Kategorie: Geborgen Wachsen

Jungen, die mit Puppen spielen? Ja, bitte!

Noch immer finden wir in vielen Spielzeugläden, Spielzeugprospekten und sogar Kinderzimmern eine Einteilung in “Mädchen- und Jungenspielzeug”: Für die Mädchen all die Dinge rund um Fürsorge wie Puppenküchen, Puppen und Kuscheltiere samt Puppenwagen und Puppentragetüchern, für Jungen die Technik- und Bauspielsachen. Und nicht nur dort wird oft eine grobe Unterteilung vorgenommen, sondern auch im Spielalltag, wenn einem Kind nach dem zugeordneten Geschlecht ein scheinbar passendes Spielangebot gemacht wird: “Geh doch mal in die Puppenküche spielen, Laura.” “Spiel mal mit deinen Dinos, Linus.” wird Kindern in Kindergärten und zu Hause gesagt und damit zugeordnet, welches Spielangebot scheinbar passend und richtig ist.

Aber mein Kind spielt eben lieber mit…

Und ja, vielleicht spielt Laura gerne mit Puppen und Linus mit Dinos und andersherum ist es nicht so. Aber durch die beständige Zuordnung ist es schwer zu entscheiden: Was ist Henne, was Ei? Unsere Kinder wachsen schon von frühen Jahren in eine Zuordnung hinein, die an vielen verschiedenen Stellen vorgenommen wird. Schon kleine Babybodys und Hosen sind bedruckt mit Autos oder Herzchen. Tatsächlich haben Kinder bestimmte Vorlieben, denen sie auch nachgehen dürfen. Die amerikanische Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Lise Elliot schreibt in ihrem Buch “Wie verschieden sind sie?” hierzu (2010, S.162): “Auffallend ist aber, in welchem Maße auch heutige Eltern ihre Kinder, noch ehe sie auf der Welt sind, schon nach stereotypen Rollenmustern wahrnehmen. Dieser Tendenz entgegenzuwirken erfordert ständige Aufmerksamkeit. Am besten fangen wir damit an, wenn das Kind noch ganz klein ist und die geschlechtstypischen Merkmale kaum ausgeprägt sind. Bevor es später selbst darauf beharrt, dass es wie ein Mädchen oder wie ein Junge behandelt wird, können wir zunächst einfach nur wahrnehmen, wie es denn ist: kontaktfreudig, ungestüm, zappelig, fügsam, laut, still, wachsam, ernsthaft, unbefangen, heiter, neugierig, wuselig. Die Eltern sollten diese Phase, bevor die Geschlechtsidentität des Kindes sich entfaltet, genießen und den Signalen folgen, die ihnen sagen, was die ganz individuellen Bedürfnisse dieses kleinen Wesens sind.”

Es ist also okay, wenn Laura mit Puppen spielen möchte und Linus mit Dinos. Aber als Eltern können wir dennoch darauf hinwirken, bestehende Stereotypen nicht noch stärker zu zementieren und unsere Kinder offen zu begleiten. In obigem Beispiel ist das sogar ganz einfach möglich: Statt einen konkreten Spielvorschlag zu machen, können wir anregen “Laura/Linus, geh doch mit deinen Spielsachen spielen.” Und wir können ein Spielangebot zur Auswahl stellen, das nicht nur den klassischen Stereotypen entspricht, sondern die Erfahrungswelt des Kindes so gestalten, dass es wirklich eine freie Auswahl hat zwischen Spielsachen, die wir selbst nicht als richtig oder falsch für dieses Kind bestimmen. Die generelle Auswahl der Spielsachen spielt hier eine wichtige Rolle.

“Kein Mädchen muss mit Autos spielen. Aber es sollte die Chance und die Möglichkeit haben, das zu tun, und erleben, dass das normal ist.”

Susanne Mierau “New Moms for Rebel Girls”

Der besondere Aspekt: Fürsorgespiele für Jungen

An stereotypen Spielangeboten gibt es viele Themen, die kritisiert werden können: Schönheitsschminkspiele für Mädchen, die schon früh das gesellschaftliche Schönheitsideal in Mädchen einbrennen mit langfristigen Folgen, Ausklammern von Mädchen aus MINT-Themen, Spiele, die Aggression und Kampf insbesondere für Jungen als normal und richtig darstellen – die Liste ist lang und vielfältig in ihren möglichen Auswirkungen.

An dieser Stelle soll ein besonderer Aspekt herausgegriffen werden, nämlich nicht das spezielle Angebot für ein Geschlecht, sondern die Vorenthaltung von Spielen, die sich um Fürsorge drehen, für Jungen. Während einerseits das Spielangebot so gestaltet sein kann, dass das Versorgen von Puppen und/oder Kuscheltieren mit Nahrung und Pflegetätigkeiten nicht frei zur Verfügung steht, werden Jungen manchmal auch dort, wo es diese Spielmöglichkeiten gäbe, bewusst hiervon abgehalten durch Aussagen wie “Komm, damit spielen Jungs nicht.”, “Du kannst doch keine Mama sein!” oder “Geh mal lieber in die Bauecke.”

Doch für ihre Entwicklung ist es wichtig, dass auch Jungen Fürsorge erlernen. Das Sorgen für andere erlernen wir, es ist in großen Teil nicht in uns angelegt. Väter und Mütter müssen nach der Geburt gleichermaßen erlernen, ihre Kinder zu umsorgen: ihre Signale wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und dann passend zu beantworten. In der frühen Kindheit wird dafür bereits ein Grundstein gelegt. Besonders auch dafür, ob wir überhaupt denken, dass das eine Aufgabe ist, für die wir uns eignen, die wir ausführen können. Das Selbstbild wird auch in diesem Bereich geprägt durch die Erfahrungen, die Kinder machen. Werden Jungen immer wieder vom fürsorgenden Spiel ausgeschlossen und können darin keine Erfahrungen sammeln, wird ihnen damit signalisiert: Das ist nicht dein Aufgabenbereich. Einher damit geht manchmal auch eine unbewusste Abwertung der Fürsorgetätigkeiten: Das ist doch keine “richtige” Beschäftigung! Mit solchen oft unbewusst vermittelten Botschaften prägen wir daher nicht nur das Selbstbild des Kindes, sondern nehmen auch Einfluss auf ein gesellschaftliches Bild vom Wert der Fürsorge.

Deswegen: Lasst Kinder – unabhängig vom zugeordneten Geschlecht – mit Puppen spielen. Lasst sie nachahmen, wie Babys gefüttert, getragen und umsorgt werden. Seid offen für die Fragen der Kinder und zeigt Anerkennung für dieses Spiel. Wir wissen, welch große Herausforderung – neben aller Liebe – Fürsorge für Kinder sein kann und sollten gemeinsam daraufhin wirken, dass diese Tätigkeit nicht nur von allen Menschen ganz selbstverständlich geleistet wird, sondern auch entsprechende Anerkennung von allen erfährt. – Und genießt es einfach, wenn euer Kind in das Spiel versunken ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Von “Nerv nicht!” zu “Hilfe, ich bin genervt”

“Nerv nicht!” – eine Aussage, die sich tief in das Selbstbild brennen kann, wenn sie sich immer wiederholt. “Nerv nicht” bedeutet: “Deine Wünsche und Bedürfnisse sind mir zu viel oder falsch.”, “Was du jetzt brauchst oder willst, stufe ich als erwachsene Person als unwichtig ein.”, “Es gibt Wichtigeres als dich und deine Bedürfnisse.”, “Du belastest mich.” Gerade für Kinder, die auf ihre Bezugspersonen als Schutz angewiesen sind, als sicheren Hafen, und in vielen Bereichen der Bedürfniserfüllung noch auf uns angewiesen sind, kann dies nachhaltig belastend sein. Es kann sich das Gefühl ausbreiten, unwichtig zu sein, nicht gehört zu werden, falsch zu sein.

Natürlich sind Eltern manchmal genervt

Ein „Nerv nicht!“ mag manchmal unserem tiefen Elternempfinden entspringen: Der Alltag ist voll mit Aufgaben und nicht immer ist Platz für die Bedürfnisse des Kindes. Und manchmal sind wir tatsächlich auch von der x-ten Nachfrage, ob dieses oder jenes noch gekauft oder getan werden kann in der schieren Menge des Vorsprechens des Kindes genervt. Wir müssen diese Gefühle nicht verbannen aus unseren Empfindungen. Im Gegenteil: es ist gut, wenn wir sie spüren, denn dadurch haben wir die Möglichkeit, festzustellen, dass wir gerade überlastet sind und können dann richtig reagieren, indem wir die Situation verändern.

