Du musst niemandem etwas beweisen

Kürzlich erlebte ich in einem meiner Kurse eine Situation, die mich nachdenklich werden ließ: Ein Elternteil nahm mit einem sehr kleinen Kind am Kurs teil, das Baby war gerade um den dritten Monat alt. Es war ein ruhiger und entspannter Kurs mit lediglich 5 teilnehmenden Eltern mit ihren Kindern. Doch dieses eine Kind ließ sich von der entspannten Situation nicht beeindrucken: Es schrie und schrie und zeigte auf jeden Fall deutlich: Ich will das jetzt nicht – warum auch immer. Das Elternteil nahm auf den Arm, wiegte, lief umher, machte beruhigende Geräusche, doch es half nichts: Das Kind schrie und bäumte sich auf. Ich versuchte zu vermitteln: Das Kind würde heute wohl einen Tag haben, an dem es keine Lust auf die Aktivitäten hätte, die ihm hier angeboten wurden. Doch das Elternteil konnte darauf nicht eingehen, es versuchte weiterhin, das Baby zu beruhigen – ohne Erfolg.

Ich fragte mich lange nach dem Kurs, warum die Situation so war, wie sie war. Warum das Kind gerade heute nicht dabei sein wollte, würde ich nicht erfahren. Vielleicht hatte es den Entwicklungsschub um den dritten Monat, vielleicht eine nahende Erkältung, vielleicht einen anderen Grund. Es ist auch unwesentlich, warum dieses Kind nicht dabei sein wollte. Es zählte nur der Umstand, dass es das nicht wollte. Und die Frage danach, warum für das Elternteil so schwer war, darauf einzugehen und dieses Bedürfnis zu sehen.

Zufriedenheit

Gerade am Anfang ist es für uns oft nicht einfach, zu verstehen, was unsere Kinder wollen, was sie gerade brauchen. Ist es Hunger oder eine volle Windel oder doch etwas ganz anderes? Die Kommunikation zwischen Eltern und Kind muss sich erst einstellen, benötigt oft noch ein wenig Feinabstimmung. Was wir aber immer wissen: Wenn das Baby schreit, dann stimmt etwas nicht. Wir müssen reagieren, wir müssen etwas verändern: Nähe, Zuwendung, Hunger oder Durst beseitigen, ein unangenehmes Gefühl beheben, Ängste vertreiben. Das Kind signalisiert uns, dass es uns braucht und unsere Hilfe.

Am Anfang fällt uns die Reaktion darauf manchmal nicht einfach, weil wir nicht genau wissen, was es ist. Oder weil wir uns noch schwer daran tun, zu akzeptieren, dass wir nicht mehr alles in der Hand haben. Da ist dieser kleine Mensch, der ganz neu in unserem Leben ist und es so komplett auf den Kopf stellt. Vielleicht erleben wir es auch als eine Art Kontrollverlust, wenn dieses kleine Wesen auf einmal bestimmt, um welche Dinge sich unser sonst so geplantes Leben auf einmal dreht. Wir sind auf eine Art und Weise ausgeliefert, die wir zuvor nicht kannten: wir bestimmen nicht mehr über den Tagesablauf, über Zeiten des Schlafens und Wachsen, über Phasen der Arbeit und der Ruhe. Es gibt einen anderen Menschen, der unseren Alltag bestimmt und seinen Ablauf.

Gerade zu Beginn ist es schwer, das zu akzeptieren. Man hat Pläne gemacht, wollte Freunde besuchen, einen Kurs, würde so gerne jetzt einkaufen gehen oder mit Freunden über den Markt schlendern. Doch es gibt jemanden, der auf unsere sorgsam gemachten Pläne keine Lust hat – warum auch immer. Oft genug haben Eltern dann den Impuls zu sagen: Nein, ich wollte doch aber… Und handeln nach dem, was sie sich ursprünglich vorgenommen hatten. Dies jedoch nur mit dem „Erfolg“ unablässig gegen den Widerstand angehen zu müssen, was letztlich alle erschöpft und zermürbt.. Denn wenn ein Baby etwas nicht möchte, dann möchte es das nicht. Es wird nicht besser davon, weil wir der Überzeugung sind, dass es doch die schönere Alltagsbeschäftigung wäre oder wir das doch für diesen Tag schon lange geplant oder Geld dafür ausgegeben haben. Das Kind kennt all unsere Gründe nicht und wird sie nicht verstehen. Und wir Erwachsenen müssen niemandem etwas beweisen: Wir müssen unserem Baby nicht beweisen, dass wir doch die bessere Idee hatten. Wir müssen uns nicht beweisen, dass wir die Oberhand in einer Situation haben, in der wir es längst nicht mehr haben. Und wir müssen anderen Eltern gegenüber nicht so tun, als könnten wir die Situation ohne Wimpernzucken meistern.

