TW: Tod eines Kindes
Ich bin Stille in diesen Wänden nicht mehr gewohnt. Tatsächlich gibt es in meinem Alltag nur wenige Zeiten der Stille. Die Kinder sind um mich, es wird geredet, geschrien, gelacht, getobt. Am Abend sitzen mein Mann und ich nebeneinander in unserem Büro und arbeiten. Manchmal ruhig, aber nie wirklich still. Es gibt nur wenige Momente, in denen in dieser Wohnung wirkliche Stille herrscht: Wenn ich allein bin – doch das ist fast nie der Fall. Ich dachte einmal, ich würde diese Stille vermissen, die vor so langer Zeit mal in meinem Leben war.
Kürzlich zog eine Stille durch unsere Räume. Es war eine Stille der Trauer. Sie dauerte, wie es anders mit so kleinen Kindern wohl nicht sein kann, nur kurz an. Aber sie war da, stand mitten im Raum und breitete sich aus. Kinder, die von Worten – oder mehr von ihrem Gehalt – innehielten und still waren. Von einem Moment auf den anderen aus ihrem Spiel gerissen, aus ihren Gedanken und von der Stille überwältigt. Wie wir Erwachsenen auch. Bemerkenswerterweise finden die Kinder ihre Worte so viel schneller wieder. Mehr noch ihre Fragen. Die Stille ging so schnell wieder wie sie gekommen war, zumindest äußerlich.
Innerlich trage ich diese Art der Stille seit einigen Tagen mit mir, wende sie hin und her und versuche, sie aus mir zu vertreiben. Denn dies ist keine Stille, die ich mir jemals gewünscht hätte. Sie dehnt sich aus, wenn mich die Kinder danach fragen, was passiert ist und warum überhaupt? Die Stille legt sich auf meine Zunge und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie erklärt man, dass ein Kind stirbt? Wie erklärt man es richtig? In meinen Gedanken formen sich Wörter, Sätze, überlegte Erklärungen. Sie klingen so kopflastig, so schwer und irgendwie nicht richtig.
Doch so, wie uns unsere Kinder gelehrt haben, wie man auf Menschen zugeht und mit ihnen ohne Vorgedanken, ohne eigene Hindernisse umgeht, lehren sie uns auch, wie man mit Problemen umgeht. Als ich den Sohn am Abend umziehe für das Bett, sagt er mir den Satz, den er in den letzten Tagen schon so oft gesagt hat. „Die Kaiserin1* ist gestorben.“ Immer wieder hat er diese Worte gesagt, sie in seinem kleinen Mund hin und her gewendet, um sie zu begreifen. Diesmal setzt er hinzu: „Das ist so schade. Sie war doch gerade erst hier und jetzt ist sie weg. Aber es war schön.“ Und damit wird mir klar, was mir an Worten fehlte, was mein erwachsenes Gehirn einfach nicht erklären konnte: Es war schön. Und es war gut, dass sie da war. Wahrscheinlich ist das genau das, was Mareice mit ihrem letzten Satz gemeint hat: „Wir wünschen uns kein Beileid; wir möchten uns lieber darüber freuen, dass sie da war. Dass sie uns verzaubert hat und glücklich mit uns war.“ Mir als erwachsenen Menschen fällt das so schwer, die Dinge nicht rational zu fassen, nicht auseinander zu nehmen und zu erklären. Aus dem Thema keinen pädagogischen Inhalt zu machen. Vielleicht reicht es für die Kinder auch, es einfach anzunehmen, jedenfalls in einem bestimmten Alter noch. Vielleicht sehen sie den Tod noch ganz anders als wir. Auf ein Warum gibt es niemals eine Antwort, nicht mit 4 Jahren und auch nicht mit 70. Alles, was wir tun können, ist daran zu denken, was wir haben und hatten. Und dann, wenn es doch Zeit wird, nehmen wir die Kinderbücher aus dem Schrank wie „Ente, Tod und Tulpe“. Aber erst dann, wenn sie es wollen und sagen. Bis dahin geben sie das Tempo vor, in dem sie sich damit beschäftigen wollen. Oder auch nicht.
Habt Ihr mit Euren Kindern schon über den Tod geredet?
Eure
* Er benutzt den richtigen Namen
Wir reden ganz selbstverständlich über den Tod. Für mich war und ist der Tod schon immer Teil des Lebens und wird nicht ausgeblendet. Wir reden ganz unbefangen davon. Die Ergriffenheit merken die Kinder einem eh an, wenn es ernst ist. Ich habe meinem Mann im Beisein der Kinder vom Tod von Kaiserin 1 erzählt und da haben sie gemerkt, wie berührt ich war. Da hat die große Tochter nachgefragt und ich habe ganz normal geantwortet: „Ja, sie war ein kleines Kind. Sie war vier Jahre alt. Es passiert manchmal, dass kleine Kinder sterben.“ Weil ich das unbefangen gesagt habe, war es OK für die Tochter.