Oft liegt die Ursache des Gefühls, vom Kind genervt zu sein, in einer generellen Überlastung: Wir haben nicht auch noch Energie für das laute, fordernde Kind nach einem ohnehin schon anstrengenden Tag oder während es uns gerade gesundheitlich vielleicht nicht gut geht. Das Kind fordert hingegen mit seinem Verhalten oft Bindung und Beziehung ein – was wir durch unseren Stress aber nicht mehr so feinfühlig wahrnehmen können: Durch Stress fällt es uns schwerer, “hinter das Verhalten” des Kindes auf die Bedürfnisse zu blicken, die es zum Ausdruck bringen will.

Nervende Kinder – unerfüllte Bedürfnisse

Wenn Kinder beständig etwas einfordern, kann sich dahinter ein bestimmter dringender Wunsch verbergen. Oft aber ist es auch ein Bedürfnis nach Bindung und Beziehung: Immer und immer wieder kommt das Kind an diesem Tag wieder an und möchte nicht allein spielen, sondern nur mit einem Elternteil. Das heute ständig wütende Kind ist eigentlich traurig, weil es von den Freunden im Spiel ausgeschlossen wurde und kann das aber noch nicht gut verbalisieren. Das Kind, das den ganzen Tag auf alle Vorschläge nur maulig reagiert, ist eigentlich erschöpft vom Kindergarten, in dem heute alles durcheinander war, weil ein Erzieher fehlte.

Alternativen zu “Nerv nicht!”

Es kann viele Gründe geben, warum wir uns genervt fühlen. Und es kann viele verschiedene Gründe dafür geben, dass das Kind heute oder auch mal über einige Tage hinweg ein ungewohntes, für uns anstrengendes Verhalten zeigt. Wichtig ist, dass wir als erwachsene Bezugspersonen damit erwachsen umgehen und das Genervtsein nicht ungefiltert an das Kind weiter geben.

Diese Belastung ist für kleine Schultern zu groß. Ja, Rücksichtnahme ist wichtig, auch Kinder müssen das im Laufe der Zeit lernen. Aber auf andere Weise, als durch harte Worte, die das Innere verletzen. Zum Beispiel, indem wir unser Bedürfnis klar kommunizieren und eine Lösung anbieten: „Ich hab heute keine Nerven mehr. Komm, wir machen es uns ganz gemütlich auf dem Sofa.“ oder „Ich hab heute keine Nerven mehr, komm wir gehen in den Wald spazieren und du kannst dich da richtig austoben.“ Wir vermitteln eine andere Botschaft an das Kind, wenn wir erklären, dass wir selbst keine Nerven mehr haben, gestresst und/oder müde sind, als wenn wir sprachlich dem Kind die Schuld daran zuweisen.

Dauert das Gefühl des Genervtseins länger an, sollten sich Eltern Unterstützung holen: in Form einer Beratung, um mit professioneller Hilfe auf das Verhalten des Kindes zu blicken und/oder in Form von Unterstützung im Alltag, um den Stress zu reduzieren.

Das unangenehme Gefühl, zur Last zu fallen, haben viele Erwachsene in sich eingespeichert und es kann deswegen schwer fallen, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Umso wichtiger ist es, den Kreislauf zu durchbrechen und es nicht weiterzugeben.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

“Damit will es mich nur ärgern!” – Warum Kleinkinder nicht auf diese Art provozieren

„Das macht es nur, um mich zu ärgern!“ Diesen Satz haben wahrscheinlich schon viele Eltern irgendwann einmal gedacht. Vielleicht auch nicht als diese Aussage, sondern als zweifelnde Frage „Macht es das jetzt vielleicht doch nur, um mich zu ärgern?“ – Gerade wenn wir immer wieder aus dem nahen Kreis von erwachsenen Personen um uns hören, dass unsere Kinder uns mit ihrem Verhalten doch nur ärgern oder provozieren wollen, kommt dieser Gedanke oft irgendwann einmal als Zweifel auf: “Vielleicht ist ja doch etwas dran, dass…?” Aber sehen wir einmal genauer hin:

Kleinkinder können noch nicht bewusst provozieren wie Erwachsene

Der Gedanke “Das macht es nur, um mich zu ärgern!” bedeutet, dass das Kind weiß, dass eine Handlung von ihm im Gegenüber eine andere bestimmte Reaktion auslösen wird und dass es sich der Folge nicht nur bewusst ist, sondern auch billigend in Kauf nimmt, dass die Bezugsperson verärgert ist.

Natürlich verfügen Kinder im Kleinkindalter schon über ein Wissen von Ursache und Wirkung. Aber sie können sich noch nicht besonders gut in die Gedanken und Gefühle anderer Personen hineinversetzen und ihre eigenen Gefühle entsprechend regulieren, um mit ihrem Verhalten bei uns bewusst Ärger hervorzurufen. Wenn sich ein Kleinkind in einer Weise verhält, die uns verärgert, liegt das häufig daran, dass die Erwartungshaltung der Erwachsenen zu groß ist (beispielsweise können Kleinkinder je nach Temperament oft noch nicht lange Mahlzeiten im Restaurant oder beim Familienessen geduldig am Tisch durchhalten) oder dass sie mit ihrem Verhalten darauf aufmerksam machen wollen, dass ein Bedürfnis von ihnen nicht/nicht ausreichend erfüllt ist und sie ihr inneres Befinden nicht in Worten ausdrücken können, beispielsweise wenn wir einen langen Tag hatten, das Kind schon viel mitgemacht hat morgens, um sich fertigzumachen, später in der Kita kooperiert hat und dann nach dem Abholen noch “brav mit einkaufen soll”. Nun braucht es aber eigentlich etwas Autonomie oder auch Beziehung und Geborgenheit mit der primären Bezugsperson. Es wird wütend und schimpft laut, weil es nicht einkaufen will. Aber eigentlich geht nicht um das Einkaufen, sondern darum, dass es eben jetzt das Gewünschte nicht leisten kann, sondern ein anderes Bedürfnis hat, das endlich erfüllt werden will.

“Das ist so peinlich.”

Und da steht es also, das schreiende Kind. Vielleicht strampelt es vor Wut auch noch mit den Beinen. Und es ist uns unangenehm vor den anderen Menschen. Aber das Kind verhält sich nicht so, damit wir uns vor anderen unangenehm fühlen und nicht gut dastehen. Das Kleinkind verhält sich so, weil es gerade nicht anders kann. Denn jetzt gerade, in der Situation der Wut und Not kann es nicht so rational denken wie erwachsene Menschen es tun. Die emotionalen Gehirnregionen sind aktiv und überlagern das Nachdenken. Es ist nicht erreichbar dafür, dass wir daran appellieren, sich doch bitte nicht so peinlich zu verhalten, damit aufzuhören oder dass es doch wirklich eigentlich keinen Grund dafür gibt. Und vor allem: Es verhält sich nicht so, um uns zu beschämen, sondern weil es nicht anders kann.

Nur mein Kind kooperiert einfach nicht!

Eigentlich ist das Kind auf Kooperation und Teilhabe an der sozialen Gruppe interessiert. Das Bindungssystem funktioniert so, dass das Kind Schutz und Geborgenheit bei den Bezugspersonen sucht und sich durchaus an vielen Stellen anpasst, um den Bezugspersonen zu gefallen. Kinder kooperieren an vielen Stellen im Alltag, aber sie bleiben eben dennoch Kinder und sind keine Erwachsenen. Oft ist die Erwartungshaltung zu hoch und wir blicken in der Situation nur auf das, was jetzt gerade nicht stimmig ist, anstatt zu sehen, wie oft das Kind eigentlich heute oder generell eben doch kooperativ war. Wer sich wiederfindet in dem Gedankenkreislauf “Mein Kind ärgert mich, weil es einfach nie tut, was ich will!” sollte sich eine Weile darauf fokussieren, ganz besonders auf die Kooperation zu achten: Wann hat das Kind mitgemacht oder vielleicht sogar von sich aus etwas getan für mich/die Situation? Wann hat es Rücksicht genommen nach Aufforderung oder vielleicht auch von sich aus, beispielsweise wenn es ein kleineres Geschwisterkind hat und abwartet? Unser Blick auf die Kooperation und das positive Verhalten des Kindes kann unsere Wahrnehmung verändern.

Wo kommt das Denken also her, dass Kleinkinder uns ärgern wollen?

Wir sehen also: Kleinkinder wollen uns nicht mit ihrem manchmal unangenehmen Verhalten ärgern oder vor anderen vorführen. Sie sind kleine Kinder, die sich noch in der Entwicklung befinden und genau jetzt genau richtig sind. Es ist sinnvoll, dass sie so reagieren, wie sie reagieren, weil sie noch kein großes Erfahrungswissen haben, auf das sie zurückgreifen können in schwierigen Situationen und weil sie in für sie schwierigen Situationen darauf angewiesen sind, von uns Hilfe zu bekommen. Hilfe, von der sie nach und nach in Kombination mit der eigenen Reifung lernen, die Hilfsangebote selbst umsetzen und anzuwenden.

