Kategorie: aktuell

Deine Grenzen als Elternteil sind okay

Das Wort „Grenzen“ hat für viele Eltern einen negativen Beigeschmack. Gerade auch, weil es in der Vergangenheit oft mit negativen Erziehungsmethoden verbunden war: „Grenzen“ wurden in erster Linie auf das Kind bezogen, als Grenze um das Kind herum zu Erziehungsmaßnahmen, und nicht als Schutzraum betrachtet für Erwachsene und Kinder. „Grenze“ hieß: „Bis hierhin und nicht weiter, weil du das nicht darfst!“ statt „Dies ist dein persönlicher Sicherheits- und Wohlfühlbereich.“ Auch in Bezug auf das Wort „Grenzen“ ist es wichtig, welchen Blickwinkel wir darauf einnehmen, in welchen Bedeutungskontext wir es einsetzen.

Grenzen sind für Kinder und Erwachsene wichtig

Sowohl für Kinder, als auch für Eltern, sind Grenzen wichtig. Grenzen sollten und müssen für Kinder nicht willkürlich gesetzt werden, sie ergeben sich aus dem natürlichen Zusammenleben: Kinder stoßen an Grenzen in Bezug auf ihre Fähigkeiten, Dinge, soziale Systeme und eben auch andere Menschen. Interessant an den Grenzen anderer Menschen ist, dass sie sich von Mensch zu Mensch unterscheiden können – auch das lernen Kinder daher in der Auseinandersetzung mit anderen. Ein Glas, das auf den Steinboden fällt, geht nahezu immer kaputt. Das ist die dingliche Grenze. Bei Menschen sind Grenzen unterschiedlich: sie können sich mit der Zeit ändern, sind abhängig von Wohlbefinden und Stress, hängen mit der eigenen Vergangenheit, aber auch genetischen Bedingungen zusammen und werden unterschiedlich signalisiert. Was für eine Person in Ordnung sein kann (beispielsweise lautes Geschrei beim Spielen), kann für eine andere Person auf Dauer als Grenzüberschreitung wahrgenommen werden. Es ist nicht falsch, dass wir unterschiedliche Grenzen haben. Es gibt keine Basislinie im Sinne von „Das musst du aber ertragen als Elternteil.“ – Familien sind unterschiedlich und oft haben die in einer Familie zusammenkommenden Personen unterschiedliche Ausprägungen von Reizverarbeitung und Anpassungsfähigkeit. So machen Kinder in unterschiedlichen Familien unterschiedliche Erfahrungen, die sie mit prägen. Während in einer Familie Lautstärke vielleicht ein Thema ist, ist es in einer anderen körperliches Balgen oder andere Themen, bei denen es engere oder weitere Grenzen gibt.

Alternativen bei viel Rücksichtnahme

Oft haben Eltern einen negativen Blick auf die familiären Grenzen, die in ihrer Familie gelten. Sie sorgen sich vielleicht, dass das Kind bestimmte Erfahrungen nicht machen kann. Natürlich ist es wichtig, dass Eltern im Blick behalten, dass die Kinder nicht zu sehr eingeschränkt werden in ihrem Erkundungsverhalten und sie genügend Raum haben für Selbstwirksamkeit und Exploration, aber bewusst gesetzte Grenzen sind deswegen nicht gleich ein Entwicklungshemmnis. Vielleicht gibt es Orte, an denen die Kinder laut schreien können, wenn das zu Hause nicht so sehr gewünscht ist (beispielsweise bei Ausflügen in die Natur), vielleicht gibt es andere Bezugspersonen, mit denen sie wild toben können, wenn die Eltern eher körperlich sanft reagieren. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, an den Wochenenden Einzelaktivitäten mit Geschwisterkindern zu unternehmen, wenn unter der Woche viel Rücksicht genommen werden musste auf ein anderes Kind.

Gemeinsam Regeln festlegen

Regeln sind sinnvoll für soziale Gruppen, denn sie organisieren das Zusammenleben und setzen sich für die Bedürfnisse aller Personen ein. Mit unseren Kindern können wir über die Regeln und Grenzen in der Familie auch sprechen. Wenn wir erklären, warum uns eine bestimmte Regel/Grenze wichtig ist, können wir auch unsere Kinder fragen, was ihnen besonders wichtig ist und daraus ggf. weitere Familienregeln ableiten. Sie können auch gemeinsam festgehalten werden auf einen Papier oder Poster. Vielleicht ändern sie sich wieder im Laufe der Zeit, vielleicht begleiten uns einige über lange Zeit.

Wichtig ist, dass wir uns von einem negativen Blick auf Familienregeln lösen und ihren Wert und ihre Ressourcen erkennen für unser individuelles Zusammenleben. Es ist okay, dass du als erwachsene Person Grenzen hast – genauso wie wir unseren Kindern ihre Grenzen zugestehen und als wichtig erachten, dass sie lernen, für ihre Grenzen einzustehen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Eingewöhnung – die Angst davor, dass Mama/Papa geht

Die Eingewöhnung in die außerfamiliäre Betreuung ist für viele Familien eine herausfordernde Zeit: das Kind lernt neue Personen kennen, eine neue Umgebung mit neuen Reizen, neue Abläufe und Strukturen. An all das muss sich das Kind gewöhnen und gleichsam müssen die neuen Personen das Kind kennenlernen (sowohl Kinder, als auch Erwachsene). Gerade in Bezug auf die neue Bezugsperson muss ein gegenseitiger Abstimmungsprozess stattfinden: sich gegenseitig kennenlernen, aufeinander einstimmen. Die Trennung von den eingewöhnenden Bezugspersonen ist hierbei ein großer Meilenstein. Oft wird dabei gesagt und/oder gedacht, dass das Kind Angst hätte, sich von der gewohnten Bezugsperson zu trennen. Das lenkt den Fokus auf die Beziehung zwischen Kind und Elternteil. Schnell wird erklärt, dass die „Bindung zu eng“ sei, wenn sich das Kind nicht lösen kann. Dabei schränkt dieser Blick sowohl das Ergründen der Ursachen, als auch der möglichen Hilfen für Veränderung ein.

Das Kind hat noch kein Vertrauen in die neue Situation

Mit einem kleinen Wechsel des Blickwinkels können wir hingegen den Schwerpunkt auf die Bedürfnisse und das Temperament des Kindes lenken: Anstatt zu sagen „Das Kind hat Angst, sich vom Elternteil zu trennen!“ können wir sagen (und denken): „Das Kind hat (noch) nicht genug Sicherheit, um hier zu bleiben!“

Mit dieser Veränderung verschieben wir den Fokus von Eltern-Kind auf Kind-Erzieher*in. In den Blick genommen wird nicht die (in den meisten Fällen) normale Eltern-Kind-Beziehung, innerhalb der das Kind ein ganz normales Verhalten zeigt, da es über die bisherige Zeit eine Bindungshierarchie aufgebaut hat: Jene Personen, die besonders häufig und zuverlässig Bedürfnisse befriedigen, werden bevorzugt, wenn sie anwesend sind. Dass das Kind also in Anwesenheit der primären Bezugspersonen dazu neigen kann, Bedürfnisse von diesen einzufordern und ihre Nähe aufzusuchen, sowie sich noch schwer trennen kann, ist je nach Temperament des Kindes recht normal.