Liebe Susanne,
das Thema Tod begleitet uns seit Noveber 2014, da starb der Opa meines Sohnes, doch das war okay. Er verarbeitete es gut. Im Mai 2015 starb dann eine Kitafreundin und seit dem löst der Anblick von Wasser oft mal Erinnerungen aus, da sie ertrunken ist. Wir trauerten alle und wir weinten sehr viel. Doch fanden auch Hoffnung. Wir erzählten viel über schöne Erinnerungen und wenn ich gleich gegessen habe suche ich einen Buchtitel raus, welcher uns neben „Der Baum der Erinnerungen“ sehr geholfen hat. Ente, Tod und Tulpe mag ich zum Beispiell persönlich nicht.
Als Abschied half mei Sohn damals das steigen lassen eines Ballons mit einem selbstgemalten Bild. Ein Abschiedsgruß.
Wichtig zu wissen ist, dass Kinder sehr unterschiedlich mit dem Tod umgehen und von einer Trauerbewältigungsweise in die nächste gehen. Einfach da sein hilft da oft am meisten und aufklären. Was mir aber mal beigebracht wurde von einer Trauerbegleiterin für Kinder, war nicht vom einschlafen zu sprechen, das kann zur Angst vorm schlafen führen.
Liebe Grüße
Jenny
Das Buch heißt übrigens „Was passiert, wenn ich sterbe?“ und ist von Ulla Frank.
Ja, wir haben schon darueber geredet. Ich sage ihm dabei immer mal wieder, dass am ende lebens der tod kommt. Das ist einfach so. Und, dass es ganz normal ist, nur es oft so ist, dass diejenigen die zurueckbleiben, darueber traurig sind, weil sie die person dann vermissen. Wir hatten schon erlebnisse bei denen tiere gestorben sind, nicht unsere eigenen, aber tiere in der natur und wir haben sie dann begraben und ihnen so einen friedlichen platz gegeben. Wir haben auch schon ueber die wiedergeburt geredet.
Ich halte das thema recht locker und gefuehlsmaessig neutral, mein sohn hat, wenn es mal soweit ist, dass jemand sterben wird, ohnehin seine eigenen gefuehle und ich moechte nicht, dass er zb glaubt, dass er traurig sein MUSS. Wie auch immer er einen todesfall verarbeiten wird, wird es iO sein.
Liebe Susanne, danke für die schweren aber doch schönen Zeilen.
Im vergangenen Jahre ist unsere kleine 4. Tochter gestorben und wir haben die Erfahrung gemacht das Kinder sehr viel anders trauern als wir Erwachsenen .
Während mein Mann und ich in uns kehren und die Trauer und die Fragen immer sehr mächtig sind , wenn wir am Grab stehen , sind unsere drei Mädchen stehst bedacht , aber mit einer Leichtigkeit. Sie reden mit ihrer kleinsten verstorbenen Schwester am Grab , erzählen ihr tolle Sachen mit aufgehellter Stimme und sie winken ihr zum Abschied .
Diese Stille von der du sprichst kenn ich zu gut und es sind unsere drei Mädchen die sie immer wieder durchbrechen.
Sie trauern auf eine ganz andere Weise , hier wird immer wieder gemalt und gebastelt und in diesen Arbeiten finden sie sich und lassen ihre Fragen und Gedanken sichtbar werden .
Sie haben u.a mit einer Hingabe die Urne bemalt und konnten so zeigen was sie ihrer kleinsten Schwester noch sagen wollten, Kinder haben da doch oftmals einen größeren Reichtum als die Erwachsenen…
Liebe Grüße
Gunda
Ein sehr berührender Text. Das Thema Tod mussten auch wir schon mit ihnen aufarbeiten, als ihre Uroma verstarb. Es war eine harte Zeit und ich kann gut nachvollziehen, was du meinst. Mir selbst ging es schlecht damit, ich war nicht in der Verfassung, meinen Kindern zu erklären, was da geschehen ist. Ihre Fragen rissen immer wieder Wunden auf, die gerade dabei waren zu heilen. Es hat mir aber auch gezeigt, dass Kinder den Tod noch ganz anders sehen. Meine Tochter bekam von jetzt auf gleich einen Heulkrampf und meinte, wie könne uns die Uroma jetzt wohl sehen, wenn es so viele Wolken gibt. Ein Gedanke, der mich darauf zurückführte, was es eigentlich ist: Nicht beschreibbar. Es hat lange gedauert, bis die Kinder nachts wieder durchgeschlafen haben und nicht von jeder Kleinigkeit aus der Bahn geworfen wurden. Aber es besserte sich. Heute, über ein Jahr später, können wir wieder auf den Friedhof fahren, alte Fotos anschauen und über die gemeinsame Zeit sprechen.