Was also bleibt, sind die Fragen: Warum habe ich diesen Glaubenssatz verinnerlicht, dass ich jedes Verhalten des Kindes, das nicht meinen Vorstellung entspricht, als Ärgern und bewusste Aktion gegen mich interpretiere? Welches Bild von Kindern wurde da eigentlich in uns geprägt und welche Erwartungshaltung, die uns noch heute so sehr belastet? Wir haben eine Geschichte von Kindheit und Erziehung hinter uns, die auf Anpassung und gehorsam ausgelegt war und über geringes Wissen über kindliche (Gehirn-)entwicklung verfügte. Das alles lässt eine Erwartungshaltung gegenüber Kleinkindern entstehen, die nicht an ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen orientiert ist und zu negativem Erziehungsverhalten verleitet, das Kindern nachgewiesermaßen aber mehr schadet als ihnen ein gutes und gesundes Rüstzeug für die Zukunft mitzugeben.

Lassen wir diese Glaubenssätze also lieber hinter uns und denken wir bewusst in der nächsten anstrengenden Situation: “Ich weiß zwar noch nicht, was es will, aber mein kleines Kind will mich gerade nicht ärgern.”

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Elterlicher Stress als Einflussfaktor auf Erziehung

Theoretisch wissen es Eltern: Eine sichere Bindungsbeziehung für Kinder ist von Vorteil für die kindliche Entwicklung. Sie kann das Fundament bilden für ein gutes Selbstwertgefühl, kann die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen erhöhen und sich auf das Eingehen zukünftiger Beziehungen positiv auswirken. Natürlich können wir unsere Kinder nicht vor allen äußeren Einflüssen schützen, aber eine sichere Bindungsbeziehung kann ihnen helfen, mit widrigen Einflüssen besser umgehen zu können.

Viele Eltern sind deswegen darum bemüht, mit ihren Kindern genau darauf hinzuwirken. Sie lesen Bücher und Blogs, nehmen an Kursen teil und arbeiten eigene Kindheitserfahrungen auf, die das Verhalten gegenüber den eigenen Kindern noch heute prägen. Manchmal ist es schwer, die geprägten inneren Bilder über die Beziehung zwischen Eltern und Kind zu überwinden und neue, moderne Wege zu gehen. Gerade dann, wenn die eigene Kindheit durch psychische und/oder körperliche Gewalt besonders geprägt war, kann es eine große Herausforderung sein, diese inneren Bilder und besonders in Konfliktsituationen auftretenden Handlungsimpulse zu überwinden. Der Weg zu einer gewaltfreien Kindheit ist nicht immer einfach und vor allem höchst unterschiedlich herausfordernd: Eltern haben einen unterschiedlich schweren Rucksack auf dem Weg der Begleitung von Kindern zu tragen.

Auswirkungen von Stress auf unser Verhalten

Neben diesen individuellen Erfahrungen, die uns die Begleitung von Kindern erschweren können, gibt es jedoch zusätzlich erschwerende Rahmenbedingungen für die bedürfnisorientierte Begleitung von Kindern, die auf nahezu alle Eltern einwirken und jene, die ohnehin schon größere Herausforderungen ausgesetzt sind, zusätzlich belasten: Stress.

Stress wirkt sich auf unsere Feinfühligkeit aus, die eine wichtige Voraussetzung für das Begleiten von Kindern ist: Für sichere Bindungsbeziehungen müssen wir die Signale des Kindes wahrnehmen können, richtig interpretieren und dann passend beantworten. Natürlich können wir nicht immer auf alle Bedürfnisse des Kindes prompt und angemessen reagieren, aber in der Mehrheit der Fälle sollte das möglich sein, so dass das Kind verinnerlicht, dass es mit seinen Bedürfnissen gut bei uns aufgehoben ist und wir es sicher versorgen. Das, was viele Eltern als “intuitives Umsorgen” bezeichnen oder “Bauchgefühl” – das intuitiv richtige Eingehen auf das Kind – kann sowohl durch die oben genannten negativen eigenen Erfahrungen als auch durch Stress überdeckt werden.

Gerade sozioökonomisch schwierige Situationen von Familien können den Stress erhöhen und sich damit negativ auf die Eltern-Kind-Interaktion auswirken. Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt beispielsweise, dass sich ein einer sozioökonomisch belasteten Stichprobe von Müttern mit Kindern eine geringere Feinfühligkeit und kindliche Kooperation zeigt. Eine andere Studie aus 2007 zeigt beispielsweise, dass emotionale Wärme und Zuneigung der Eltern tendenziell mit zunehmender Geschwisteranzahl sinkt, wahrscheinlich durch größere Belastungen und mehr Stress.

Gerade die Mental Load Debatte der vergangenen Jahre hat auch gezeigt, dass es gerade Mütter sind, die besonders viel Alltagsstress und Last tragen müssen: Durch das Mutterbild gibt es einen hohen Erwartungsdruck an die Begleitung der Kinder, dabei sind sie sowohl dem Gender-Pay-Gap, als auch Gender-Care-Gap und Gender-Renten-Gap ausgesetzt und als häufig in Teilzeitverhältnissen beschäftigten Personen auch unter Zeitdruck zwischen Erwerbs- und Fürsorgearbeit.

“Es ist, mit etwas Abstand betrachtet, ganz schön unfair, dass oft die Mutter-Kind-Beziehung darunter leiden muss, dass wir als Mütter so aufgeladen sind mit Erwartungen und Aufgaben.”

Susanne Mierau “New Moms for Rebel Girls”

Stress ist also ein ganz wichtiger Einflussfaktor auf unser Verhalten. Oft ist es das (aus Sicht des Kindes normale, kindliche) Verhalten, das unser durch den Alltag aufgefülltes Stressfass zum Überlaufen bringt: Nach einem ohnehin stressigen Tag verkippt das Kind am Tisch den Tee abends. Wären wir ausgeglichen nach einem ruhigen Tag würden wir vielleicht viel besonnenen reagieren als wenn wir ohnehin angespannt sind und in dem verkippten Tee nur noch eine weitere Tätigkeit sehen, um die wir uns kümmern müssen und ärgerlich werden.

Es sind nicht immer “nur” die Eltern Schuld

In Familien kommen Menschen mit unterschiedlichen Temperamenten zusammen. Unsere Kinder kommen schon mit unterschiedlich ausgeprägten Temperamentsdimensionen zu uns und manche Kinder sind ruhiger, andere aufgeweckter, manche aggressiver, manche zurückhaltender. Kinder sind keine Tongefäße, die wir formen können. Und auch Eltern bringen unterschiedliche Temperamente und verschiedene eigene Erfahrungen mit in das Familienleben, die ihr Handeln leiten und mehr oder weniger Unterstützung und/oder Bearbeitung für ein bedürfnisorientiertes Zusammenleben benötigen. Zu diesen vielen schon feststehenden Faktoren kommt als großer Einflussfaktor dann noch der Stress unserer Zeit hinzu, der sich auf die Feinfühligkeit auswirkt, auf unsere persönlichen Ressourcen und überhaupt die Möglichkeit, Zeit zu haben, um Hilfen in Anspruch nehmen zu können und Zugang zu ihnen zu haben.

Es liegt nicht nur alles in den Händen der Eltern. In den vergangenen Jahren haben wir zuerst daran gearbeitet, das Bild davon zu verändern, was Kinder brauchen und die Bedeutung der sicheren Bindung in den Vordergrund zu rücken. Danach kam die Bedeutung der Selbstfürsorge von Eltern verstärkt in den Blick. Nun müssen wir, für ein gesundes Aufwachsen der Kinder, ganz besonders auch die allgemeinen Rahmenbedingungen zu den anderen Punkten noch hinzunehmen. Nicht alle Stressfaktoren liegen im Rahmen persönlichen Handlungsspielraums und können von Eltern selbst verändert werden.

Eltern sind darauf angewiesen, dass sie gute Rahmenbedingungen geboten bekommen, in denen sie ihre Kinder begleiten können. Dies bezieht sich sowohl auf finanzielle Rahmenbedingungen, als auch Zugang und Vorhandensein von Hilfs- und Beratungsangeboten, aber auch auf allgemeine Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten, Druck durch Arbeitgeber*innen, Freizeit- und Entspannungsmöglichkeiten, Angst vor Altersarmut, die wieder den Arbeitsstress erhöht etc. Die Gesellschaft trägt einen wesentlichen Anteil daran, wie es Eltern heute geht und damit, wie sie ihre Kinder überhaupt begleiten können.

