Kinder sind an allem schuld!?

Kinder sind an allem schuld, so liest es sich gerade quer durch das Internet: Daran, dass wir nicht uns nicht die Nächte in Diskotheken um die Ohrenschlagen können wie früher. Daran, dass wir uns nicht kleiden können wie vor der Geburt und sowieso daran, dass der Körper anders aussieht. Kinder sind schuld daran, dass wir mit unserem Partner nicht mehr genug Freizeit verbringen oder allein in den Urlaub fahren können. Und natürlich sind sie auch daran schuld, dass wir nicht mehr durchschlafen können. Unser Leben verändert sich durch Kinder recht wahrscheinlich und schuld sind natürlich sie, die neu dazu gekommen sind, denn vorher ging ja alles anders. Das Problem ist nur: Es stimmt nicht.

Kinder sind in erster Linie Kinder. Sie sind keine kleinen Erwachsenen. Sie haben es sich nicht ausgesucht, zu uns zu kommen. In den meisten Fällen sind wir, die Erwachsenen, diejenigen, die sie zu sich eingeladen haben. Einen Menschen zu sich einzuladen, bedeutet, ihn anzunehmen wie er ist. Wenn ich meine Freundin zu mir einlade, die kein Ei verträgt, backe ich Kuchen ohne Ei für sie. Bei einer anderen Freundin, die kein Gluten verträgt, verhält es sich ebenso: ich besorge etwas glutenfreies. Wenn ich mich mit einem Bekannten verabreden möchte, der nicht gut laufen kann, gehen wir in ein Café statt zu mir in den 3. Stock ohne Aufzug. Den Menschen, die ich zu mir einlade, bringe ich Respekt gegenüber und versuche, mich in sie hinein zu versetzen. Erwachsenen gegenüber funktioniert das meist so gut, weil wir uns mit ihnen auf einer Augenhöhe fühlen. Nur bei Kindern, da klappt das irgendwie nicht so problemlos. Gerade bei ihnen erwarten wir, dass sie sich in unser Leben einpassen sollen. Gerade bei Kindern?

Wir fühlen uns in unserem Erwachsenendasein gestört von ihnen und eingeschränkt. Fast pubertär beharren wir auf unsere Rechte: frei sein, ungestört, unabhängig. Führen wir uns diese Dinge vor Augen, erscheint es fast wirklich wie ein pubertäres Verhalten, denn was einen erwachsenen Menschen ausmacht, ist eben nicht die große Freiheit und Uneingeschränktheit. Es ist vielmehr das Erreichen einer höheren Stufe von Moral,  die Fähigkeit, uns in andere hinein versetzen zu können und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen. Wir Erwachsene unterscheiden uns von den Jugendlichen eigentlich dadurch, dass wir reflektieren, dass wir Grenzen erkennen und uns damit auseinander setzen statt auszuharren. Das bedeutet nicht, dass wir alles aufgeben müssen, dass wir nicht mehr wir selbst sein können und unsere eigenen Grenzen nicht wahren dürfen. Es bedeutet genau das Gegenteil: Wir haben die große Chance, unsere Bedürfnisse und unsere Werte neu einzuordnen, festzulegen, was für unser Leben wirklich wichtig ist und es vielleicht neu auszurichten. Wir haben gerade durch Kinder die Möglichkeit, wirklich erwachsen sein zu können und diesen Schatz an Rücksichtnahme auch in andere Lebensbereiche hinein tragen zu dürfen.

Ein Kind ist ein Kind. Es hat kindliche Bedürfnisse, die erfüllt werden sollten. Es kann nicht verstehen, dass wir so ganz anders denken, dass wir so ganz anders handeln als es sich das wünscht. Es ist einfach da, mit all seiner Liebe, seiner Wärme, seiner Traurigkeit und Einsamkeit, wenn wir nicht bei ihm sind. Es hat kein Bild von der großen weiten Welt und all dem, was es noch dort gibt außer es selbst und seiner Familie. Es wünscht sich, von uns angenommen und verstanden zu werden. Es wünscht sich – wie wir Erwachsene – nicht verurteilt zu werden und beschuldigt für Dinge, für die es nichts kann. Es ist einfach noch nicht lange auf der Welt – nicht mit einem Jahr und auch noch nicht mit 5 Jahren.

Selbst bei meiner sechsjährigen Tochter sehe ich immer wieder, wie erstaunt sie von der Welt sein kann und den Menschen. Auch für sie gibt es noch immer Neues und Unbekanntes. Dinge, die sie erfreuen und Dinge, vor denen sie sich fürchtet. Was sind 6 Jahre in unserem Leben? Eine kurze Zeit, ein Wimpernschlag.

