Handyverbot für Eltern? Ich sage aus guten Gründen: nein.

Gerade geht wieder der Gedanke durchs Netz, dass Eltern über ihre Handynutzung in Anwesenheit der Kinder nachdenken sollten. Und natürlich ist es so, dass es für Kinder nicht gut ist, wenn ihre Eltern andauernd anderweitig beschäftigt sind und auf die Bedürfnisse des Kindes nicht mehr reagieren können. Liest man aber diese Medienberichte, so scheint es, moderne Eltern würden beständig Kinderwagen vor sich her schieben, das Kind nach Möglichkeit mit dem Gesicht nach vorn gerichtet und dabei unablässig telefonieren, chatten oder Artikel im Internet lesen und dabei hochgradig emotional erregt sein. Ist das wirklich so?

Ich bin eine Mutter mit Smartphone. Und ich benutze mein Smartphone auch dann, wenn ich mit meinen Kindern zusammen bin. In der Regel, um Fotos von ihnen zu machen oder mit meinem Mann zu kommunizieren. Ich telefoniere auch auf der Straße mit dem Smartphone, wenn meine Kinder dabei sind. Das liegt beispielsweise auch daran, dass ich zu Hause eben nicht telefoniere, weil meine Kinder mich gar nicht telefonieren lassen: Sobald ich an das klingelnde Telefon gehe, habe ich ein Kind auf meinem Schoß, das mir unbedingt etwas zeigen möchte, das mich fortzieht, das vorgelesen bekommen möchte. Die Theorie in diesen Medienartikeln, Kinder wollen ungeteilte Aufmerksamkeit, würde in Bezug darauf also stimmen. Draußen auf der Straße oder in der Natur rennen sie, sie springen, sie laufen vor bis zur nächsten Laterne. Manchmal telefoniere ich dabei, wenn es wichtige Telefonate gibt und habe meine Augen auf meine Kinder gerichtet.

 

Auf dem Spielplatz habe ich meist keine Zeit für irgendwelche anderen Tätigkeiten mit dem Smartphone. Vielleicht schreibe ich meiner Spielplatzfreundin und frage sie, ob sie mit ihrem Sohn vorbei kommt. Oder ich mache gelegentlich Fotos. Meistens aber bin ich im Gespräch, schupse ein Kind auf der Schaukel an oder schaue zu. Doch betrachten wir die Situation im freien Spiel auf dem Spielplatz genauer, wie sie im Spiegel dargestellt wird:

„Papa, Papa, guck mal!“, ruft das kleine Mädchen auf dem Spielplatz. Der Vater lacht, winkt kurz, telefoniert aber weiter.

Mir ist ernsthaft nicht klar, was der Vater an dieser Stelle tun soll. Er winkt seinem Kind zu, zeigt somit: Ich schaue Dir zu. Was soll er machen? Sein Kind für etwas loben, das es gerade macht? Gerade in Bezug auf das Loben von Kindern sind sich die Pädagogen heute nämlich durchaus unsicher, ob das getan werden soll oder nicht und wenn ja, wie. Sollte der Vater vielleicht zu seinem Kind hin rennen? Sind Spielplätze nicht gerade dazu da, damit sich Kinder frei bewegen, damit sie sich erproben können und eben nicht beständig an der Hand eines Elternteils laufen, sondern klettern, balancieren oder rennen und dabei eigene Erfahrungen machen? Bedeutet es, von uns Eltern wird gewünscht, dass wir uns auf Spielplatzbänke setzen und unsere Kinder keinen Augenblick aus den Augen lassen? Erinnern wir uns An die Mutter, die auf dem Spielplatz in ihr iPhone starrt.