Gerade in der Pandemie und in Bezug auf Gewaltschutz, Resilienz, Stärkung von Kindern in dieser Zeit und Unterstützung von Familien müsste mehr in den Blick genommen werden, wie wichtig die Stressentlastung für Familien eigentlich ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

Das kindliche Schlafbedürfnis als Strukturgeber

Eines vorab: Natürlich gibt es immer Situationen, in denen es nicht möglich ist, sich nach den Bedürfnissen des Kindes zu richten. Manchmal gibt es einen dringenden auswärtigen Termin, manchmal ist der Tag einfach irgendwie chaotisch und ständig kommt irgendwas zwischen die normalen Abläufe. Manchmal ist auch gerade die Struktur des Kindes im Wandel, wenn es einen neuen Tagesrhythmus hat, vielleicht mehr oder weniger Bewegung oder gerade eines der Tagesschläfchen weglässt. Wir alle kennen diese Tage, an denen es etwas durcheinander ist, wir alle haben hin und wieder solche Tage. Unabhängig von den Ausnahmen ist es aber hilfreich, gerade in der Baby- und Kleinkindzeit, das Schlafbedürfnis des Kindes zu beachten und soweit es geht, in die Tagesplanungen einzubinden. – Dies kann sich nämlich sowohl für das Kind, als auch die Eltern als förderlich erweisen.

Wenn Kinder müde sind…

Auch als Erwachsene kennen wir es, wie es sich anfühlt, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Oder nicht einschlafen zu können/zu dürfen, obwohl wir eigentlich müde sind. Wenn Kinder müde sind, brauchen auch sie diesen Schlaf. Der Schlaf ist eine wichtige Erholungszeit unseres Körpers, stellt Balance her und dient sogar der Vertiefung von Lernerfahrungen. Babys und Kleinkinder haben aber oft noch Schwierigkeiten, selbst und eigenständig in den Schlaf überzugehen. Sie brauchen oft noch die Regulation durch ihre nahe(n) Bezugsperson(en) und die Sicherheit deren Nähe, um wirklich einschlafen zu können. Nur wenige Kinder schlafen tatsächlich einfach problemlos an Ort und Stelle ein, wenn sie müde sind. Hilfreich ist es, wenn diese Bezugspersonen schon frühzeitig erkennen, dass das Kind nun müde wird und Rahmenbedingungen herstellen, die das Einschlafen ermöglichen. Je nach Temperament des Kindes kann es unterschiedlich sein, was ein Kind braucht: Manche Babys schlafen problemlos auch bei hellem Licht und lauten Geräuschen ein, andere brauchen mehr Abgeschiedenheit. Wenn die Bezugsperson erkennt, dass das Kind nun müde wird, sollte gehandelt werden. Findet das Kind den Absprung zum Schlaf nämlich nicht, kann es überreizen und dann noch schwerer in den Schlaf finden und zunehmend ungehaltener werden.

Ein müdes Kind, das nicht einschläft, fühlt sich selbst nicht nur unwohl, sondern auch die Eltern sind von einem übermüdeten Kind und scheiternden Beruhigungsangeboten schnell überfordert: der Stress verstärkt sich, die Feinfühligkeit sinkt, es kann zum Streit kommen, obwohl niemand so richtig etwas an der Situation ändern kann: Ein Kind schläft nicht ein, wenn man ihm einfach sagt, dass es nun schlafen soll. Das hat nichts mit Machtkämpfen, Trotz oder Widerwillen zu tun: Um einschlafen zu können, braucht es Müdigkeit und passende Rahmenbedingungen. Deswegen ist es wichtig, schon bei geringen Müdigkeitszeichen wie einem starren Blick, Ruhe und/oder Rückzug des Kindes zu handeln und eine für dieses Kind passende Schlafumgebung herzustellen.

Tagesstruktur als Schlafhilfe

Einerseits ist es also wichtig, auf die Müdigkeitszeichen des Kindes zu achten, andererseits zeigen viele Kinder auch recht regelmäßige Schlafrhythmen und werden in etwa zur gleichen Zeit am Tag müde. Wenn Eltern ein Kind haben, das solche Regelmäßigkeiten und Rhythmen zeigt, ist es sinnvoll, diese zu berücksichtigen, um der Überreizung des Kindes und der eigenen Überreizung vorzubeugen. Viele Eltern kennen die Situation, wenn das Kind am Nachmittag zunächst nicht einschläft, weil etwas aufregendes unternommen wurde, dann vielleicht quengelig wird, um dann am Spätnachmittag einzuschlafen, wodurch sich der Abendschlaf verschiebt, obwohl der Abend doch schon für einen gemütlichen erwachsenen Fernsehabend verplant war. Das ist oft für alle Beteiligten eine unangenehme Situation. Daher hilft es, solange noch mehrere Schlafenszeiten tagsüber stattfinden, sich an dem Rhythmus des Kindes zu orientieren und nach Möglichkeit Termine so zu legen, dass die gewohnten Schlafphasen eingehalten werden können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

Glück ist, wenn man so geliebt wird, wie man ist

Dürfen wir dich zu Beginn dieses Artikels zu einer kleinen Reflexion einladen?

Gehe in Gedanken in deine Kindheit und Jugendzeit zurück. Denke an deine engsten Bezugspersonen: deine Eltern, Großeltern oder andere Menschen, die wichtig waren. Welche Erwartungen an dich hast du von wem gespürt? Welche davon konntest du erfüllen, welche nicht? Welchen versuchst du heute noch zu entsprechen? Wie musstest du sein, was musstest du tun, um Liebe und Anerkennung zu erhalten? Und wie hat dich das geprägt?

Wenn du dich mit diesen Erfahrungen beschäftigst, wirst du vielleicht merken, dass sie einen großen Einfluss auf dein Selbstwertgefühl hatten und haben.

Was ist das “Selbstwertgefühl”?

Der Sozialpsychologe Morris Rosenberg definierte 1965 Selbstwertgefühl als eine Haltung oder Einstellung, die wir uns selbst gegenüber einnehmen. Seiner Definition zufolge empfindet sich eine Person mit hohem Selbstwertgefühl als «gut genug»; er glaubt, dass er als Mensch wertvoll ist und kann sich mit seinen positiven und negativen Facetten annehmen – ohne sich deswegen als etwas Besonderes zu sehen oder zu erwarten, dass andere ihn bewundern.

Für die Entwicklung unseres Selbstwertgefühls ist es entscheidend, welche Beziehungserfahrungen wir mit anderen machen. Wenn wir uns geliebt, geborgen, gesehen und angenommen fühlen, wächst unser Selbstwertgefühl. Fühlen wir uns zurückgewiesen, abgelehnt oder kritisiert, macht sich jemand lustig über uns oder zeigt sich verächtlich, dann leidet unser Selbstwertgefühl.

Unser Selbstwertgefühl kann aber nicht nur mehr oder weniger hoch sein, es kann auch mehr oder weniger stark an Bedingungen geknüpft sein.

Wenn Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise sein oder sich verhalten müssen, um Wertschätzung und Zuneigung zu erfahren, bildet sich ein an Bedingungen geknüpftes Selbstwertgefühl aus. Ein Kind kann beispielsweise erleben:

  • Ich werde geliebt, wenn ich Leistung zeige, gute Noten und sportliche Erfolge erziele.
  • Ich bin nur dann liebenswert, wenn ich brav bin und meinen Eltern gehorche.
  • Damit mich meine Eltern annehmen können, muss ich mich den religiösen Überzeugungen meiner Familie anschließen.
  • Um Liebe und Anerkennung nicht zu verlieren, muss ich darauf achten, immer schlank, gutaussehend und vorzeigbar zu sein.
  • Liebe muss man sich verdienen, indem man besonders hilfsbereit ist und sich für andere aufopfert.

Natürlich finden wir es alle schön, wenn wir Erfolge erzielen, gut aussehen oder anderen Menschen helfen können und reagieren verunsichert, wenn dem nicht so ist. Problematisch wird es, wenn das Selbstwertgefühl so stark an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in eine regelrechte Krise stürzen, wenn sie diese für einmal nicht erfüllen können. Wenn sie sich bei einer schlechten Note gleich als Versager abstempeln und sich jede Prüfung anfühlt, als ginge es um Leben und Tod. Wenn sie sich schuldig fühlen, sobald sie eine Bitte ausschlagen oder für ihre Bedürfnisse einstehen. Wenn sie sich als bösen Sünder sehen, weil sie sich „schmutzigen Gedanken“ hingegeben oder unchristlich verhalten haben. Wenn sie sich nicht mehr um einen anderen Menschen kümmern können und sich deswegen als Nichtsnutz oder wertlos empfinden. Wenn sie befürchten, dass ihre Freunde sie nicht mehr mögen oder sie nie eine/n Partner/in finden werden, wenn sie ein, zwei Kilo zunehmen.