Ein Baby zu bekommen bedeutet zunächst in vielen Punkten auch, Kontrollverlust zu haben über ein so sorgsam geplantes Leben, wie wir es vielleicht früher hatten. Es bedeutet, sich neu auszurichten, Rücksicht zu nehmen, neu in sich und in andere Menschen hinein hören zu lernen. Es bedeutet auch, seine eigenen Bedürfnisse an manchen Stellen zurück zu schrauben und dem Baby mit seinen Bedürfnissen Vorrang zu geben. Nein, wir müssen niemandem etwas beweisen, außer uns selbst, dass wir nichts mehr zu beweisen haben. Elternschaft bedeutet auch, sich frei zu machen von eigenen Erwartungen und den Erwartungen anderer. Es bedeutet, sich neu einzulassen auf ein großes Abenteuer mit recht unplanbarem Ausgang. Jeden Tag aufs neue.

Eure
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12 Kommentare

  1. Ein schöner Artikel… und kommt mir wieder sehr bekannt vor 🙂 Ich war damals die mit dem ältesten Kind in der Babymassage weil meine Tochter vorher sich nicht ablegen lassen wollte. Und im Kurs selbst haben die Babys dann auch nur geschrien und meine Tochter dann mit, aus Empathie und Unwohlsein. Also hab ich die meiste Zeit damit verbracht, draußen das Kind zu stillen oder heimzugehen – die anderen haben den Kurs eiskalt durchgezogen mit en Worten „Wir sind hier nicht zum Trinken“ oder so ein Quatsch. Und die Leiterin rief mich an und meinte ich solle doch mal Grenzen setzen… so viel dazu.

    Liebe Grüße!

  2. Stefan Stieber

    Hallo Susanne, ich lese deinen Blog seit einiger Zeit sehr gerne, bzw. höre auch deinen Podcast >>Mutterskuchen<< mit sehr viel Interesse. 🙂

    Als Vater von 2 Söhnen kenne ich solche Situationen natürlich auch, zu deinem BlogPost vielleicht noch 2 kleine Anmerkungen vielleicht auch einen ergänzenden Blickwinkel.

    Ich glaube jeder verspürt im innersten das Bedürfnis seinem, vor allem, kleinen Kind alle Bedürfnisse zu erfüllen. Wie du auch schreibst, ist es nicht immer leicht das richtige gleich zu erkennen und entsprechend zu reagieren. In der oben beschriebenen Situationen kommen jetzt viele Dinge zusammen, die es erschweren sofort die Situation in ihrer Gesamthaft zu erkennen und zu bewerten. Da ist die andere Umgebung und die vielen, wenn auch nicht direkt, Augen der Anderen die einen Verfolgen und beobachten wie Man/Frau mit dieser Situation umgeht. Das trägt natürlich nicht gerade dazu bei ruhig zu bleiben und Ruhe gegenüber dem Baby auszustrahlen.

    Wenn ich in solchen Situationen bin, versuche ich schrittweise herauszufinden was dem Kind hilft sich zu beruhigen und fange erstmal "klein" an in dem ich es auf dem Arm nehme, es etwas zu schuckeln, kurz aus mich aus der Situation herauszunehmen (teilweise auch um mich den Blicken der Anderen zu entziehen). Manchmal braucht es eine kleine Weile damit sich alles beruhigt.

    Ich finde es durchaus ok, erstmal dies zu versuchen als "vorschnell" zu entscheiden alles abzubrechen und zu gehen. Die Zeit sollte man sich nehmen können, bzw. auch bekommen können.

    Viele Grüße und einen schönen Sonntag, Stefan.

    • Hallo Stefan,
      da gebe ich Dir total Recht. Toll, dass Du diese schrittweise Annäherung machst und das als Weg gefunden hast.
      Ich wollte eher ausdrücken, dass es eben wichtig ist, dass man nicht gegenüber anderen etwas durchstehen muss, sondern es mit Baby total okay ist, einfach Dinge abzubrechen oder zu gehen – wenn eben nichts anderes hilft.
      Lieeb Grüße!