Mit meinem Sohn habe ich noch nie über den Tod gesprochen, wahrscheinlich, weil es zum Glück noch keinen Anlass gab. Als zu meiner eigenen Kindergartenzeit jemand aus meiner Familie starb, haben wir „Abschied von Rune“ gelesen. Ich habe das Buch als schrecklich traurig empfunden und es hat mich sehr, sehr lange beschäftigt – viel länger als der Todesfall selbst.
Das Buch haben sie bei uns auch gelesen als die Kitafreundin meines Sohnes an genau dieser Todesart starb. Es ist grausam und mein Sohn hat es nicht ertragen. Ich übrigens auch nicht 🙁
Susanne das hat dein Sohn sehr schön gesagt „Es war schön“ und wie du schreibst dass er oder vielleicht Kinder generell da einen anderen Blickwinkel haben fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Es macht keinen Sinn, jemandem nachzutrauern, es bringt den Menschen nicht wieder und tut einem selbst nicht gut. Trotzdem tut man es und wird es nicht „abschalten“ können. Aber vielleicht kann man mehr versuchen, sich zu freuen über das was war. So wie Mareice. Weil es gut tut. Wenn ich mit meinen Kindern über den Tod sprechen muss (noch sind sie zu klein) werde ich hoffentlich daran denken.
Die Motte hatte vor langer Zeit schon nach dem Tod gefragt. Vor Wochen kam dann ein Kindergartenmädchen in den Kindergarten. Sie heilt sich immer die Ohren zu, wenn die Mama über den Tot der Oma sprach. Sie spielte allein und zog sich zurück. Ich lieh der Mutter Bücher und meine Arme, doch die Kleine war so in sich gekehrt, wie ich sie nicht kannte. Dann, dann eines Mittags lachte sie. Ich fuhr mit der Motte heim und sie erzählte mir ganz stolz wie sie mit dem Mädchen gesprochen hatte. Das diese Kleine mit meiner Motte sprach, wie ein kleiner Wasserfall und meine Motte so geduldig zuhörte und am Ende, da nahm sie die Hand des Mädchens hielt sie fest und sagte Ihr „Alles wird wieder gut,denn ich bin Deine Freundin und ich spiele mit Dir….“ . Dann gingen sie spielen. Noch heute redet das Mädchen nur mit der Motte über die Oma. Wenn man sie frag warum, dann bekommen wir alle die Antwort: „Die Motte hört einfach zu und spielt dann wieder mit mir, als wenn nichts wäre, das ist so schön normal. Mama weint, meine Schwestern weinen und Papa und Opa auch. Die Motte weint nicht, sie spielt mit mir“.
Und dann haben die Mama und ich still vor uns hingeweint, weil wir so unendlich stolz auf unsere Kinder sind.
ich bin noch immer nicht im Stande den Text von Mareice Wort für Wort zu lesen. Ich sehe die Wörter, doch ich kann sie nicht erkennen und doch rollen Tränen über mein Gesicht. Der Mann nahm mich ohne zu hinterfragen in den Arm hielt mich fest und zusammen flüsterten wir den Wichtigsten Satz, der das Jahr für uns abschloss: „Danke lieber Gott, dass wir gesunde Kinder haben, DANKE lieber Gott!!!!!“
Ich drück Dich und soll ich was sagen, so wie die Motte es bei dem Mädchen richtig toll gemacht hat, so toll macht Dein Sohn es gerade mit Dir! Kinder sind eben die wahren Erwachsenen.
Ich bin jeden Tag dankbar für das war wir haben dürfen.
Dein Jessi
P.S. Die Motte kam ganz ohne Grund vor langer Zeit auf den Tod, ich war so unvorbereitet und bin so dankbar, denn nun konnten wir uns schon vorbereiten ohne das es einen Grund gibt – so konnte ich mich ganz auf die Motte und ihre Fragen konzentrieren, ohne eigene Trauer.
Auch bei uns gehört der Tod schon immer zum Leben dazu. Unsere Kinder sind (waren) im Waldkindergarten, wo sie oft tote Tiere finden, anschauen und feierlich begraben und auch Haustiere haben wir schon verabschiedet. Im Sommer ist meine kleine Nichte bei der Geburt verstorben und das war für uns Erwachsene natürlich eine ganz andere Dimension. Für die Kinder gar nicht. Wir haben gemeinsam Bilder der kleinen Cousine abgeschaut, besuchen ihr Grab auf dem Friedhof und singen Lieder für sie. Und jedesmal, wenn der Himmel hübsch gefärbt ist am Morgen oder Abend oder wir einen Regenbogen entdecken, kann ich nicht bis drei zählen, bis eines der drei ruft „guck mal Mama, das hat sie für uns gemalt“. Allein schon dadurch ist sie ständig präsent und Teil unseres Lebens, ein sehr schöner Teil!