Wie Erwartungen uns den Blick auf unsere Kinder verstellen

Hand aufs Herz: Wir alle haben bestimmte Bilder und Erwartungen im Kopf, wünschen uns, dass unsere Kinder bestimmte Eigenschaften, Interessen oder Werte zeigen und reagieren vielleicht auch enttäuscht, wenn unsere Kinder nicht so sind. Vielleicht möchten wir, dass unser Kind besonders sozial und einfühlsam ist und sind irritiert, wenn es sich als dominanter Rowdy zeigt und gerne mit Waffen spielt. Manchmal verstellen uns unsere Wünsche auch den Blick auf das Kind. Sehr treffend drückt das Familylab-Leiter Matthias Volchert aus: „Kann ich dich noch sehen wie du bist, oder bestimmen meine Erwartungen schon mein Bild von dir?“

Ein Kinderbuch greift dieses Thema auf

So geht es auch Jaron, dem jungen Fuchs in unserem Buch „Jaron auf den Spuren des Glücks“. Dieser könnte sich sehr viel Schöneres vorstellen, als am Sonntagmorgen bei einem Fußballspiel auf dem Platz zu stehen. Nur leider hat sein Vater das Gefühl, dass ihm der Sport guttun und ihm dabei helfen wird, mehr Biss und Durchhaltevermögen zu entwickeln:

«Dieses blöde Fußball! Warum muss ich da hin? Vielleicht könnte ich sagen, dass ich krank bin…», denkt Jaron. Aber da schallt ihm bereits ein aufgeregtes «Morgen, Sportsfreund!» entgegen. Papa Fuchs steht am Herd und wendet Pfannkuchen – etwas, das er nur zu besonderen Anlässen tut.

Jaron lässt sich auf seinen Stuhl plumpsen, hängt sich über die Tischplatte und legt den Kopf auf die Arme. 

Ein Turm aus Pfannkuchen schiebt sich in sein Blickfeld. Der Ahornsirup läuft an den Rändern herunter und bedeckt die Himbeeren und die Sahne auf dem Teller. Jarons Lieblingsgericht! Doch heute starrt er mit einem Kloß im Hals auf den süßen Turm, der ihm unendlich groß erscheint. «Ich schaff das nicht», murmelt er.

«Du musst ja nicht alle essen», antwortet Papa Fuchs. «Zwei oder drei Pfannkuchen reichen sicher.» Der Vater klopft ihm auf die Schulter und setzt sich mit einer Tasse Kaffee zu Jaron an den Tisch. «Ist vielleicht sowieso besser. Mit vollem Magen rennt es sich nicht gut. Und wir wollen ja, dass du fit bist heute.»

Leider kann Jaron auch in seiner Mannschaft nicht auf Rückhalt zählen. Nachdem er im Finale den entscheidenden Elfmeter verschossen hat, schließen ihn seine Kameraden vom gemeinsamen Eisessen aus und machen sich über ihn lustig.

“Nicht gut genug” zu sein begleitet uns oft lebenslang

In Seminaren und Beratungen mit Eltern und Fachpersonen merken wir immer wieder, dass das Gefühl, nicht zu genügen, erstaunlich viele Menschen seit der Kindheit begleitet.

Sie haben deutlich gespürt, dass sie für ihre Eltern, Lehrkräfte, aber auch Gleichaltrige zu laut, zu schüchtern, zu anstrengend, zu empfindlich, zu faul, zu ehrgeizig, zu unsportlich, zu dick oder zu uncool waren. Einige haben erlebt, dass sie für ihre Eltern etwas Besonderes sein müssen: Die Beste Schülerin, ein Spitzensportler – und man die Aufmerksamkeit der Eltern vor allem dann bekommt, wenn man aus der Masse herausragt. Manche fühlten sich nicht angenommen, weil sie nicht das ersehnte Geschlecht hatten, dem gängigen Rollenbild eines „richtigen Jungen“ oder eines „richtigen Mädchens“ nicht entsprachen oder vom Charakter her dem Expartner schmerzlich ähnelten, den die Mutter oder der Vater verteufelte. Einige hatten erlebt, dass ihre Eltern immer wieder davon sprachen, wieviel sie für die Kinder geopfert hatten, wie anstrengend die Vater- oder Mutterschaft für sie ist – und man als Kind dieses Opfer nur durch ganz viel Dankbarkeit und Angepasstheit aufwiegen kann.

Warum fällt uns bedingungslose Liebe manchmal so schwer?

Ein unabhängiges Selbstwertgefühl nimmt uns den Druck, immer etwas tun oder uns den Erwartungen anderer anpassen zu müssen, um geliebt zu werden.

Es entsteht, wenn Kinder und Jugendliche von verschiedenen Bezugspersonen immer wieder erfahren dürfen, dass sie auch dann geliebt und angenommen werden, wenn sie nicht deren Vorstellungen entsprechen.

Vielleicht geht es dir wie uns und es fällt dir auch nicht immer leicht, dein Kind im Alltag so anzunehmen, wie es ist? Vielleicht ertappst du dich auch manchmal dabei, wie dich dein Kind nervt, wie du deine Enttäuschung nicht verbergen kannst oder dein Mutter- oder Vaterherz vor lauter Stolz anschwillt, wenn dein Kind deine (unbewussten) Erwartungen erfüllt oder sogar übertrifft?

Auch wenn sich die Forderung, sein Kind bedingungslos zu lieben, in vielen modernen Elternratgebern wiederfindet, so ist sie doch relativ neu.

Es ist hilfreich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass dieses Konzept aus der Psychotherapie stammt. Beschrieben hat es als erster der humanistische Therapeut Carl Rogers, der Begründer der Gesprächspsychotherapie. Er ging davon aus, dass Menschen lernen können, sich selbst anzunehmen und schwierige Erfahrungen zu integrieren, wenn sie dabei von einem empathischen, authentischen und wertschätzenden Gegenüber begleitet werden. Dabei macht es sich der Therapeut zur Aufgabe, vorurteilsfrei zuzuhören.

Das ist natürlich in einem professionellen therapeutischen Setting deutlich einfacher als in engen, persönlichen Beziehungen. Um es mit einem plakativen Beispiel auszudrücken: Die Aussage „ich bin fremdgegangen“ ist für den Therapeuten einfacher zu ertragen als für die Partnerin.

Je enger die Beziehung zu unserem Gegenüber ist, je mehr sein Verhalten unser eigenes Leben beeinflusst und je stärker wir uns emotional mit jemandem verbunden fühlen, desto anspruchsvoller wird es, unbedingte Liebe zu zeigen.

Im Gegensatz zu einem neutralen Therapeuten haben wir Hoffnungen und Wünsche für unsere Kinder. Wir wollen das Beste für sie und ihnen ein glückliches Leben ermöglichen. Abhängig davon, wie wir aufgewachsen sind, haben wir sehr fixe Überzeugungen, was dazu nötig ist und welche Eigenschaften uns das ermöglichen. Entsprechend schnell läuten unsere Alarmglocken, wenn die Kinder vom vermeintlich „richtigen“ Weg abkommen: Manche Eltern sind so stark mit dem Schulerfolg ihrer Kinder identifiziert, dass sie vor Prüfungen schlaflose Nächte haben; andere geraten in Panik, wenn sich das Kind phasenweise „asozial“ verhält oder fürchten gleich um das Seelenheil des Kindes, wenn es sich von bestimmten Werten und religiösen oder politischen Überzeugungen ablöst.

Bedingungslose Liebe ist ein Geschenk

Wenn Eltern erkennen, dass bedingungslose Liebe wichtig ist, machen sie daraus zum Teil eine absolute Forderung: Du musst dein Kind stets annehmen und bedingungslos lieben!

Daraus leiten sie ab, dass sie nie wütend oder enttäuscht reagieren dürfen, schimpfen verboten ist und man sich sogar schuldig fühlen muss, wenn man sein Kind gelobt hat – schließlich ist doch auch das eine Form der Manipulation?

Bedingungslose Liebe wird plötzlich zu einem komplexen Regelwerk, an das man sich mit aller Verbissenheit halten muss, um keine schlechte Mutter, kein schlechter Vater zu sein.