Kinder sind nicht schuld daran, dass sich unser Leben geändert hat. Sie sind bei uns, weil wir unser Leben geändert haben: weil wir eben Kinder bekommen haben und diese Aufgabe uns ab dem Zeitpunkt, an dem wir uns dafür entschieden haben, ein Leben lang begleiten wird. Wir haben eine Wahl getroffen, nicht sie. Und es ist unsere Aufgabe, diese Wahl für sie so zu gestalten, dass es nicht eines Tages sie sind, die unsere Entscheidung bereuen.

Eure

Susanne_clear Kopie

 

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11 Kommentare

  1. Mama notes

    Danke. Für mich eine passende Replik auf diesen unsäglichen „regretting fatherhood“-Text.

  2. Ein sehr guter Text!
    Ich möchte ergänzen: Dass die Kinder uns so eng brauchen, ist doch auch nicht lange. Ein paar Jahre…

  3. Liebe Susanne,
    ich bin einfach glücklich, eine kleine Familie zu haben und die Liebe zu Kindern und auch die Liebe von den Kindern ist so wunderschön. Inzwischen sind meine Kinder 7 und 9, da haben wir natürlich schon wieder mehr Freiheiten. Und ja, mir haben diese Freiheiten schon sehr gefehlt und ich kam auch oft an meine Grenzen. Aber viele Eltern sehen viel zu schnell nur das Negative und nicht die positiven Seiten ihrer Kinder. Und man sollte lernen seine Kinder besser zu verstehen. Auch wenn mein Sohn inzwischen 7 Jahre ist, wenn er z.B. übermüdet ist, dann kann er sich einfach nicht mehr an Regeln halten und dann bin ich auch nachsichtiger. Alles andere würde gar nichts bringen und uns beiden nicht gut tun.

    Vielen Dank für diesen schönen Text

  4. Ich erinnere bei solchen Themen immer an die Worte meiner Mutter: „Keine 20 Jahre und schon sind sie aus dem Haus!“ 🙂 (Sie hat recht, die Jahre mit Kind/ern vergehen gefühlt schneller, als ohne.)

  5. hampel “hampelkatze” katze

    Mal anders: endlich muß ich mir nicht mehr am Wochenende die Nächte in übervollen Bars um die Ohren hauen, aus Angst, etwas zu verpassen. Dank der Kinder besteht mein Leben nicht mehr nur aus Arbeit, ich darf guten Gewissens meine Zeit mit ihnen zu Hause verbringen. Statt Sonntags nur auf der Couch Fernsehen zu schauen, spiele ich draussen im Park und tue etwas für meine Gesundheit. Die Zeit alleine mit meinem Partner ist um so wertvoller geworden und wird von mir mehr genossen als früher. Mein Leben ist bereichert in allen Dingen. Mal weniger Schlaf? Na und? Dafür 100x mehr Leben, Liebe, Lachen.
    Alles eine Frage der Einstellung ;-).

  6. Ein Text, der mich gerade sehr bewegt, weil es sich bei uns im Moment sehr schwer und hart erarbeitet anfuehlt.

  7. Danke für diese Worte. Meine Tochter ist jetzt ein Jahr alt. Und leider gibt immer noch Menschen aus der früheren Generation die tatsächlich erwarten, dass ein Baby sich anpassen muss. Ich finde das wirklich schlimm. Wenn ein Erwachsener satt ist muss er nicht mehr essen, einem Baby wird der Breilöffel noch zig mal vor den Mund gehalten. Warum eigentlich? Andere sagen, ein Baby muss auch mal schreien. Warum muss es schreien? Wenn es schreit hat es doch ein Bedürfnis und wir Erwachsene müssen herausfinden was es braucht. Wenn wir krank sind oder uns einfach mal schlecht fühlen, werden wir in Ruhe gelassen oder bitten um Hilfe. Ein Baby kann das aber noch nicht. Diese ständigen Erwartungen an die Babys nerven

  8. Wiegefrau

    Ein sehr schöner Text, auch ein guter „Weckruf“, denn ich gebe zu, ich habe diese Gedanken manchmal. Aber nicht in die Richtung, dass mein Kind „schuld“ wäre, das wäre ja Unsinn. Das Kind ist an gar nichts schuld und ich glaube, das erkennen eigentlich auch die meisten Eltern, die sich hin und wieder (teilweise sicherlich verklärten) melancholischen Erinnerungen aus der unbeschwerten „Vorkindzeit“ hingeben. Aber ich verstehe Deinen Punkt. Es wird oft so kommuniziert, als wäre „wegen dem Kind“ dies und das nicht möglich, was eine unglückliche Verkürzung ist. Und diese Worte können, sollten sie die Ohren des Kindes mal erreichen, etwas kaputt machen. Deswegen vielen Dank, dass Du mich erinnert hast..man muss da echt vorsichtig sein.

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