Wenn wir hingegen die neue Situation und die Beziehung von Erzieher*in-Kind in den Blick nehmen, können wir ressourcenorientiert statt defizitorientiert fragen: Was braucht das Kind, damit es ihm besser geht? Was braucht das Kind, damit es mehr Vertrauen in die neue Person fasst? Was braucht das Kind, um sich sicherer zu fühlen?

Ressourcenorientiert Bedürfnisse betrachten

Dieser Blick fokussiert die individuellen Bedürfnisse dieses Kindes. Vielleicht braucht es noch mehr Zeit allein mit der neuen Bezugsperson, um sie kennenzulernen und diese braucht mehr Zeit, um das Kind und dessen Signale kennen und verstehen zu lernen. Betreuungsrandzeiten, zu denen nicht so viele Kinder anwesend sind, können hier hilfreich sein. Vielleicht muss das Kind auch mit den Örtlichkeiten noch vertrauter werden und muss in Ruhe erklärt bekommen, was es wo findet. Vielleicht ist das Kind von den vielen neuen Reizen überfordert und fühlt sich sicherer, wenn es einen ruhigen Rückzugsort vorgestellt bekommt. – Es können verschiedenste Aspekte sein, die dem Kind ein besseres und sichereres Gefühl geben.

Der Wechsel des Blickwinkels weg vom „fehlerhaften Kind“, das sich nicht lösen kann oder dessen Eltern nicht loslassen wollen, hin zum Menschen mit Bedürfnissen ist eine kleine Änderung mit großer Wirkung. Diese Veränderung kann auch den Eltern mehr Vertrauen und Sicherheit geben in Bezug auf die neue Situation.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Gebote statt Verbote – wie sie das Erleben deines Kindes verändern können

„Das darfst du nicht!“ – Gerade wenn unsere Kinder noch klein sind, gibt es viele Dinge, die sie noch nicht tun können oder sollen. Als Eltern sollten wir unseren Kindern nicht nur die Freiheit geben, die Welt zu erkunden, sondern müssen ihnen auch als Sicherheit gebende Bezugspersonen zur Seite stehen, ihnen die Welt erklären und sie an vielen Stellen auch noch anleiten. In der Kleinkindzeit, wenn Kinder selbständig die Welt erkunden wollen, selbstwirksam Erfahrungen machen wollen und ihren eigenen Entwicklungsplan verfolgen, stoßen sie dann mit ihrem kindlichen Erkundungsdrang gegenüber der Fürsorgeverantwortung der Eltern an Grenzen und drücken ihren Unmut je nach Temperament stärker oder weniger stark aus.

Alle Probleme lassen sich nicht umschiffen

Natürlich lassen sich nicht alle Situationen umschiffen, in denen der Wunsch des Kindes der Verantwortung der Eltern entgegensteht. Das muss es auch nicht, denn auch Konflikte gehören zum Leben dazu und Kinder lernen in der Familie Konfliktlösungsstrategien und den Umgang mit den eigenen Gefühlen wie Wut und Trauer, wenn Situationen anders laufen, als geplant. Auch das gehört zum Alltag und Entwicklungsplan der Kinder dazu. Aber wie bei der Ja-Umgebung für Babys lohnt es sich, auch in der Kleinkindzeit (und danach) den Fokus nicht auf die Verbote zu richten, sondern auf die Möglichkeiten und Alternativen.

Was ist alles möglich?

Regeln bestimmen nicht nur, was alles nicht gemacht werden kann, sondern auch, was alles möglich ist. Für den Alltag sind Regeln und Rituale hilfreich, weil sie uns eine Struktur geben, an der wir uns orientieren können. Auch hier gilt übrigens: einige Kinder (und Erwachsene) benötigen mehr Regelmäßigkeiten und Strukturen, andere weniger.

Wenn wir den Fokus auf die Möglichkeiten setzen, statt auf Verbote, erlebt sich das Kind weniger eingeschränkt in den Handlungsräumen, reagiert mit weniger Gegenwillen und ist mehr beteiligt. Im konkreten Alltag bedeutet das beispielsweise, bewusst Alternativen anzubieten: Statt „Damit darfst du nicht spielen!“ sagen „Schau, hier drüben stehen die Sachen, mit denen gespielt werden kann!“. Oder statt „Das darfst du (jetzt) nicht essen!“ anzubieten „Wenn du Hunger hast, kannst du jetzt ein Stück Gurke oder einen Apfel bekommen.“ Auch im Spielalltag können wir den Fokus verlagern von „Jetzt wird nicht xy gemacht!“ zu „Jetzt räumen wir zusammen den Tisch ab, danach kannst du aussuchen, was wir zusammen spielen.“ bzw. von „Ich hab keine Lust mit dir zu spielen!“ zu „Jetzt ruhe ich mich kurz aus und du kannst in der Zwischenzeit xy spielen, nachher machen wir was zusammen.“

Den Fokus von den Verboten auf die Möglichkeiten zu verlegen, ist eine kleine Veränderung. Weg vom Negativen, ausrichten auf das Positive. Es mag uns Erwachsenen vielleicht zunächst als unnötig oder wenig bedeutsam erscheinen, aber für unsere Kinder kann es einen Unterschied im Alltag machen und uns selbst auch Erleichterung schenken. Einen Versuch des Umdenkens und Ausprobierens ist es wert.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Die Eingewöhnung nach dem Temperament des Kindes ausrichten

Eigentlich wissen wir, dass Kinder unterschiedlich sind und über verschieden ausgeprägte Temperamentsdimensionen verfügen. Und dennoch kommt es immer wieder vor, dass wir doch versuchen, sie in bestehende Schemata zu pressen, die scheinbar für alle Kinder gelten sollen. So finden wir immer wieder starre Richtlinien in Bezug auf den Schlaf von Kindern, in Bezug auf die Beikost und eben auch in Bezug auf die Eingewöhnung. In all diesen Bereichen sind Eltern verunsichert, wenn ihre Kinder nicht in das starre Schema passen und manchmal wirkt sich die fehlende Einpassungsfähigkeit dann auch auf das eigene Empfinden aus: Mache ich meine Sache als Elternteil falsch? Habe ich irgendwo einen groben Fehler gemacht, weil das Kind nicht nach Plan xy macht? Gerade auch bei der Eigewöhnung sind viele Eltern verunsichert, wenn sie anders als erwartet läuft und fragen sich, ob etwas „mit ihrer Eltern-Kind-Bindung nicht stimmt“.