Ohne es zu merken, tappt man erneut in die Falle der bedingten Wertschätzung: „Ich bin als Mutter oder Vater nur dann liebenswert, wenn ich alles richtig mache, meinem Kind gegenüber keine „negativen“ Gefühle zeige und es auf keine Art und Weise „manipuliere“.“

Wenn wir unseren Kindern bedingungslose Liebe schenken möchten, ist es hilfreich, wenn wir bei uns selbst beginnen und uns mit einer annehmenden und akzeptierenden Haltung begegnen.

Dazu dürfen wir uns bewusst machen: „Auch ich darf Fehler machen, ab und zu unangemessen reagieren, Gefühle haben, die mir nicht immer pädagogisch korrekt erscheinen – und kann trotzdem eine liebevolle Mama, ein liebevoller Vater sein.“

Anstatt uns selbst abzuwerten oder in Schuldgefühlen zu versinken, können wir uns annehmen und gleichzeitig Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen. Das gelingt uns besser, wenn wir ehrlich mit uns sind und hinterfragen, welche Bilder, Wünsche und Bedürfnisse hinter unseren Reaktionen stehen:

  • „Jetzt habe ich meine Kinder wieder angeschrien. Es bringt mich so auf die Palme, wenn sie sich zoffen! Ich habe gedacht, mit einem zweiten Kind sei unser Familienglück perfekt. Ich habe mir das so schön vorgestellt, wenn sie immer einen Spielgefährten zu Hause haben – aber jetzt streiten die beiden pausenlos und sind eifersüchtig aufeinander. Ich merke gerade, dass mich das enttäuscht und ziemlich traurig macht.“
  • „Wenn ich sehe, dass mein Sohn so wenig für die Schule tut und ihn schlechte Note überhaupt nicht jucken, versetzt mich das in Rage! Wenn ich ehrlich bin, kriege ich es mit der Angst zu tun, dass er sich seine Zukunft verbaut und ich schuld daran sein werde, wenn ich das zulasse.“
  • „Mein Kind ist schon wieder so dominant und kommandiert die anderen rum. Am liebsten würde ich es von seinem hohen Ross herunterholen oder ihm die kalte Schulter zeigen! Es ärgert mich so, wenn sich Menschen über andere stellen, das weckt ganz viele schlechte Erinnerungen in mir. Ich habe immer darunter gelitten, wenn andere so bossy mit mir umgegangen sind.“

Zu dem Autor und der Autorin:
Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor. Stefanie Rietzler ist Psychologin und Autorin. Ihr neues Kinderbuch Jaron auf den Spuren des Glücks” geht der großen Frage nach dem Glück nach, das manchmal in kleinen Dingen steckt. Zudem schreiben beide regelmäßig für das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi. Mehr erfahren Sie unter mit-kindern-lernen-ch  

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

Vorsicht, was du sagst! – Wie wir vor unseren Kindern über sie reden

“Ach, er ist immer so tollpatschig!”, “Schau mal, wie sie miteinander spielen, sie ist ja immer so süß!”, “Und letztens, also da hat er sich wieder angestellt beim Anziehen. So ein cholerisches Kind!” – Wir kennen sie, die Spielplatzgespräche von Eltern untereinander. Ein bisschen was vom Alltag teilen, ein bisschen etwas von der Anspannung und dem Stress teilen. Ein bisschen Austausch und manchmal in der Kürze auch ein wenig überzogen. Woran wir in diesen – und anderen – Situationen manchmal nicht denken, sind die Kinder, sie sich in Hörweite befinden.

Ob nun im Gespräch auf dem Spielplatz, bei einer Familienfeier oder vor sich hingenuschelt im Alltag ohne anderes erwachsenes Gegenüber: Schnell kommen uns Worte über unsere Kinder über die Lippen. Besonders zu beachten sind natürlich die negativen Beschreibungen, die wir über unsere Kinder abgeben, aber auch vermeintlich positive Kommentare können eine störende Wirkung auf unsere Kinder haben.

Sie verstehen mehr, als wir denken

Schon viel früher, als wir manchmal annehmen, bildet sich das sprachliche Verstehen aus: Unsere Kinder verstehen früher Worte, als sie sie selbst produzieren. Und damit nehmen sie auf, was wir erzählen. Und sie hören es nicht nur, sondern bilden über das, was wir sagen, ein Bild von sich selbst aus. Wenn wir sie immer wieder in einer bestimmten Weise beschreiben, prägt sich das in ihr Selbstbild ein. Sie bilden das Bild von sich auch über die Art und Weise, wie wir sie spiegeln: Wer immer nur süß oder wild oder anstrengend ist in den Augen anderer, nimmt dies in das Bild über sich selbst auf. Und auch wenn “süß” im ersten Moment lieb klingt, ist es anstrengend, wenn andere das von einem erwarten und man dies als Selbstkonzept übernehmen muss.

Ein positives Selbstbild nicht behindern

Was wir also tun können, um positive Selbstbilder in unseren Kindern zu ermöglichen? Wählen wir die Worte, die wir über unsere Kinder sagen, mit Bedacht. Gerade dann, wenn sie in der Nähe sind und auch dann, wenn sie selbst noch nicht sprechen. Erklären wir auch anderen, dass unser Kind mehr versteht, als wir vielleicht denken und vermitteln wir, dass es wichtig ist, respektvoll mit Kindern und über Kinder zu sprechen. Und wenn wir wirklich – und auch das ist als Elternteil völlig legitim – über unsere Kinder in drastischen Worten reden wollen mit guten Freund*innen, dann tun wir das doch lieber, wenn sie wirklich nicht in der Nähe sind.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

Baby-led Weaning aus ernährungswissenschaftlicher Sicht

Wie haben unsere Vorfahren ihre Babys ernährt? Sicherlich hatten die Menschen in der Steinzeit keinen Pürierstab, mit dem sie einen Süßkartoffel-Broccoli-Hähnchenbrei gezaubert haben. Für Babys gab es oftmals Getreidebrei oder sie wurden über Jahre gestillt, bis sie die feste Nahrung essen konnten. In den letzten Jahren ist das BLW in unseren Breitengraden durch die Hebamme Gill Rapley bekannt und populär geworden. Sie betont, dass diese Art und Weise der Beikost nicht neu sei, sondern seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt praktiziert werde. Darüber hinaus profitiere die ganze Familie davon, weil durch die breifreie Ernährung für das Baby selbstbestimmtes Essen ohne Druck und Zwang möglich sei.

Welcher Leitgedanke steckt hinter dem Begriff BLW?

Das Baby-led Weaning, kurz die Baby- geführte Entwöhnung von der Muttermilch, ist eine Form der Beikost, bei der das Baby den Übergang von der Milch zur festen Nahrung selbst steuert. Zusätzlich zur Muttermilch tastet es sich im wörtlichen Sinne spielerisch an feste Nahrung heran. Dabei steht anfangs nicht im Vordergrund, WAS genau und WIEVIEL dein Baby isst, sondern vielmehr, dass die kleinen Wesen die Möglichkeit bekommen, selbstbestimmt in ihrem eigenen Tempo Lebensmittel zu erkunden. Langsam tastet sich dein Baby mit allen Sinnen an das Essen heran. Die Energie und Nährstoffe erhält es anfangs eher über die Mutter- bzw. Säuglingsmilch. 

Was ist der wesentliche Unterschied im Vergleich zur landesüblichen Breikost? Statt Breifütterungen gibst du deinem Baby Fingerfood. So werden Löffel und stetiges Anreichen der Mahlzeiten überflüssig. Wir als Eltern bieten die Mahlzeiten an und die Kinder bestimmen ganz individuell, was sie essen möchten. Es wird davon ausgegangen, dass Babys intuitiv das Essen auswählen, was sie für ihre Entwicklung brauchen. Wir als Eltern geben ihnen die Möglichkeit zu entscheiden WAS, WIEVIEL und in WELCHER GESCHWINDIGKEIT sie essen wollen. Deshalb ist die Zusammensetzung der breifreien Babyernährung schwer mess- und vergleichbar mit der landesüblichen Breikost. 

Wie sieht die Praxis des BLW aus?

Kurz gesagt, isst du beim BLW zur gleichen Zeit, am selben Tisch mit deinem Baby das gleiche Essen. Wie lässt sich die breifreie Alternative zur Babyernährung grob in 6 Punkten beschreiben?

  1. Es ist ein Baby-gesteuertes Konzept zur Beikosteinführung
  2. Es gibt Fingerfood statt Brei
  3. Du servierst Familiengerichte
  4. Die Hauptenergie bezieht dein Baby anfangs durch das Stillen
  5. Gestillt wird zwischen den Mahlzeiten
  6. Du entscheidest, was du deinem Baby anbietest, denn es gibt keinen vorgegebenen Speiseplan

BLW – nur ein Trend oder eine tatsächliche Alternative zum Brei?