Als Diplom-Pädagogin bin ich wohl das, was in den Artikeln im Spiegel und der Telekom als „Fachleute“ bezeichnet wird. Und gerade als solche frage ich mich: Ist der Handygebrauch nicht nur ein Symptom und wir sollten statt pauschaler Abmahnung Ursachen betrachten? Eltern sind einsam. Eltern sind heute in eine Rolle gezwungen, Alltag allein mit Kindern zu bewältigen. Und gerade das ist es, was sie überfordert, was sie dazu bringt, sich mit anderen auszutauschen: Sie suchen Vernetzung. Sie wollen mit anderen Erwachsenen sprechen, nicht nur mit Kindern, sie wollen sich über Erwachsenenthemen austauschen. Das Handy ist nunmal ein Medium, das zum Austausch genutzt wird. Es ist das Medium unserer Zeit, in der Großeltern in anderen Städten wohnen und Geschwister auf anderen Kontinenten arbeiten. Nein, Eltern wollen nicht den ganzen Tag mit ihren Kindern spielen und sie müssen auch nicht jede Sekunde ihre Kinder im Auge behalten. Es ist nicht notwendig und sogar schädlich, Kindern keinen eigenen Raum zur Entfaltung und Erprobung zu lassen.

Und natürlich ist es nicht das ureigene und immer da gewesene Elternbild, dass Eltern sich den ganzen Tag um nichts anderes kümmern als ihre Kinder. Vielleicht hat sich das im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelt, dass Eltern – insbesondere Mütter – mit ihren Kindern zu Hause geblieben sind und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen mussten. Doch diese Phase war nur eine in der Entwicklung, zuvor und auch jetzt ist die Situation anders: Eltern gehen arbeiten. Wir sitzen nicht tagtäglich an der Spindel und am Webstuhl zu Hause, um unsere Kleidung herzustellen oder füttern Tiere, aber wir haben andere Aufgaben, denen wir nachkommen. Und unsere Kinder haben das Glück, dass wir auch andere Aufgaben haben. Dass wir ein Leben haben, dass sich bei aller Liebe zu unseren Kindern nicht allein um sie dreht. Lieber Mutter oder Vater, die mit anderen Eltern bei Twitter im Austausch über den anstrengenden Familienalltag sind als Eltern, die depressiv und allein gefangen sind in Rollen, die nicht für uns Menschen gemacht sind. Natürlich ist realer Austausch wichtig und notwendig, aber moderne Kommunikationswege dürfen dabei nicht verteufelt werden.

Welche Auswirkungen dies haben wird auf Kinder? Wir wissen es nicht. Es gibt noch keine Studien. Menschen verändern sich fortlaufend. Wir drehen das Rad der Zeit nicht zurück, wir müssen lernen, wie wir gut mit neuen Entwicklungen umgehen. Natürlich sollten wir zwischenmenschliche Kommunikation nicht vernachlässigen und nicht dahin kommen, auf die Signale eines Babys wegen eines Anrufs nicht mehr prompt zu reagieren. Aber wir können auch mehr entspannt sein. Unseren Kindern reichen Eltern, die eben „gut genug“ sind. Wir sind nicht perfekt. Und wir können Entwicklungen nicht aufhalten und es bringt auch nichts, sie nur pessimistisch von oben herab zu beäugen. Sogar Sokrates konnte die Schrift nicht aufhalten, obwohl er sie ablehnte:

Rechnen, Astronomie, Brettspiel, fabelhaft, aber diese sogenannte Schrift sei ja nun eine gänzlich hirnrissige Erfindung, nicht weiser werde sie die Leute machen und auch nicht erinnerungsfähiger, sondern, im Gegenteil, vergesslicher. Außerdem gebe einem die Schrift das trügerische Gefühl, alles zur Hand zu haben, bloß weil man von nun an gigantische Papyrushaufen voller Informationsgerümpel durchstöbern kann, was aber nun wirklich nichts mit eigenem Wissen zu tun hat.