Da stimmt was mit der Bindung nicht!

Wenn sich ein Kind wahlweise besonders schnell oder besonders langsam von den Bezugspersonen löst, wenn es wahlweise besonders forsch auf neue Personen und Situationen zugeht oder besonders abwartend ist, wird dies schnell der Bindung zugeschrieben: „Was, das Kind ist so schüchtern/so kontaktfreudig, da stimmt doch was nicht bei denen!“ Natürlich wirken sich Bindungsmuster auch auf das Verhalten aus und die Art der Interaktion des Kindes mit der Umwelt. Durch die Art, wie wir mit unseren Kindern umgehen, erleben die Kinder die sie umgebende Welt als sicher/gehen vertrauensvoll auf Neues zu bis hin zu unsicher/ängstlich. Dennoch ist die Art der Beziehung zu den nahen Bindungspersonen nicht der einzige Einfluss auf das Verhalten des Kindes.

Das Temperament nimmt Einfluss auf das Verhalten

In der Temperamentsforschung wurden von der amerikanischen Kinderpsychiaterin Stella Chess und ihrem Mann Alexander Thomas in einer Längsschnittstudie schon in den 80er Jahren verschiedene Temperamentsdimensionen identifiziert, auf denen sich Menschen in unterschiedlicher Ausprägung bewegen: Aktivitätsniveau, Rhythmus, Ablenkbarkeit, Erstreaktion bei Neuem, Anpassungsfähigkeit, Ausdauer und Aufmerksamkeit, Reaktionsintensität, Sensitivität, Stimmungsqualität.

Diese Temperamentsdimensionen nehmen Einfluss auf das alltägliche Verhalten, aber eben auch auf Eingewöhnung im Kindergarten. Gerade die Dimensionen „Anpassungsfähigkeit“ und „Erstreaktion bei Neuem“ wirken sich entscheidend aus auf die Eingewöhnung, aber auch die Abweichung vom bisherigen Rhythmus kann für ein Kind, das einen besonders regelmäßigen Rhythmus einfordert, zunächst herausfordernder sein als für ein Kind, das ohnehin weniger einen regelmäßigen Rhythmus benötigt (das dann vielleicht aber Schwierigkeiten damit haben kann, wenn es viele und enge Rituale in der Kita gibt). Auch der Umgang mit den neuen Reizen im Kindergarten (beispielsweise durch Gruppengröße und Lautstärke) kann bei Kindern unterschiedlich sein.

Es gibt also viele Bereiche, in denen Kinder auf verschiedenen Ebenen vor Herausforderungen stehen können, die sich darauf auswirken, wie schnell sie sich in die neuen Rahmenbedingungen einpassen können. Dies macht deutlich, dass Kinder sowohl eine unterschiedliche Zeitspanne brauchen können, um sich in der neuen Situation einzufinden, als auch unterschiedliche Arten der Begleitung, die ihre jeweiligen Bedürfnisse anerkennen.

Umgang mit dem Temperament nimmt Einfluss auf das Kind

Die Art der Interaktion der Umwelt mit den jeweiligen Temperamentsdimensionen nimmt starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes. Gerade Kinder mit extremen Ausprägungen von einzelnen Temperamentsdimensionen brauchen eine gute Unterstützung, damit sie lernen, damit gut umzugehen und sich keine langfristigen Nachteile entwickeln – das gilt sowohl zu Hause, als auch in der außerfamiliären Betreuung, beispielsweise wenn Kinder Schwierigkeiten haben in der Reaktionsintensität und deswegen viel und angemessene Begleitung von Emotionen benötigen. Diese an das jeweilige Temperament angepasste Begleitung sollte bereits in der Eingewöhnung beginnen und dann im pädagogischen Alltag fortgeführt werden. Hierfür ist es wichtig, dass bereits in der Eingewöhnung genügend Zeit vorhanden ist, um das Kind zu beobachten und die einzelnen Ausprägungen zu verstehen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Katja Vogt

«Bauch frei!» – Ein Plädoyer für eine selbstbestimmte Schwangerschaft von Marlene Hellene

Schwangerschaft und Geburt sind eine besondere Zeit für Gebärende. Nicht „nur“ aufgrund der vielen (neuen) Erfahrungen, sondern auch durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Erwartungen und Zuschreibungen. Die Autorin Marlene Hellene hat sich in ihrem neuesten Buch «Bauchfrei!» dieser Zeit gewidmet und zeichnet ein Bild jener Einflüsse nach, über die viel zu wenig gesprochen wird: Sie schreibt über Zweifel, Ängste, Schmerzen, Anstrengungen, Hebammenmangel, Übergriffigkeit, Erwartungsdruck und Gewalt. Ein aufklärendes, aufregendes Buch. In das Kapitel „Geburt“ könnt ihr hier hineinlesen:

Die Hand auf dem Bauch, der Rücken gekrümmt. Schmerzverzerrtes Gesicht. Taxi. Gib Gas, Mann! Fruchtwasser auf den Ledersitzen. Kreissaal eins ist gleich da hinten. Sie schaffen das! Pressen! Herzlichen Glückwunsch!
Freudentränen, Glück und ganz viel Liebe. Ein wenig verschmierte Wimperntusche. Ein stolzer Vater mit aufgerollten Hemdsärmeln. Ein rosafarbenes, propperes Neugeborenes. Luftballons und Konfetti.

Wäre dieses Buch ein Kinofilm, dann wäre dieses Kapitel jetzt abgeschlossen. Berührende Klaviermusik. Abspann. Ende. Bitte werfen Sie Ihre leeren Popcornverpackungen in die dafür vorgesehenen Mülleimer am Ausgang. Beehren Sie uns bald wieder.

Das Leben, das wahre, das echte schreibt andere Geschichten. Und die wenigsten Geburten, sind für ein amüsierwilliges Kinopublikum geeignet.
Wenn es um Geburten geht hat, jeder eine Meinung. Da weiß jeder etwas. Immerhin ist jeder selbst mal geboren worden. Von Mutti. Und die hat gesagt, dass es gar nicht schlimm und voll unkompliziert war. Und Rüdiger hat gehört, dass Wehen sich ähnlich anfühlen, wie starke Periodenschmerzen. Und Rüdiger muss es ja wissen. Er ist schließlich ein Mann.