Immer mehr Familien hierzulande entscheiden sich für die breifreie Babyernährung, wobei sich beide Konzepte – also Brei und Fingerfood, auch gut kombinieren lassen. Du musst dich nicht für die eine oder andere Variante endscheiden! Wenn du dir nicht sicher bist, welcher Weg für eure Familie der passende ist, könnt ihr euch Rat bei eurer Hebamme, Kinderärzt*in suchen oder mit Ernährungsfachkräften darüber reden.

  • Sofern du die Reifezeichen deines Babys berücksichtigst,
  • abwechslungsreiches Essen anbietest,
  • gezielt dem Verschlucken vorbeugst,
  • und die regulären ärztlichen Kontrollen wahrnimmst,
  • kannst du das BLW gut umsetzen.

Pauschal gibt es auch aus dem Blickwinkel der Ernährungswissenschaften keine festgefahrenen Empfehlungen zur „optimalen“ Beikostmethode, weil vergleichende Langzeitanalysen fehlen. Der Vorteil der Breiernährung liegt darin, dass die Rezepturen auf den Nährstoffbedarf deines Babys abgestimmt sind. Für die Nährstoffe Fluorid, Jod, Vitamin D und K (Nährstoffe, die auch bei der Breiernährung zu kurz kommen) gibt es deshalb Empfehlung zur Nahrungsergänzung. Welche Nährstoffe beim BLW kritisch werden können, ist noch nicht hinreichend erforscht.

Was sind die diskutierten Vor- und Nachteile?

Vorteile

  • Das BLW kann einen positiven Einfluss auf die Hunger- und Sättigungs-Regulation haben.
  • Die motorischen Fähigkeiten des Babys werden geschult.
  • Der Beziehungsaufbau und Interaktion zwischen Eltern und Kind wird durch gemeinsame Mahlzeiten gefördert.
  • Ein abwechslungsreicher Speiseplan ist durch eine Vielfalt von Geschmack und Konsistenz möglich.
  • Es bietet für Eltern den Anreiz, sich gesünder zu ernähren.
  • Baby- und Familienmahlzeiten werden gemeinsam gestaltet.

Nachteile

  • Möglicherweise ist die Gefahr des Verschluckens höher.
  • Tendenziell ist die Versorgung mit Eisen geringer.
  • Die Gefahr des zu hohen Salzkonsums besteht, sofern Eltern die Speisen nicht explizit salzfrei gestalten.
  • Es bestehen höhere Tendenzen zur Energieunterversorgung, aber auch nährstoffreiche Gerichte sind beim BLW schwieriger umzusetzen.
  • Babygerechte Fingerfoodgerichte sind aufwändiger zuzubereiten.

Wie du siehst, bringt das BLW viele Vorteile, aber auch einige Risiken mit sich. Was sagen unsere Fachgesellschaften dazu? Die Mehrheit der Expert*innen und auch die Vereinigung nennenswerter Fachgesellschaften von Hebammen, Ärzt*innen und Ernährungsfachkräften (Netzwerk „Gesund ins Leben“) sprechen kein eindeutiges „Ja“ zum BLW aus, weil sie fürchten, dass sich die kleinen Wesen an den groben Stücken verschlucken können, und weil sie das Risiko für einen Nährstoffmangel als potenzielle Gefahr sehen. Schließlich wählt im Gegensatz zur Breikost das Baby frei, was es essen möchte und was nicht. Andererseits sind die genannten Risiken nicht eindeutig wissenschaftlich belegt. Die Forschungslage steckt hier im wahrsten Sinne des Wortes noch in den Kinderschuhen. Derzeit beschreiben jüngste Fachartikel, wie du die Sicherheit erhöhen und das Risiko für einen Nährstoffmangel reduzieren kannst:

Wie die Sicherheit erhöhen?

  • Beachte die Reifezeichen deines Kindes: Ist es nach 6 Monaten wirklich bereit dafür?
  • Tagesstruktur: Versuche extreme Müdigkeit oder extremen Hunger vor der Mahlzeit zu verhindern!
  • Erhöhe die Sicherheit: lass dein Baby nie allein beim Essen, sorge für eine aufrechte Sitzposition und dass die Hände frei sind.
  • Biete das Essen in einer babygerechten Konsistenz an: Nicht nur an harten, runden Lebensmitteln, sondern auch an Schalen kann sich ein Kind verschlucken!

Was kommt beim Baby-led Weaning konkret auf den Teller? Was tun, um einen Nährstoffmangel zu verhindern?

  1. Die Grundlage bildet eine abwechslungsreiche Kost:
    Nutze die Vielfalt der Lebensmittel in Bezug auf Farben, Konsistenzen und Formen. Das heißt, du kannst nicht nur die Lebensmittel austauschen, sondern auch gleiches Essen in einer anderen Zubereitungsart (z. B. als Bratling) anbieten!
  2. Biete 3 bis 4 verschiedene Lebensmittel und jeweils 1 Stück von jedem auf dem Teller an. Es kann immer nachgenommen werden!
  1. Stelle mindestens ein energiereiches Lebensmittel (z.B. Brot mit Margarine) mit mindestens einem eisenreichen Lebensmittel (z. B. Bratenaufschnitt/Linsen-Aufstrich) pro Mahlzeit zusammen!
  2. Beobachtungen: Lasse die Entwicklung des Kindes ärztlich langfristig beobachten,
    u. a. auch, ob eine Nahrungsergänzung (z. B. mit Eisen) erforderlich ist?

Beispiele für BLW

Mahlzeiten-Ideen:

  • Eieromelette, z.B. mit Spinatfüllung
  • Pizza oder Flammkuchen mit Gemüse belegt
  • Risottobällchen mit Gemüse und Fisch
  • Lasagnemuffins
  • Ofengemüse + Ofenkartoffeln
  • eingerollte gefüllte Pfannkuchen
  • Gemüsebratlinge/ Frikadellen
  • Maiskölbchen/ Hähnchenkeule zum Abnagen

Snack-Ideen:

  • Grießschnitte
  • Bananenbrot
  • Brot- und Käsestreifen
  • Obststücke mit Nussmus
  • süße oder herzhafte Waffeln
  • süße oder herzhafte Muffins
  • Brokkoliröschen, Nektarinen- oder Avocadospalten
  • Gemüse/ Getreidestangen (z.B. Dinkelstangen) mit Dip
  • Maiswaffel mit pflanzlichem Aufstrich

Fazit

Das BLW kannst du alternativ zur Breikost oder zusätzlich praktizieren. Ansonsten ist es eine gute Ausweichmöglichkeit, wenn dein Baby das pürierte Essen verweigert. Mit 8 Monaten wird für Breibabys ohnehin empfohlen, Fingerfood anzubieten. So kannst du die breifreie Methode auch nutzen, um den Übergang zur Familienkost zu gestalten, sofern du Lebensmittel gezielt auswählst, Maßnahmen vornimmst und dem Verschlucken vorbeugst. Für die konkrete wissenschaftlich fundierte Bewertung des BLW sind allerdings noch Langzeitanalysen erforderlich.

Zur Autorin:
Nyara T. Gehringhoff ist Ernährungswissenschaftlerin (M. Sc.), arbeitet in einer ernährungsmedizinischen Abteilung im Krankenhaus und berät Familien rund um das Thema Ernährung. Für ihr Studium hat sie ein Stipendium der “Begabtenförderung Berufliche Bildung” des Bundesministerium für Bildung und Forschung erhalten. 2014 hat sie den Wissenschaftspreis beim internationalen Kongress der DGEM (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin erhalten. Mehr über ihre Arbeit erfährst du auf ihrem Blog nyarasfamilyfood.de und in ihrem Instagramkanal.

“Ich will das aber haben!” – Mit Kindern einkaufen gehen

Und da stehen wir: nach dem Kindergarten wollen wir eigentlich “noch schnell” eine Runde einkaufen gehen für das Abendessen, schließlich haben wir es vorher nicht geschafft. Das Kind neben uns erzählt ein wenig vom Kindergartentag und auf einmal möchte es so viel haben: dieses Joghurt hier mit dem lustigen Aufdruck, eine Süßigkeit da und dann geht es auch noch vorbei an den Kinderzeitschriften mit buntem Plastikspielzeug von den Fernsehsuperheld*innen. Und als wir an der Kasse ankommen, gibt es da auch noch einmal eine ganze Reihe an scheinbar leckeren Dingen. Sollen wir das wirklich alles kaufen? Spätestens jetzt, vielleicht schon früher ist der Moment da: Das Kind beginnt, vehementer einzufordern, schreit vielleicht, wird wütend. – Ein immer wieder auftretendes Problem, nur was lässt sich da tun?