Mit meinen Nichten trauerte ich um meinen Vater und somit um ihren Opa vor wenigen Jahren. Er ließ uns Zeit, uns auf seinen Tod vorzubereiten und so fragte mich meine kleinere Nichte wenige Wochen bevor er starb, ob die Oma nicht wohl traurig sei, wenn der Opa stirbt. Ich war erstaunt und bejahte ihre Frage. Sie überlegte sehr ernst und gab dann zu Bedenken: aber eigentlich muss die Oma nicht traurig sein. Der Opa ist so stark, da hat die Oma doch dann einen ganz starken Schutzengel.
Und auch bei der Beerdigung überlegten die Mädchen, ob sie die Bilder, die sie für den Opa gemalt hatten, ins Grab geben oder lieber auf das Grab legen sollten. Können Engel durch die Erde sehen?
Beide Mädchen waren traurig als der Opa starb und sie an seinem Grab standen, aber sie hatten kein Verständnis von dieser uns Erwachsenen lähmenden Vorstellung von Endlichkeit. Das Wissen, Dinge nicht verändern zu können, egal wie sehr es man sich wünscht, diese Vorstellung von „niemehr“, das waren nicht ihre Gedanken. Opa ist nicht mehr da, aber er ist nicht weg!
Ich habe viel von meinen Nichten gelernt, denn sie haben den Tod nicht mit der Verzweiflung des Verstandes und dessen Unfähigkeit zu begreifen, was nicht zu begreifen ist, wahrgenommen, sondern mit der Hingabe des Herzens. So schlicht, so einfach und so natürlich.
Liebe Susanne, ein sehr schöner Text! Ich habe mit meinen Kindern schon oft über den Tod gesprochen. Immer, wenn sie fragen. Der Große ist 9, er hat natürlich Fragen dazu, die Kleine ist erst 4 und gewöhnt sich gerade daran, dass man nicht automatisch stirbt, wenn man bei rot über die Straße läuft. Ich glaube, sie weiß nicht, was Sterben bedeutet, sie musste es noch nie erleben und fragt dementsprechend nicht viel.
Im beruflichen Kontext als Philosophin beschäftige ich mich natürlich mit Tod und Sterben, unter anderem biete ich einen Workshop zum Thema für Kinder ab dem Grundschulalter an. Nach langem Hin- und Herüberlegen kamen meine Kollegin und ich zu dem Schluss, dass man kaum über den Tod selbst reden kann, wohl aber über das Leben davor. Warum ist das Leben kostbar? Was bedeutet das Wissen um den Tod für das Leben? Solche Fragen diskutieren wir da.
Eines Tages werde ich auch mit meiner Tochter über den Tod sprechen (müssen). Ich wünsche ihr und mir, dass wir damit noch eine Weile Zeit haben.
Liebe Susanne, du schreibst sehr schön. Wir hatten letzten Sommer viele Verluste bei unseren Tieren. So traurig das war, so gut war die Gelegenheit für unseren damals dreijährigen Jungen, den Tod in seinen „Spielarten“ (Krankheit, gewaltsames Unglück, aber auch Fleischgewinnung,…) kennenzulernen. Gleichwohl ist es nicht mit dem Tod eines Menschen aus Familien- oder Freundeskreis vergleichbar. Denn dann sind auch wir Bezugspersonen entsprechend stark erschüttert. Es kann für das Kind erschreckend sein, wenn es die Verzweiflung, Trauer und Erschütterung z.B. seiner Eltern miterleben muss (verheimlichen ist ja aber auch keine Option). Dort das Kind trotz eigenem Schmerz gleichzeitig feinfühlig begleiten zu können, das dünkt mich eine grosse Kunst.
Liebe Grüsse, Martina
Letztes Jahr, starb meine geliebte Tante im Alter von 49 Jahren an Krebs. Das war sehr schlimm für mich. Bis heute sind die Wunden zu spüren und die Welt ist stiller geworden in mir. Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt 7 Jahre alt und meinte als ich vor ihr weinte. Mama, der Tante geht es doch bestimmt besser jetzt, sie hat doch jetzt keine Schmerzen mehr. Hauptsache man hat ein wenig auf dieser Welt gelebt. Da hat sie so recht. Damit hat sie mich sehr getröstet. Die Kinder sind manchmal weiser als wir ihnen zutrauen.