Ich habe zweimal spontan, das heißt ohne einleitende Maßnahmen oder technischen Hilfsmittel, geboren. Mein erstes Kind kam sechs Wochen zu früh auf die Welt, was die meisten Leute annehmen ließ, dass die Geburt bei diesem Leichtgewicht einfach gewesen sein müsste. Mein zweites Kind kam innerhalt von neunzig Minuten zur Welt, was wiederum zu der Annahme führte, dass die kurze Dauer die Geburt praktisch zu einem Spaziergang gemacht habe. Ich werde hier nicht genauer ins Detail gehen. Ich kann nur so viel sagen: Nein! Aufgrund der Dauer der Geburt oder des Gewichts des Kindes auf den Verlauf der Geburt zu schließen, ist schon sehr kurzsichtig. Es empfiehlt sich, das sein zu lassen, wenn man niemanden verärgern oder verletzen möchte.

Aber bevor wir uns mit den Danach beschäftigen, sollten wir uns das Davor anschauen. Den Moment vor der Geburt. Wenn es losgeht. Tja, und da fangen die Fragen auch schon an. Wann geht es denn los? Woher weiß ich, dass es wirklich losgeht? Und wie unterscheide ich mögliche Vor- oder Senkwehen von Geburtswehen? Ich weiß nicht, ob Hebammen oder Ärzt:innen dazu eine allgemeingültige Antwort geben können. Eher nicht. Ich jedenfalls kann es definitiv nicht. Als es bei mir richtig losging, als die Geburtswehen einsetzten und das Kind sich auf den Weg machte, wusste ich es einfach. Ich wusste es, weil der Schmerz mich mit einer Wucht und Brachialität packte, dass alles vollkommen klar war. Die Reise hatte begonnen. Und jetzt? Was tun? Wohin gehen?

Ich habe beide Male in einer Klinik mit angeschlossener Neonatologie (Bereich der Kinderklinik, in der sich insbesondere mit Neugeborenen und Frühgeborenen befasst wird) geboren. Bei ersten Mal hatte ich keine andere Wahl. Wer in Deutschland vor der 36. Schwangerschaftswoche entbindet, wird von Kliniken ohne Neonatologie nicht aufgenommen, da davon ausgegangen wird, dass das Neugeborene nach der Geburt die spezielle Betreuung von Fachärzt:innen bedarf. Die Entbindung zuhause oder in einem Geburtshaus kommt bei einer Frühgeburt (vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche oder mit einem Gewicht von unter 2500 Gramm bei der Geburt) grundsätzlich nicht infrage. Bei meinem zweiten Kind hätte ich theoretisch überall entbinden können. Doch es zog mich an den mir vertrauten Ort zurück.

In Deutschland gilt die freie Wahl des Geburtsortes, das heißt, Schwangere können sowohl in einer Klinik als auch außerklinisch in einem Geburtshaus oder zu Hause gebären (§ 24 f des fünften Sozialgesetzbuches).
Also theoretisch. Praktisch hatte ich die bei meinem ersten Kind nicht. Aus medizinischen Gründen. Die ich respektiere. Mein Neugeborenes war auf sofortige medizinische Hilfe angewiesen. Ein anderer Geburtsort stand nie zur Debatte. Als ich Wochen vor der Geburt in die Klinik kam, hatte ich noch keine Überlegungen über den Ort der Geburt angestellt. Ich hatte keine Vorlieben, ich hatte keine Wünsche. Und ich hatte keine Ahnung. Ich kannte mich nicht aus mit den verschiedenen Möglichkeiten, wo man sein Kind auf die Welt bringen kann. Das Krankenhaus schien mir der gewöhnliche Ort dafür zu sein.
Tatsächlich ist das aber nur eine unter mehreren Möglichkeiten. Wer eine Geburt im Krankenhaus plant, hat schon hier die Wahl. Soll es ein Krankenhaus mit Kinderklinik sein oder ohne? Oder soll das Krankenhaus ein besonderes Konzept für den Kreissaal haben, wie zum Beispiel den hebammenbegleiteten Kreissaal? Darin versteht man die Geburt unter hausgeburtsähnlicher Atmosphäre, nur begleitet durch die Hebamme. Dadurch soll die Geburt natürlicher, intimer und selbstbestimmter sein.


Andere wünschen sich eine Geburt im Geburtshaus. Das ist eine von Hebammen geführte außerklinische Einrichtung. Die Geburt wird ausschließlich von der Hebamme begleitet. Ärztliches Personal steht vor Ort nicht zur Verfügung. Auch hier steht der Wunsch nach Intimität und Selbstbestimmung für viele Frauen im Vordergrund.
Häufig wird die Atmosphäre einer Klinik mit negativen Assoziationen verknüpft. Krankheit. Tod. Schmerz. Angst. Assoziationen, die für viele nicht zur Geburt ihres Kindes passen. Sie möchten eine private Umgebung. Ein freundliches, lebensbejahendes Umfeld. Aus diesen Gründen wünschen sich Schwangere häufig auch eine Geburt zuhause. In ihrem vertrauten Umfeld. In ihren privaten Räumen. Wo sie sich geschützt fühlen.


In Deutschland kommen 98% der Kinder im Krankenhaus zur Welt. Bei einer komplikationslosen Schwangerschaft, die bis zum Ende ausgetragen wurde, käme eine Geburt im Geburtshaus oder zuhause jedoch in Frage. Dass aber dennoch die meisten Geburten im Krankenhaus stattfinden, liegt nicht unbedingt daran, dass Schwangere kein Interesse an anderen Geburtsorten haben. Häufig liegt auch keine medizinische Notwendigkeit zugrunde. Nein, der Grund, warum die überwiegende Mehrheit im Krankenhaus entbindet, heißt Geld. Wieder einmal. Geld, dass Hebammen verdammt noch mal nicht ausreichend verdienen. Geld, das Hebammen fehlt, um die horrende Haftpflichtversicherung zu bezahlen, die sie für die Begleitung außerklinischer Geburten benötigen. Geld, dass junge Menschen davon abhält, den Beruf überhaupt zu wählen. Geld, dass dafür sorgt, dass Hebammenmangel herrscht, dass die Bedingungen für praktizierende Hebammen immer schlechter werden, sodass viele sich schweren Herzens aus dem Beruf zurückziehen. Wir erinnern uns. Über dieses traurige Resultat habe ich bereits berichtet.