Verständnis für das Kind

Ein typischer Zeitpunkt für das Einkaufen ist die Zeit nach dem Kindergarten: die Erwerbsarbeit ist vorbei, das Kind vom Kindergarten abgeholt, auf dem Weg nach Hause liegt der Einkaufsladen. Es könnte doch so einfach sein. Aber das Kind hat einen anstrengenden Tag hinter sich und auch wenn die Zeit im Kindergarten schön war, bedeutet sie auch oft, dass Kinder über mehrere Stunden viele Kooperationen eingehen müssen und viele Reize verarbeiten.

Nach dem Kindergarten passiert es ohnehin nicht selten, dass die Kinder sich erst einmal auf die andere Bezugsperson (meistens die Eltern) einstellen müssen, also eine Änderung der Bezugsperson vollzogen werden muss, und dass sie dort auf einmal Nähe und Zuwendung einfordern, vielleicht indem sie sich nun anziehen oder tragen lassen wollen oder auch eine Kleinigkeit zu essen oder zu trinken fordern. Vielleicht wollen sie sich jetzt erst einmal fallenlassen.

Nun auch noch einkaufen zu gehen, kann für das Kind, das schon viel kooperieren musste und erschöpft ist, vielleicht auch gerade etwas ganz anderes machen möchte, eine Herausforderung sein. Dazu kommen noch die vielen Reize im Einkaufsladen, die genau auf Kinder zugeschnitten sind. Wenn Mama oder Papa ohnehin einkaufen, dann kann es doch auch dieses oder jenes für mich sein? Einen Überblick über Kosten und gesunde Ernährungsweise können wir von unseren Kindergartenkindern noch nicht erwarten.

Bei dem beständigen Versagen von gewünschten Dingen passiert es schnell, dass das Kind emotional reagiert – je jünger, desto schwieriger ist es, die Emotionen reguliert zu zeigen. Sie brechen “einfach” hervor. Und unser “Nein” zu all den aus Kinderperspektive tollen Dingen kann ganz schön belastend sein für ein Kind.

Verständnis für die Erwachsenen

Auf der anderen Seite ist da ein Elternteil, das auch erschöpft ist vom Tag. Vielleicht ist auch hier die Kooperationsbereitschaft schon etwas eingeschränkt und der Wunsch groß, einfach schnell fertig zu werden, nach Hause zu kommen und die Beine hoch zu legen. Natürlich können Erwachsene viel besser mit ihren Gefühlen umgehen und dennoch sind auch sie manchmal erschöpft, müde, überreizt und es fällt nicht mehr so leicht, geduldig zu sein. Vielleicht ist es auch nicht so einfach, dass das Kind beständig so viele Wünsche hat, die sich nicht alle erfüllen lassen.

Und gerade dann, wenn um einen herum so viele Augenpaare sind, die das wütende Kind kritisch in den Blick nehmen, kann das auch zusätzlich belastend sein und weiteren Stress erzeugen.

Gemeinsam durch den Einkauf

Natürlich ist es, solange der Einkauf mit Kind emotional immer wieder aufreibend ist, praktisch, wenn er irgendwie ohne Kind organisiert werden kann: vor dem Abholen, durch eine andere Person oder als Großeinkauf am Wochenende. Aber nicht immer ist das möglich. Was helfen kann sind folgende Punkte:

  • eine festgelegte Einkaufsliste haben (hilft auch dem Elternteil, wirklich bei den Dingen zu bleiben, die man wirklich kaufen will)
  • erklären, was jetzt passieren wird und was gekauft wird
  • das Kind einbinden in das “Finden” von Lebensmitteln
  • eventuell dem Kind schon vorab sagen, dass es sich eine Sache aussuchen darf
  • wenn es doch zu einem Wutausbruch kommt: ruhig bleiben, die Gefühle des Kindes annehmen und versuchen, eventuell kritische Kommentare oder Blicke auszublenden
  • wenn man selbst nicht in der Situation mit einem wütenden Kind ist, aber andere Eltern in dieser Situation antrifft: Verständnis signalisieren – wir kennen das alle
  • langfristig mit größeren Kindergartenkindern: zusammen die Einkaufsliste schreiben und ggf. einen Wochenplan für die Speisen machen, bei dem alle berücksichtigt werden und ihre Wünsche einbringen können

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Was willst du mit Strafen bezwecken? – Ein Perspektivwechsel

“Jetzt hast du wieder nicht aufgeräumt, deswegen wird heute nicht ferngesehen!”, “Du sollst dem anderen Kind nicht immer das Spielzeug wegnehmen, jetzt gehen wir deswegen nach Hause!”, “Du hast mich angelogen, heute gibt es keinen Nachtisch!” – Solche und ähnliche Sätze sind noch immer häufig verbreitet in Familien: Wenn wir verleitet sind, bestrafen zu wollen, haben wir meistens einen Impuls, dass ein bestimmtes Verhalten des Kindes „abgestellt“ werden soll. Vielleicht sind wir extrem verärgert, vielleicht reiht sich das Verhalten des Kindes in eine lange Reihe anstrengender Situationen des Tages ein und ist nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Warum geht es hier eigentlich? Das Bedürfnis hinter DEINEM Handeln erkennen

In der bedürfnisorientierten Elternschaft geht es oft darum, das Bedürfnis des Kindes hinter dem Verhalten zu erkennen. Aber nicht weniger wichtig ist es, das Bedürfnis hinter dem Verhalten von Erwachsenen zu erkennen, gerade in solchen schwierigen Situationen. Abgesehen davon, dass Strafen für Kinder weder sinnvoll noch gut sind, können wir auch einmal in uns selbst hinein hören: Worum geht es hier eigentlich?

Meistens steht hinter unserem Handeln auch ein Bedürfnis: Meistens geht es nicht “nur” um das „Abstellen“ einer Handlung, sondern auch um das, was bei uns hinter dem Gefühl der Wut oder Enttäuschung steht: ein Bedürfnis. Das Kind erfüllt mit seinem Handeln einen bestimmten Wert nicht, der uns wichtig ist. Wird nicht aufgeräumt, fühlen wir uns vielleicht nicht ausreichend gesehen in unserer eigenen Überlastung, uns fehlt Wertschätzung für das, was wir als Eltern ständig leisten. Streitet sich das Kind mit einem anderen, haben wir vielleicht das Gefühl, dass das Kind zu wenig Empathie zeigt. Und wenn es uns anlügt, sind wir enttäuscht von der fehlenden Ehrlichkeit des Kindes.

Strafen helfen nicht, um Werte zu vermitteln

Damit wird – wieder unabhängig davon, dass das Kind durch Strafen nicht nachhaltig lernt – auch für uns klar, dass wir ganz persönlich auch mit einer Strafe nicht das Ziel erreichen, um das es uns eigentlich geht: Wir können Wertschätzung, Achtsamkeit, Empathie nicht durch Strafen erzwingen oder bewirken. Wir vermitteln durch eine Strafe nicht den Wert, um den es uns eigentlich geht.

Für beide – Eltern und Kinder – ist deswegen wichtig, dass wir dem wahren Bedürfnis hinterher spüren und dann nachhaltige Problemlösungsstrategien entwickeln und gemeinsam reflektieren, warum etwas passiert ist und wie das anders geregelt werden kann. In Konfliktsituationen lohnt es sich, als erwachsene Person sich erst einmal kurz selbst zu beruhigen und dann zu überlegen: Worum geht es meinem Kind in dieser Situation gerade wirklich? Welches Bedürfnis leitet das Handeln meines Kindes? Und dann zu ergründen, was wir uns eigentlich wünschen in dieser Situation. Mit diesem Wissen können wir dann dem Konflikt begegnen.

Wir können erklären: “Du hattest keine Lust aufzuräumen, weil du so ins Spiel vertieft warst, aber für mich ist es anstrengend, immer alles allein machen zu müssen. Komm, wir räumen zusammen auf und schauen nochmal, wo alles hingeräumt werden kann.” oder “Du möchtest auch mit so einer großen Schaufel spielen. Leider haben wir nur die kleine Schaufel bei, lass uns probieren, damit auch so tief zu graben. Das Kind möchte mit seinem Spielzeug selbst spielen und darauf sollten wir Rücksicht nehmen, wenn es nicht teilen möchte.” oder “Du hast mich angelogen, weil du Angst hattest, ich würde mit dir schimpfen. Das ist schade, lass uns lieber zusammen eine Lösung finden für das Problem.”

Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir Schwierigkeiten begegnen können jenseits von Strafen, damit wir einerseits unsere Werte vermitteln können und andererseits die Kinder wirklich etwas aus der Situation lernen können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de