Uns wird es nicht möglich sein, die Entwicklung aufzuhalten. Und unsere Kinder lernen heute, wie sie morgen damit umgehen. Unsere Kinder werden nicht wie wir sein, sie werden heute schon in eine andere Welt geboren und wir müssen die Augen nach vorn auf ihre Welt richten, um sie auf diese vorzubereiten und nicht nach hinten auf das, was einmal war. Und wenn wir Eltern einen Gefallen tun möchten, sollten wir ihnen nicht wie unmündigen Kindern das Handy aus der Hand nehmen mit einem erhobenen Zeigefinger, sondern uns endlich dafür einsetzen, dass Eltern heute die Rahmenbedingungen geboten werden, die sie brauchen, um Eltern zu sein. Und das ist und bleibt ein soziales Netzwerk, Hilfen, Unterstützung und Austausch.

Wie seht Ihr das?
Eure

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10 Kommentare

  1. Mama arbeitet

    Sehe ich genauso. Auf FB geteilt, mögen dies viele lesen!
    Herzlichen Gruß, Christine

  2. Ich sehe es auch so. Dennoch bemühe ich mich am Tag um eine „Handyfreie“ Zeit für paar Stunden. Mich macht es ruhiger. Für viele Alleinerziehende ist das der Kontakt nach draußen…. es geht oft einfach nicht anders. Sehr guter Artikel! Viele Grüße.

  3. Ich lese gerade deinen Artikel, mitten am Tag, auf meinem Handy. Mein Kind (17 Monate) sitzt neben mir auf dem Boden und blättert in einer Zeitschrift. Würde ich ihn dabei stören, bekäme er einen kleinen Trotzanfall. Er will jetzt „lesen“ und braucht mich dazu nicht. Und ich muss uhn dabei auch nicht jedes Mal beobachten, weil ich das schon oft genug getan habe und weiß, wie zuckersüß er aussieht wenn er hochkonzentriert blättert und Bilder ansieht. Also warum in aller Welt soll ich mich dann jetzt nicht mit meinem Handy beschäftigen?

  4. Mamabella

    Wie soll man bloß den Umgang mit dem Handy handhaben mit den kleinsten? Sie interessieren sich natürlich so sehr für das Smartphone – klar die Eltern habens viel in der Hand – das dann der 12 Monate alte Junior sich dafür interessiert und selbst schon mit dem Finger alle Bilder durchgehen kann … Verständlich irgendwie! Aber was ist gesund? Liebe Susanne – gib mir einen Rat wie soll man es handhaben lg

  5. MamavonZweien

    Machen wir uns doch nichts vor!
    Keiner lebt mehr ohne Handy!
    Aber welchen Platz hat hat es in unserem Leben?
    Wenn ich mich umschaue, dann hat es ganz sicher für den größten Teil der Bevölkerung einen Platz ganz an oberster Stelle.
    Und hier auf dem Land (nächste Autobahn gute halbe Stunde Fahrt entfernt. Nächste Großstadt urweit entfernt) sehe ich sehr sehr häufig Leute nur mit Blick aufs smartphone rum laufen. Gerade auch viele Eltern während dem Spaziergang mit den Kindern. Frage mich: MUSS das wirklich sein?
    Mein Mann z.B. dreht völlig durch, wenn er mal sein Handy zu Hause vergessen hat. Gibt es denn nichts wichtigeres mehr?
    Oder ein Gespräch führen, mit manchen Leuten ist eigentlich auch sinnlos geworden. Denn mit Blick aufs smartphone beim Reden mit dem Gegenüber bleibt nicht viel Aufmerksamkeit für den Gegenüber übrig!
    Ich habe mittlerweile genug Kinder gesehen, die wirklich mehr als genervt waren (und auch oft verletzt oder traurig) weil sie das Gefühl vermittelt bekommen haben, dass das Handy wichtiger ist als Ihre Bedürfnisse oder Ihre Aufmerksamkeit.
    Gutes Beispiel ist auch mein Bruder, den ich wirklich nur sehr selten im Jahr sehe (viell. 2-3 mal) und während des Besuchs ist er die Hälfte der Zeit mit seinem smartphone beschäftigt.
    Mir sind definitiv andere Sachen wichtiger!