Schwangere, die sich einen anderen Ort, als die Klinik für ihre Entbindung wünschen, scheitern oft kläglich bei der Suche. Hebammen, die eine Hausgeburt, eine Geburt im Geburtshaus oder eine Hebammengeburt im Kreissaal anbieten, sind entweder heillos ausgebucht oder im Umkreis der Schwangeren gar nicht erst zu finden.
Einige Schwangere finden nicht mal mehr eine Klinik, in näherer Umgebung. Immer mehr Kliniken schließen ihre Geburtsstationen wegen mangelnder Rentabilität. Sie sind zu teuer. Sie bringen zu wenig ein. Und so ist die freie Wahl des Geburtsortes für viele nur noch eine hohle Phrase.
Und das wird sich auch nicht ändern. Die Bedingungen werden eher schlechter. Jetzt schon werden Schwangere mit Wehen an der Kreisssaaltür abgewiesen. Teilweise müssen Schwangere mit Fahrtzeiten von bis zu sechzig Minuten zum nächsten Kreissaal rechnen. Wenn man bedenkt, dass die schwangere Person Angst und Schmerzen hat, ist das absolut skandalös und indiskutabel.
Dabei – und das möchte ich immer wieder betonen – geht es hier um die Geburt eines neuen Menschen. Es geht um den Erhalt der Menschheit. Eine Geburt ist ein Ereignis im Leben eines Menschen, das mit nichts zu vergleichen ist. Ein Erlebnis voller Kraft und Schmerz. Ein Erlebnis, auf das einen nichts vorbereiten kann, das man nicht zu lernen vermag. Ein Mensch bringt einen Menschen auf die Welt. Sollte eine gebärende Person dabei nicht alle Unterstützung der Welt erhalten? Sollte nicht ihr Wille, ihr Wunsch oberste Priorität haben? Sollten wir als Gesellschaft nicht dankbar sein und alles dafür geben, dass es die gebärende Person so angenehm wie möglich hat? Die Geburt eines Menschen ist mit Geld nicht zu bemessen. Geld darf beim Thema Geburt doch wirklich keine Rolle spielen. Ah, ich will schon wieder schreien, so wütend macht mich dieses Thema. Weil es wieder einmal zeigt, dass Frauen, dass Familien keine Lobby haben.
Die freie Wahl des Geburtsortes. Ein theoretisches Konstrukt, dass viele Gebärende nur noch bitter auflachen lässt.

Aber es ist nicht nur der Ort der Geburt, der Schwangeren durch rigide Sparmaßnahmen in der Geburtshilfe häufig nicht mehr frei zur Verfügung steht. Auch die Betreuung unter der Geburt wird immer schlechter. Weil das Personal fehlt. Weil das Geld nicht mehr ausreicht. Infolgedessen wird die Geburt oft unzureichend betreut. Es fehlt die Zeit, die Schwangere achtsam und behutsam unter der Geburt zu begleiten. Und damit kommen wir zu einem weiteren großen Thema, dass in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Gewalt in der Geburtshilfe.
„Jetzt beeilen Sie sich mal, Ihrem Kind geht es langsam schlechter.“
„Stellen Sie sich nicht so an!“
„Das müssen Sie schon aushalten können.“
„Halten Sie gefälligst still.“
„Hilfe schreien bringt Ihnen jetzt auch nichts mehr. Da hätten Sie vor neun Monaten drüber nachdenken müssen.“
„Die Fruchtblase sollte jetzt endlich mal aufgehen. Lassen Sie mich mal ran. Was? Das tat weh? Dafür geht es jetzt schneller.“
„Kinderkriegen ist nichts für zarte Seelen.“
„Wenn Sie sich jetzt schon so anstellen, wird das nichts mehr.“

Sie haben einige dieser Sätze selbst gehört? Ich auch. Und ich habe sie nicht vergessen. Und auch den körperlichen Schmerz nicht, der an manchen Stellen vermeidbar gewesen wäre. Durch Geduld, durch Feinfühligkeit. Unter der Geburt erleben viele Gebärende das Gefühl des Ausgeliefertseins. Das Gefühl, alleine zu sein. Das Gefühl: Die gegen mich. Du musst schneller sein. Du musst stärker sein. Du musst besser sein.
In der Geburtshilfe ist der Fokus sehr stark auf das Wohl des Kindes ausgerichtet. Das Befinden der Mutter scheint zweitrangig. Dabei ist gute Geburtsthilfe in erster Linie Frauenrecht.

Während der Geburt meiner Tochter wurde ich ohnmächtig. Der Schmerz hat mich überwältigt, der Körper hat die Stopptaste gedrückt. Die sich immer wieder eng zuziehende Blutdruckmanschette an meinem Oberarm holte mich zurück in die Wirklichkeit. Sofort fragte ich, wie es meinem Kind ginge. Die Antwort lautete: „Ihrem Kind geht es gut, nur Ihnen nicht.“ Und sie machte mich glücklich. Diese Antwort. Weil auch mir mein eigenes Befinden völlig gleichgültig geworden war. Es galt, mein Kind unbeschadet zu gebären. Zu jedem Preis. Koste es, was es wolle.
Die gesamte Schwangerschaft über hatte ich gelernt, dass es nicht um mich geht. Ich war nur die Hülle für einen kostbaren Schatz.
Als ich in der 31. Schwangerschaftswoche mit Wehen in die Klinik kam, wurde schnell alles getan, um zu verhindern, dass mein Kind jetzt schon zu Welt kommt. Bettruhe. Wehen hemmendes Medikament intravenös. Engmaschige CTG-Kontrollen. Was jedoch nicht geschah, war, dass sich jemand um mich kümmerte. Um meine Ängste. Um meine Fragen. Ich lag tagelang in meinem Krankenhausbett und wusste nicht, was mit mir geschah. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, wie lange ich noch bleiben müsste, was der Plan vorsah. Irgendwann machte der Chefarzt seine große Aufwartung. Älterer Herr. Professor. Doktor. Stethoskop und Gottgefühl. So stand er vor meinem Bett. Sein Anhang bestand aus einer Menge weiß bekittelter Menschen. Ärzte und Studenten. Krankenschwestern. Ich würde die Ärzte, die Studenten und die Krankenschwestern ja gerne gendern. Aber leider war die Geschlechterverteilung so wie geschrieben. Classic. Dennoch. Ich war froh über diesen Besuch. Endlich könnte ich Fragen stellen, Ängste äußern. Endlich kümmerte sich jemand um mich. Und so fragte ich frohen Mutes, wann ich nach Hause dürfe.
„Sie dürfen jederzeit nach Hause. Wenn Sie wollen, dass Ihr Kind stirbt.“ BÄÄÄÄM! Sagte er und verschwand. Eine der Krankenschwestern streichelte beim Rausgehen mit verschämtem Blick mein Bein. Das Geschehene war ihr merklich unangenehm. Aber Widerspruch stand ihr nicht zu.
Sprache kann Waffe sein. Sprache kann aber auch Trost sein. Es liegt einzig an uns, was wir zu geben bereit sind.