      • Stefan Stieber

        ja, das sehe ich auch so. Ich glaube an diese Einstellung muss man sich auch erst gewöhnen (ich musste das zumindest).

      • Liebe Susanne, ich denke nicht dass es immer der richtige Weg ist, zu gehen – vor allem, wenn man die Erfahrung macht, dass das Kind einfach immer schreit, egal wo und was man tut. Eine Mutter in solch einer Situation braucht die herzliche Einladung, in der Gruppe bleiben zu dürfen, dass es ok ist wenn das Kind weint und dass auch die Mutter getragen ist.

        • Mariüosa

          Genau bei der Babymassage waren einige Kinder die nur weinten die Mütter wurden immer wieder bestärkt zu kommen sie mussten nicht massieren aber sie waren Willkommen.

  3. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich auch oft mit der Elfe irgendwo war und sie schrie, aber sie hätte und hat zu Hause ebenso geschrien, deswegen habe ich unterwegs auch das gemacht, was ich zu Hause machte. Stillen, Tragen, Schuckeln und Halten. Das war gleich, wo wir waren, aber ich musste auch mal raus. Bin dann eben zu einem Stilltreff, wo ich wenigstens kein Programm mit ihr durchziehen musste oder Ähnliches. Das war eine schlimme Zeit für mich und für die Elfe sicher auch :(.

    Heute denke ich, dass Blockaden ein großer Grund dafür waren, es wurde mit der Zeit und vielen Terminen beim Osteopathen besser.

    Ich hoffe niemand hat von mir gedacht, dass ich versuche gegen den Willen meines Kindes etwas zu beweisen. So war es nämlich ganz sicher nicht.

  4. Agata Jagoda

    Hallo Susanne,

    danke für deinen schönen Artikel. Auch ich lese deinen Blog total gerne, seitdem ich vor 5 Monaten in die Welt der Mamas abgetaucht bin. Meine Erfahrungen teile ich auf meinem Blog, jagodaloving.de, schau gerne mal rein wenn du neugierig bist.

    Was du ansprichst, berührt mich gerade heute sehr. Mama will A aber das Kleine will B. Noch nie in meinem Leben, wurde ich zu so viel Flexibilität aufgefordert, wie seit meiner Schwangerschaft. Mein momentanes Mantra ist: Go with the Flow. Annehmen, was ist. Und nicht so viel in Widerstand damit sein, was grad da ist, auch wenn die Pläne nunmal anders waren…

    Abgesehen davon habe ich aber auch manchmal das Gefühl, dass ich mich mit „zuviel“ Geben/Versuchen verrenne. Dann ist es so, als würde ich mein Kind mit so viel Liebe überhäufen und realisieren: ach, das braucht sie ja grade garnicht! Und so ist es dann auch mit den Bedürfnissen: ich schuckele, ich trage, ich streicheln, ich rede sanft mit meinem Kind. Und ja, manchmal weint es eben trotzdem. Immer wieder. Nicht jedes Mal kann ich wissen, was in dem kleinen Menschlein so vor sich geht. Mir persönlich tut es da sehr gut mich zu erinnern, dass es beim Mama sein nicht immer darum geht ZU VERSTEHEN, was grade das Bedürfnis ist und dementsprechend eine Lösung herbeizuzaubern, sondern IM KONTAKT mit seinem Kind zu sein. Halten, fühlen, und auch mal sagen: ich weiss nicht, was du grade brauchst, aber ich bin dein fester Anker und so lange für dich da, bis es dir besser geht. Und noch viel länger natürlich 🙂

    Danke für deine inspirierenden Gedanken,

    Agata

  5. Mariüosa

    Ich finde du machst es zu einfach vllt hast du ein erfülltes Sozialleben viele Freunde und bist darauf nicht angewiesen aber es gibt uns Mütter die sind einsam und kennen keinen können sich mit keinem austauschen sollen dje zu Hause hocken. Die Bedürfnisse der Mutter sind auch wichtig. Hinterfrag erst die Beweggründe bevor du urteilst du weist nicht wie nötig sie den Kontakt zu andren Menschen hatte. Und wenn man lange auf etwas gesparrt hat und ohnehin wenig Geld dann ist es blöd es niCht machen zu können. Ich finde deine Situation scheint gut situiert genug zu sein, dass du vllt nicht nachvollzieheb kannst wie es ist auf einen Kurs zu sparen.

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