit meinem ersten Baby schwanger. Unsere Ärztin sagte uns, wir sollen uns überlegen, ob wir eine Feindiagnostik machen lassen wollen. Ich bin ohnehin kein Freund davon mein Baby mit häufigen Ultraschalluntersuchungen zu stören, darum war für mich klar – ich möchte es nicht. Mein Mann fragte: „Aber was ist, wenn es Trisomie 21 hat?“. Ich sage „Wir haben uns für ein Kind entschieden und ich lasse es nicht töten, egal was es auch hat. Ich nehme mein Kind so, wie es ist – auch wenn es nicht „perfekt“ ist, darum brauche ich sowas nicht!“
Wir haben uns daher jetzt dagegen entschieden. Selbst wenn es nicht lebensfähig zur Welt kommen würde, könnte ich es so wenigstens kennen lernen und mich verabschieden und trauern ohne schlechtes Gewissen zu haben! Und so kann ich die Schwangerschaft und mein Baby bis zum Ende ohne Angst genießen.