Die Soziologin Christina Mundlos hat ein Buch geschrieben „Gewalt unter der Geburt“. Darin spricht sie von fast jeder zweiten Frau, die Gewalt unter der Geburt erlebt hat. Dass überhaupt darüber gesprochen wird, ist neu. Und gut. Denn auch hier befinden wir uns wieder einmal in der Tabuzone. Zum Glück gibt es ein Mittel gegen Tabus. Das Darüber- Sprechen. Tabus hassen das. Dann brechen sie.
Es muss unbedingt darüber aufgeklärt werden, dass derartige Sätze, derartiges Verhalten des medizinischen Personals eben nicht zur Geburt dazu gehören. Es muss so nicht sein. Ganz im Gegenteil. Nur, weil Gewalt (Und lassen Sie uns es endlich so benennen. Nicht unfreundlicher Ton. Nicht ruppiges Benehmen. Nicht schlechte Manieren. Gewalt!) in der Geburtshilfe eine lange schreckliche Tradition hat, ist sie dennoch nicht zu tolerieren, ist sie dennoch kein zwingender Bestandteil. Egal, ob „wir da alle durchmussten“ oder ob „das Kind uns am Schluss für alles entschädigt“ (Was es übrigens nicht tut. Das ist auch nicht seine Aufgabe). Zum Glück schleicht sich so langsam ein Wandel in das Bewusstsein unserer Gesellschaft. Weil Gebärende nicht mehr stumm bleiben. Nicht mehr tolerieren. Das zeigt unter anderem der Rose Revolution Day am 25. November. Betroffene Frauen legen Rosen vor Geburtskliniken, vor Kreissaaltüren nieder. Als sichtbares Zeichen. „Ich habe hier etwas Schlimmes erlebt, und das nehme ich nicht länger hin.“ Und die Vielzahl der Rosen zeigt: Ihr seid nicht länger allein mit euren Erlebnissen. Wir sind viele.

Vordergründig ist es das fehlende Geld, dass dafür sorgt, dass Geburtsstationen schließen müssen, dass eine eins-zu-eins Betreuung durch eine Hebamme unter der Geburt nicht möglich ist, dass weniger Zeit bleibt für einen natürlichen Geburtsvorgang und schneller interveniert wird, dass das medizinische Personal gestresst und desillusioniert ist. Dass es zu Gewalt und Verletzungen kommt. Nun, aber warum fehlt das Geld? Warum wird eine Fluggesellschaft mit Milliarden unterstützt, während in ländlichen Gebieten kaum noch Geburtshilfe angeboten wird? Der Ursprung kennt nur einen Grund: Misogynie. Und damit muss Schluss sein! Gute Geburtshilfe ist Frauenrecht, ist Menschenrecht. Jede einzelne Person auf diesem Planeten hat ein Interesse daran, dafür einzustehen. Wir müssen darüber sprechen. Wir müssen laut werden. Wir müssen aufbegehren.

*

Man denkt, man kann nicht mehr. Man sagt, man kann nicht mehr. Und. Man kann nicht mehr. Keine Sekunde. Keinen Millimeter. Und trotzdem. Trotzdem macht man weiter. Denn es gibt kein Zurück. Es gibt keine Alternative.

Es sind diese Sätze, die mein Denken, mein Fühlen unter den Geburten am besten beschreiben. Es ist keine Kraft mehr übrig. Der Schmerz ist nicht auszuhalten. Lasst mich hier zurück. Doch der Körper übernimmt. Die Wehen kommen, egal wie sehr du flehst, und das Kind bahnt sich seinen Weg aus dir heraus.
Eine Geburt ist eine Extremsituation. Für den Körper. Für die Seele. Man wird mit Schmerzen konfrontiert, von denen man nicht dachte, dass man sie ertragen könnte. Man entwickelt eine Stärke, die man seinem Körper nie zugetraut hätte. Und man lernt seine eigenen Grenzen völlig neu kennen. Nämlich, in der Form, dass es sie nicht gibt. Man ist praktisch grenzenlos in seiner Kraft, in seiner Stärke, im Ertragen. Weil es sein muss. Muss. Muss. Muss.

Doch jede gebärende Person erlebt die Geburt anders.
Grob gesagt, gibt es zwei Arten, ein Kind auf die Welt zu bringen. Vaginal oder per Kaiserschnitt.
Die Kaiserschnittrate lag in Deutschland im Jahr 2018 bei knapp 30 Prozent. Das heißt jede dritte Person hat per Kaiserschnitt entbunden. Im Jahr 1991 lag die Rate noch bei rund 15 Prozent. Selbst mathematisch weniger begabte Menschen wie ich erkennen: Die Rate hat sich in den letzten dreißig Jahren verdoppelt. Was ist da los?
Erstmal vorweg: Die Möglichkeit des Kaiserschnitts ist eine großartige medizinische Errungenschaft. Der Kaiserschnitt hat viele, viele Leben gerettet. Frauenleben. Kinderleben.
Dennoch hat der Kaiserschnitt einen schlechten Ruf. Aus Gründen. Guten Gründen. Schlechten Gründen.

Schauen wir mal hin. Warum ist der Kaiserschnitt kritisch zu betrachten?
Ein Kaiserschnitt ist gut und wichtig, wenn er notwendig ist. Aus medizinischen Gründen, aus psychologischen Gründen, aufgrund der Entscheidung der Gebärenden. Ein Kaiserschnitt, der vorgenommen wird, ohne dass eine dieser Notwendigkeiten dezidiert vorliegt, kann jedoch zum Problem werden. Häh? Aber warum sollte ein Kaiserschnitt vorgenommen werden, wenn er nicht zwingend nötig ist? Tja. Ich wiederhole mich wirklich ungern, und ich will auch niemanden langweilen, aber wieder steckt dahinter eins: Geld. Eine komplikationslose vaginale Geburt wird gegenüber dem Krankenhaus schlechter vergütet als ein Kaiserschnitt. Ein Kaiserschnitt hat einen Zeitaufwand von zwanzig bis dreißig Minuten. Eine vaginale Geburt kann hingegen Stunden bis Tage dauern. Nachts, an Wochenenden und Feiertagen. Das heißt: Viel mehr Aufwand und weniger Planbarkeit für geringe Vergütung. Superschlecht. Für das Krankenhaus gibt es nämlich wirtschaftlich keinen Anreiz eine vaginale Geburt zu fördern. Der sowieso schon bestehende Personalmangel und die Angst bei einer vaginalen Geburt, bei der auch nur das minimalste Risiko zu befürchten ist, möglicherweise Schadensersatzzahlungen zu riskieren, tut sein Übriges.
Ein Kaiserschnitt ist eine Intervention in den Geburtsverlauf, und er kann Folgen haben. Frauen sind bei einem Kaiserschnitt einer dreimal höheren Gefahr ausgesetzt zu sterben, als bei einer vaginalen Geburt. Es kann zu Thrombosen kommen, übermäßigem Blutverlust, Wundheilungsstörungen, Infektionen, Verwachsungen etc. Und auch für das Neugeborene sind möglicherweise Folgen zu erwarten. Zum Beispiel leiden per Kaiserschnitt geborene Kinder häufiger unter Atemproblemen und Anpassungsstörungen. Außerdem erhöht sich bei diesen Kindern geringfügig das Risiko für Allergien, Asthma und Zuckererkrankungen, was möglicherweise mit dem fehlenden Kontakt des Kindes mit der Keimflora im Geburtskanal zu erklären ist.
Absolut aber nicht außer Acht zu lassen sind die psychischen Folgen, die ein Kaiserschnitt als Geburtsintervention, als Vorgabe durch ärztliches Personal, für die gebärende Person haben kann.
„Ich habe es nicht geschafft.“ Das waren die Worte, die eine Freundin nach der Geburt ihres Kindes durch Kaiserschnitt zu mir sagte. Nicht geschafft. Versagt. Und da ist sie wieder. Die Scham. Die Scham, die besonders in der Schwangerschaft ein so großes Thema ist. Ich habe bewusst bisher den Begriff der natürlichen Geburt vermieden. Dabei wird dieser mit vaginaler Geburt gleichgesetzt. Ist überall zu lesen. Synonym. Doch was ist dann der Kaiserschnitt? Eine unnatürliche Geburt? Nicht normal? Und somit auch gleich nicht richtig. Schlechter? Eine Geburt zweiter Klasse? Da zeigt sich mal wieder die Macht der Sprache. Würde gar nicht mehr von einer natürlichen Geburt im Gegensatz zur vaginalen gesprochen, wäre das schon ein erster Schritt. Manche haben schon damit begonnen. Bauchgeburt nennen sie den Kaiserschnitt. Und das finde ich perfekt. Weil es nämlich das wichtige Wort Geburt beinhaltet. Ein Kaiserschnitt ist eine Geburt. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Geburt aus dem Bauch heraus.
Wenn diese Art der Geburt aber Frauen wie ein Unfall zustößt, ohne, dass sie ein Mitspracherecht haben, ohne, dass sie die Gründe verstehen, ohne absolute Notwendigkeit und vor allem gegen den Willen der Gebärenden, dann ist es nicht die richtige Art der Geburt für diese Person. Dann kann sie psychische Folgen haben. Depressionen. Störung der Bindung zum Kind. Trauer. Posttraumatische Belastungsstörung. Stillprobleme. Das Gefühl des Betrogenwerdens um das Erlebnis der vaginalen Geburt.