    Klar, ich mache auch mal nen Foto mit dem Handy oder schreibe/telefoniere mit Jemandem. Dann muss aber auch mal das Ding für ein paar Stunden beiseite gelegt werden – Und DAS können die Wenigsten mittlerweile – Traurig aber wahr!

  6. chaosimkopf

    Ich denke wie so oft geht es einfach um das Maß der Dinge. Klar ist es legitim und in Ordnung und klar sollen die Kleinen auch lernen ohne uns zu spielen.
    Eltern die durch das Telefon unachtsam werden, ständig und immerzu telefonieren und zum achten mal in der Minute Facebook aktualisieren um zu sehen ob nicht jemand den „Emma-läuft!“-Status kommentiert hat…..ich glaube darum geht es wohl vielmehr.
    Das ist wirklich nicht schön.
    So lange jedoch klar ist, dass die zwischenmenschliche Komponente Priorität hat, dass aber der Sandkuchen kurz warten kann, bis der Chef (also der richtige Chef, der auch bezahlt, nicht der 2 jährige „Chef“) das neue Projekt erläutert hat – so lange ist das alles doch echt kein Ding.

  7. grundsätzlich nicke ich bei dem Artikel. Nur ich merke, dass beim Abholen an der Schule die Eltern keine Lust auf reale Vernetzung haben. Sie starren auf ihre Bildschirme, bis der Nachwuchs kommt. Kein Nicken, kein Grüßen, kein Wort des Austausches. Das ist mir ein wenig zu viel technisierte Welt im Leben der Eltern.

  8. Melanie Bochynek

    Der Artikel über die „Bösen Handyeltern“ ist aus dem Stern, nicht Spiegel (s. Links). Das ist m.E. entscheidend, da der Stern ein populistisches Blatt ist, man hingegen vom Spiegel nicht-polarisierende Berichterstattung erwarten kann. Schöne Grüße von einer Handymutter, die mit Smartphone im Familienbett zwischen Handy-Papa und schnarchendem Murkel liegt. 😉 LG, Melanie

  9. Maike Popeike

    Ich fühle mich auch oft fremdverurteilt, wenn ich aufs Handy schaue und mit den Kindern unterwegs bin. Dabei mache ich das nur, um zum Beispiel eine Busverbindung nachzuschauen, Öffnungszeiten oder ähnliches zu recherchieren, oder mich nochmal kurzzuschließen mit den Menschen, mit denen wir verabredet sind. Das ist doch total praktisch, aber irgendwie gilt man dann sofort als hyperaktive Helikoptermutter mit falschen Prioritäten. (Denn auch, wenn deine Kinder den ganzen Tag frei spielen, man nur einmal am Tag Latte Macchiato trinkt, die Handynutzung auf Notfälle beschränkt, und nicht mal in der Nähe vom Prenzlauer Berg wohnt, eine Helikoptermutter ist man heute immer, einfach nur, wenn man Mutter ist und so aussieht, als hätte man studiert.)
    Und Handy ist natürlich böseböse.
    Am besten nicht drüber nachdenken.

  10. Seitdem ich Vater bin, habe ich mich bei allen sog. sozialen Netzwerken abgemeldet. Vorher war es eben die Leere im Leben, das große Loch. weshalb ich diesen Quatsch brauchte. Jetzt bin ich Papa, erwachsen und habe Verantwortung für ein kleines Bübchen, das meine Zuverlässigkeit braucht. Ich weiß nicht, warum ich jetzt noch immer alle drei Minuten eine Whatsapp schreiben sollte, nur um meinen Freunden mitzuteilen, dass ich gerade einen schwarzen oder braunen Hund gesehen habe. Es gibt Wichtigeres im Leben.
    Ich muss nicht ständig kommunizieren. Warum, wofür, wozu? Auch das Alleinsein ist etwas, was zur persönlichen Reife dazugehört. Wer das noch nicht kann, sollte mit dem Kinderkriegen besser noch etwas warten.

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