Heute habe ich sicher den halben Tag in der Küche verbracht. Doch es geht nicht wirklich darum, was ICH in der Küche getan habe, sondern was WIR in der Küche tun, die ganze Familie. Was wir IMMER in der Küche tun, denn die Küche ist auf ihre Weise das Zentrum unseres Lebens. Wir frühstücken, essen zu Mittag, nehmen die Obstmahlzeit am Nachmittag ein, essen Abendbrot. Dazwischen backen wir, wir trinken Kaffee mit Freunden, wir basteln und malen am Küchentisch. Im Herbst wird hier das Obst geschält und dann eingekocht. Der Tisch hat viele Spuren von den Bastelnachmittagen: Farbe, die nicht mehr ab geht. Roter Traubensaft, der in das Holz eingezogen ist, Abdrücke von mit Kinderkraft auf das Holz bedrückten Förmchen, Schnitte von Messern. Das ganze Leben hat seine Spuren auf diesem Küchentisch hinterlassen.
Doch es ist nicht nur dieser Tisch, es ist die ganze Küche. Wenn sie erzählen könnte, würde sie so viel berichten. Davon, wie sie ganz leer stand am Anfang als wir vor so vielen Jahren hier als Paar einzogen. Wie wir sie nach und nach füllten: Damals zuerst mit IKEA-Regalen und wie wir später unseren eigenen Wohnstil fanden, die IKEA-Regale verschwanden und ein altes Buffet von 1900 hier einzog, das wir nie wieder von seinem Platz verschieben können. Sie würde davon erzählen, wie wir mal kurze Zeit eine Mitbewohnerin hatten, die wir mit einer nicht zu identifizierbaren Krankheit ins Krankenhaus auf die Isolierstation bringen mussten und ich danach jede Tasse und jedes Glas desinfizierte. Sie würde berichten, wie eine Freundin an diesem Küchentisch saß und über ihre schlimme Ehe berichtete und wir sie später mit Kind ins Frauenhaus brachten. Ein Bild könnte die Küche davon malen, wie mein kleiner Neffe hier zu Besuch war als wir noch keine Kinder hatten und er gerade mit Beikost anfing und genüsslich den Brei in das hellblaue Sofa einrieb, das damals in der Küche stand. Das Sofa, das wir einige Jahre später verschenkt haben und das ein Punk-Pärchen abholte, das in der Rigaer Straße in einem besetzen Haus wohnte. Unsere Küche könnte auch von Verzweiflung erzählen, von Abenden über Büchern und am Laptop, als ich meine Diplom-Arbeit schrieb und mein Mann mit mir Statistikbücher wälzte. Sie könnte von großen und kleinen Streitereien berichten als Paar und mit Freunden. Sie würde erzählen, wie irgendwann mein Bauch größer wurde, wie an einem Tag im März vor 5 Jahren zwei junge Menschen in dieser Küche standen und Suppe kochten und darauf warteten, dass sie an diesem Abend Eltern werden sollten. Sie würde schmunzelnd davon erzählen, wie ein kleines Mädchen Schubladen ausräumte, mit Erbsen auf dem Fußboden spielte und mit Fingerfarben ein Bild zum Geburtstag ihres Vaters auf dem Boden malte. Das Mädchen, das ein paar Jahre später große Schwester werden sollte in genau dieser Wohnung. Die Küche weiß, wie ich an einem Herbsttag dort stand, mich rechts und links an den Schränken fest hielt und tönte. Wie mein Mann ein Frühstück zauberte, das keiner anrührte, weil im Wohnzimmer am Schreibtisch ein Kind geboren wurde. Sie würde davon berichten können, wie nah Leben und Tod manchmal beieinander liegen und wie wir Nachrichten bekamen über den Tod unserer Großeltern und von einem Freund, der sich das Leben nahm. Sie kann berichten von Lachen, Weinen, von einem ganzen Leben als Paar, als Familie, als Freunde, als Geschwister.
All dieses Leben findet in diesem Raum statt. Mit jeder Phase hat er das Leben einer Familie eingesogen und ist selbst Erinnerung geworden.
Habt auch Ihr einen Raum, der Euch besonders viel bedeutet?
Eure
Da wir in den letzten Jahren häufig umziehen mussten, gibt es keinen Raum, der viel zu erinnern hat. Doch unser großer roter Esstisch begleitet uns seit Jahren und hat viele ähnliche Geschichten zu erzählen. Von Rehen, die darauf ausgenommen wurden, Essen für Freunde die daran ausgerichtet wurden, Geburtstagsfeiern, ganz normale Morgende mit Müsli und Kaffee, auch die Farbklekser und Kerben von diversen Bastelaktionen finden sich, das Leid der Hausaufgaben und Diplomarbeiten, Unterrichtsentwürfen und zahlreiche Prüfungsvorbereitungsgespräche haben dort ihren Platz. Ich hatte sogar mal vor einen Blog zu schreiben, in dem ich genau das alles zum Thema mache:)
wow…toll geschrieben…hab echt gänsehaut gekriegt…..soviel hat meine küche noch nicht erlebt…..
Das ist so schön erzählt. Du hast Recht, in der Küche findet das Leben statt. Ich liebe große Wohnküchen. Leider sind meine Küchen bisher immer zu klein gewesen, um einen großen Tisch rein zu stellen. Deswegen kann bei uns eher das Esszimmer die Geschichten erzählen 😉 Aber irgendwann reiße ich noch eine Wand ein und dann hab ich meine Wohnküche!
Liebe Grüße,
Marisa
So so schön! Wir wohnen erst seit Februar hier, aber ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren auch ein solches Zuhause haben.
Liebe Grüße Julia
Liebe Susanne,
ich bin wieder mal total gerührt
und genau deshalb gefallen mir deine Texte so gut.
Erst vor wenigen Tagen habe ich ganz ähnliche Gedanken ins tagebuch meiner kleinen Tochter geschrieben. Wie viel Leben doch in unserer kleinen Wohnung steckt. Vor allem weil es eben unser erstes gemeinsames Zuhause als Famile war und plötzlich so einen großen Wert für mich bekam. Jeder Winkel bekommt plötzlich ein ganz eigenes Gesicht in jeder Ecke stecken kleine Erinnerungen.Ob gekrizel am Türrahmen oder die Ecken die zu Höhlen umgestaltet wurden. Und vor allem wird dieser kleine Raum bei meiner Tochter immer als ihr Kinder Nest in Erinnerung bleiben und auch noch im Erwachsenenalter einen besonderen Glanz behalten.
Danke für Deine schönen Worte und alles Liebe
Stephie
Einer der besten Posts auf Deinem Blog, berührt mich sehr, ich kann ihn immer wieder lesen, mit Tränen in den Augen und einem Lächeln auf den Lippen. Wunderschön