Es gibt aber auch viele Gründe, den Kaiserschnitt, die Bauchgeburt zu feiern.
Wie gesagt, er rettet Menschenleben. Allein dafür verdient er schon richtig viel Applaus. Was er aber noch tut ist, Schwangeren eine Wahl zu geben. Es gibt medizinische Gründe für einen Kaiserschnitt, es gibt psychologische Gründe, es gibt diverse andere Gründe. Und alle sind sie relevant. Und alle gehen sie Dritte nichts an. Und vor allem ist keiner dieser Gründe zu verurteilen.
„Too posh to push.“ Dieser Satz, der mit „zu fein zum Pressen“ übersetzt werden kann, grassierte irgendwann durch die (insbesondere englische und amerikanische) Medienlandschaft. Er wurde immer wieder in großen Lettern auf Klatschblättertitelseiten gedruckt, wenn bekannt wurde, dass irgendeine prominente Person per Kaiserschnitt entbunden hatte. Menschen tippten diesen Satz mit gierigen Fingern und sensationslustig geweiteten Augen in ihre Tastaturen. Menschen, die keine Ahnung hatten, aus welchen Gründen die betreffende Frau auf diesen Weg entband. Sie wussten nicht, ob dies ihrem Wunsch entsprach, welche medizinischen Hintergründe dahintersteckten. Sie wussten nicht, wie es der Frau mit dieser Geburt ging. Sie wussten nicht, ob sie traurig war oder froh. Sie wussten nicht, wer über den Geburtsverlauf entschieden hatte. Sie wussten nichts. Nichts. Nichts. Nichts. Und doch schrieben sie. Weil sie Arschlöcher waren. Halt, für dieses Ausdrucksweise möchte ich mich entschuldigen. Sie waren respektlose, geldgeile Arschlöcher.
Es gibt schwerwiegende körperliche Gründe für einen Kaiserschnitt. Es gibt schwerwiegende psychische Gründe für einen Kaiserschnitt. Wer aber glaubt, Schwangere entscheiden sich für einen Kaiserschnitt, weil dies der „einfachere Weg“ ist, hat mal wieder keine Ahnung. Bei einem Kaiserschnitt wird die Frau lokal oder per Vollnarkose narkotisiert. Danach wird ein zehn bis fünfzehn Zentimeter langer Querschnitt am Unterbauch angesetzt. Dieser Schnitt durchtrennt Haut, Fettgewebe, Körperhülle und die Vorderwand der Gebärmutter. Die Fruchtblase wird geöffnet und das Kind durch die Öffnung herausgezogen, während oberhalb des Schnittes eine weitere Person auf den Bauch drückt. Das Vernähen der Wunde dauert zwanzig bis dreißig Minuten. Am Ende hat man eine Narbe von acht bis zehn Zentimetern. Das erste Mal aufstehen können Frauen nach einem Kaiserschnitt in der Regel am nächsten Tag. Und dieses Aufstehen ist schmerzhaft. Sehr schmerzhaft. Und dieser Schmerz wird die ersten Tage zum ständigen Begleiter. Schließlich handelt es sich bei einem Kaiserschnitt um eine Bauch-OP. Einer großen Bauch-OP. Jeder Person, die per Kaiserschnitt entbunden hat, bleibt zu hoffen, dass ihr Schmerzmittel in rauen Mengen angeboten wird. Die Narbe ist nach ungefähr drei Wochen verheilt. Die durchtrennten Musekelfasern und Nerven brauchen bis zur kompletten Regeneration bis zu einem Jahr.
Klingt das wie ein leichter Weg? Ein Prozedere für Faule? Eben!

Eine Geburt ist kein Wettbewerb. Kein Wettrennen um Ruhm und Ehre. Kein Anlass, um Punkte zu sammeln. Eine Geburt ist eine Geburt. Aus dem Bauch heraus. Vaginal. Ob kurz oder lang, mit großem oder kleinem Kind, mit Interventionen oder ohne, zuhause oder in der Klinik, schwer oder einfach, zum ersten oder achten Mal, laut oder leise. Eine Geburt ist eine Geburt ist eine Geburt ist eine Geburt.

