„Mach das lieber nicht“ – Wie wir Kindern den Entdeckungsdrang rauben

Manchmal fällt es mir im Alltag wirklich schwer, mich zurück zu halten. Das sind diese Momente, in denen ich oft – wenn es mir gelingt nichts zu sagen – ein Auge zukneife und den Kopf etwas schräg lege. Momente, in denen alles in mir zu meinem Kind schreit: „Mach das nicht, es ist gefährlich!“ – und ich es doch nicht sage. Aber oft ist dieser Impuls da, zumindest der Wunsch, das Kind möge es nicht tun. Besonders beim Sohn kenne ich diese Momente des Wünschens. Ich meine dabei nicht, dass ich in wirklich gefährlichen Situationen nichts sage, sondern in denen, die vielleicht gefährlich sein könnten. In denen mein Mutterherz mir sagt, dass es doch eigentlich auch entspannter gehen würde. Lieber nichts riskieren – oder doch?

Natürlich gibt es Situationen, die wirklich gefährlich sind und in denen es keine Verhandlungsmasse gibt: kein Rennen auf die Straße, keine Experimente mit Steckdosen, kein Werfen von Dingen auf Spiegel innerhalb (und außerhalb) der Wohnung – letzteres gerade erst gestern wieder erinnert. Und dann gibt es Momente, die sind nur aus meiner Sicht gefährlich. Situationen, in denen ich mir denke: Ach nein, bitte jetzt keine Verletzung, nicht hinfallen, keine blauen Flecken, aufgeschürften Knie oder blutige Nasen. Ich wünsche mir oft, ich könnte meinen Kindern Schmerz und Leid ersparen und sehe oft besser als sie, wenn es kommen wird.

Neben dem Aspekt, dass Kinder Erfahrungen benötigen, um sich mit der Welt vertraut zu machen und auch um Selbstvertrauen in sich, ihren Körper und ihre Fähigkeiten zu bekommen, gibt es einen Gedanken, der mir in solchen Situationen immer wieder vor Augen geführt wird. Sei es, wenn ich mich selbst mit meinen Kindern in einer solchen befinde oder wenn ich andere Eltern auf dem Spielplatz hören sage: „Mach das lieber nicht!“ oder „Ich hab Dir doch gesagt, dass das gefährlich sein wird.“. Was vermitteln wir unseren Kindern mit unserer Angst oder einem „Siehst Du!“? Wir sagen ihnen, dass die Welt gefährlich ist, dass sie nicht zu weit von uns weg gehen sollen, dass überall Gefahren lauern und sie eigentlich nur bei uns sicher sind, denn wir wissen es genau. Wir machen sie abhängig und ängstlich, denn die Gefahr lauert auf dieser kleinen Mauer, auf der sie balancieren wollen, unter dem Stück Holz im Gebüsch, das sie hochheben möchten, in dem Stein, an dem sie sich die Finger einklemmen könnten.

Ja, die Welt ist an einigen Stellen gefährlich. Aber sie ist auch aufregend, lädt zum Entdecken und Erforschen ein. Und wir Eltern sind Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollen. Wir sind der sichere Hafen, zu dem sie zurück kehren können, der immer da ist. Wir nehmen in den Arm anstatt „Siehste!“ zu sagen und trösten. Gute Bindung bedeutet auch, Sicherheit auszustrahlen und nicht Angst vor der Welt. Wir geben ihnen die Möglichkeit, sich zu bewegen und manchmal eben auch negative Erfahrungen zu sammeln. Wir hemmen sie nicht, brechen nicht ihren Entdeckerdrang, geben sie nicht nicht frei.

Manchmal fällt mir das schwer. Aber ich arbeite daran und denke darüber nach.
Ihr auch?
Eure
Susanne_clear Kopie

7 Kommentare

  1. Ja, sehe ich genauso und handhabe ich auch so. Hinzu kommt, dass ich meine Kinder ja kenne und weiß, was ich ihnen zutrauen kann, jedem Einzelnen – und das wiederum kann ich nur wissen, wenn ich sie auch (begleitet) ausprobieren lasse. Und dann geht eines immer weiter und für das andere ist das an dieser Stelle nichts. Häufig sind es ja auch die eigenen Ängste, die sich hier spiegeln. Und da gibt es schon oft große Augen, was man sein Kind alles so machen lässt….

  2. Sara Alsleben

    Liebe Susanne, erst einmal vielen Dank für deine Gedanken und Gefühle. Ich lese deine Seite sehr gerne und fühle mich dadurch in meinem Alltag bestätigt, mit meinen Kindern den richtigen Weg zugehen. Heute hast du einen besonderen Punkt getroffen. Leider fühle ich seit der Schwangerschaft eine Größere Angst als zu vor, wenn meine Kinder „gefährliche“ Dinge unternehmen. Mir fällt es oftmals schwer, das runter zu schlucken. Ich habe das Gefühl, das es bei meinem ersten Kind viel entspannter war.
    Ich werde noch einmal darüber nach denken, wieviel voreingenommene Worte, wirklich nötig sind.
    Vielen Dank und schönes Wochende Euch, Sara.

  3. Antje Müller Meyer Lehmann

    Mir fällt dazu ein dass ich auch oft das Gegenteil auf Spielplätzen registriere – „Los, das kannst du doch schon“, „stell dich nicht so an“, „schneller“,..
    bildet für das Kind das sich das (noch) nicht traut auch nicht gerade einen Sicherheitshafen. Sanfte Unterstützung und Hinweise sind sicher der beste Weg, aber manches wird auch nicht geglaubt, bevor es gefühlt wurde. Wahrscheinlich reift an mancher Verletzung erst die Vorstellungskraft über selbige!?

  4. jongleurin.wordpress.com

    Jetzt erst gefunden, diesen Beitrag. Ich bin ja eher eine Mutter der ungerührten Sorte, habe aber auch ein Kind, das sich extrem gut selbst einschätzt.
    Ich musste bei deinem Post sehr an ein Gespräch denken, dass ich mit meiner Tante geführt habe. Sie war selber eine extrem behütende Mutter und hat just von ihrer nun erwachsenen Tochter erfahren, was das im Kind ausgelöst hat: Nicht nur „Die Welt ist gefährlich!“, sondern auch noch „Ich muss Mama beschützen, sie hat immer so viel Angst!“

  5. Vielen Dank für deine sehr inspirierenden Texte!! Ich finde deine Sicht auf das Leben mit Kindern unglaublich toll und hoffe, dass ich das mit meiner Tochter auch so umsetzen kann, wie ich es mir wünsche, wenn sie bald anfängt die Welt richtig zu entdecken (noch ist sie ganz klein und das Entdecken findet auf Spieldecken oder mit mir zusammen statt). 🙂

  6. Lisa R.

    Ich sehe es so wie du. Aber was macht man wenn der eigene Partner die Tochter häufig bremst weil er denkt dies und jenes sei zu Gefährlich z. B. Hüpfen auf dem Bett unter Aufsicht….

    • Kinder gehen ja unterschiedliche Beziehungen ein zu den einzelnen Bezugspersonen und natürlich sind wir als Eltern auch unterschiedlich. Wichtig ist es, da überein zu stimmen, wo es sonst das Kind verwirrt oder den Alltag erschwert, wenn unterschiedliche Regeln gelten. Aber beide Eltern haben eben auch Differenzen.

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