Unvergessen. Ich erinnere mich. An jeden Satz an jedes Wort. An die Schmerzen. Die Kraft. Die Anstrengung. Wie meine Grenzen verschwammen, ich die Kontrolle verlor. Ich rieche das Desinfektionsmittel, sehe die Gesundheitsschuhe der Hebamme, das harte Laken auf dem Kreissaalbett. Höre ihre Stimmen. Spüre die Nadel im Arm, die Hände der Ärztin. Schmecke den lauwarmen Krankenhaustee und mein eigenes Erbrochenes. Und ich fühle. Die Erschöpfung, die Verzweiflung. Die Angst. Die Brachialität und Wucht. Die Wehen, wie Wellen. Nicht zu stoppen. Unbeeindruckt von meinem Flehen.
Und dann. Der Moment, als ich Dir zum ersten Mal in die Augen sah. Ganz dunkel waren sie. Du schautest mich an. Ganz ruhig. Irgendwie wissend. Und dieser Blick überfuhr mich. Knipste ein Licht in mir an. Weckte mich auf. Glück durchflutete mich und Stolz. Ich wollte schreien. „SEHT HER. SEHT ALLE HER. DAS IST MEIN KIND. IN MIR GEWACHSEN. DAS HABE ICH GEMACHT. DAS HABE ICH GEBOREN!“
Adrenalin durchflutete mich wie eine Droge, und ich war vollkommen high. Wie angekommen. Endlich, nach einer langen beschwerlichen Reise. Am Ziel. Du warst da, als hätte ich schon immer auf dich gewartet. Als hätten wir uns schon immer gekannt. Als sollte es schon immer so sein. Und ich konnte nicht fassen, dass die Erde sich einfach so weiterdreht, die Vögel zwitschern, die Sonne scheint, Autos hupend im Stau stehen, Kinder in der Schule sitzen, Menschen Wäsche waschen. Dass sie schlafen, essen, träumen, streiten, arbeiten, sich küssen. Dass sie Gurken und Brot einkaufen, und den Hund ausführen. Ins Handy starren oder ihre Steuererklärung machen. Konnte nicht verstehen, dass die Welt nicht stillt steht. Nur kurz. Um sich zu verbeugen. Vor Dir. Und vor mir.

aus:
Marlene Hellene, Bauch frei
Copyright © 2022 Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Zur Autorin:
Marlene Hellene, geboren 1979, begeistert auf Twitter und Instagram mit ihren Texten und Tweets. Texte der Autorin erscheinen u. a. in der SZ und regelmäßig in der Brigitte Mom. Ihre Bücher „Man bekommt ja so viel zurück“ und „Zu groß für die Babyklappe“ waren Bestseller. Sie lebt mit ihrer Familie in Karlsruhe.

Jungen, die mit Puppen spielen? Ja, bitte!

Noch immer finden wir in vielen Spielzeugläden, Spielzeugprospekten und sogar Kinderzimmern eine Einteilung in „Mädchen- und Jungenspielzeug“: Für die Mädchen all die Dinge rund um Fürsorge wie Puppenküchen, Puppen und Kuscheltiere samt Puppenwagen und Puppentragetüchern, für Jungen die Technik- und Bauspielsachen. Und nicht nur dort wird oft eine grobe Unterteilung vorgenommen, sondern auch im Spielalltag, wenn einem Kind nach dem zugeordneten Geschlecht ein scheinbar passendes Spielangebot gemacht wird: „Geh doch mal in die Puppenküche spielen, Laura.“ „Spiel mal mit deinen Dinos, Linus.“ wird Kindern in Kindergärten und zu Hause gesagt und damit zugeordnet, welches Spielangebot scheinbar passend und richtig ist.

Aber mein Kind spielt eben lieber mit…

Und ja, vielleicht spielt Laura gerne mit Puppen und Linus mit Dinos und andersherum ist es nicht so. Aber durch die beständige Zuordnung ist es schwer zu entscheiden: Was ist Henne, was Ei? Unsere Kinder wachsen schon von frühen Jahren in eine Zuordnung hinein, die an vielen verschiedenen Stellen vorgenommen wird. Schon kleine Babybodys und Hosen sind bedruckt mit Autos oder Herzchen. Tatsächlich haben Kinder bestimmte Vorlieben, denen sie auch nachgehen dürfen. Die amerikanische Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Lise Elliot schreibt in ihrem Buch „Wie verschieden sind sie?“ hierzu (2010, S.162): „Auffallend ist aber, in welchem Maße auch heutige Eltern ihre Kinder, noch ehe sie auf der Welt sind, schon nach stereotypen Rollenmustern wahrnehmen. Dieser Tendenz entgegenzuwirken erfordert ständige Aufmerksamkeit. Am besten fangen wir damit an, wenn das Kind noch ganz klein ist und die geschlechtstypischen Merkmale kaum ausgeprägt sind. Bevor es später selbst darauf beharrt, dass es wie ein Mädchen oder wie ein Junge behandelt wird, können wir zunächst einfach nur wahrnehmen, wie es denn ist: kontaktfreudig, ungestüm, zappelig, fügsam, laut, still, wachsam, ernsthaft, unbefangen, heiter, neugierig, wuselig. Die Eltern sollten diese Phase, bevor die Geschlechtsidentität des Kindes sich entfaltet, genießen und den Signalen folgen, die ihnen sagen, was die ganz individuellen Bedürfnisse dieses kleinen Wesens sind.“

Es ist also okay, wenn Laura mit Puppen spielen möchte und Linus mit Dinos. Aber als Eltern können wir dennoch darauf hinwirken, bestehende Stereotypen nicht noch stärker zu zementieren und unsere Kinder offen zu begleiten. In obigem Beispiel ist das sogar ganz einfach möglich: Statt einen konkreten Spielvorschlag zu machen, können wir anregen „Laura/Linus, geh doch mit deinen Spielsachen spielen.“ Und wir können ein Spielangebot zur Auswahl stellen, das nicht nur den klassischen Stereotypen entspricht, sondern die Erfahrungswelt des Kindes so gestalten, dass es wirklich eine freie Auswahl hat zwischen Spielsachen, die wir selbst nicht als richtig oder falsch für dieses Kind bestimmen. Die generelle Auswahl der Spielsachen spielt hier eine wichtige Rolle.

„Kein Mädchen muss mit Autos spielen. Aber es sollte die Chance und die Möglichkeit haben, das zu tun, und erleben, dass das normal ist.“

Susanne Mierau „New Moms for Rebel Girls“

Der besondere Aspekt: Fürsorgespiele für Jungen

An stereotypen Spielangeboten gibt es viele Themen, die kritisiert werden können: Schönheitsschminkspiele für Mädchen, die schon früh das gesellschaftliche Schönheitsideal in Mädchen einbrennen mit langfristigen Folgen, Ausklammern von Mädchen aus MINT-Themen, Spiele, die Aggression und Kampf insbesondere für Jungen als normal und richtig darstellen – die Liste ist lang und vielfältig in ihren möglichen Auswirkungen.

An dieser Stelle soll ein besonderer Aspekt herausgegriffen werden, nämlich nicht das spezielle Angebot für ein Geschlecht, sondern die Vorenthaltung von Spielen, die sich um Fürsorge drehen, für Jungen. Während einerseits das Spielangebot so gestaltet sein kann, dass das Versorgen von Puppen und/oder Kuscheltieren mit Nahrung und Pflegetätigkeiten nicht frei zur Verfügung steht, werden Jungen manchmal auch dort, wo es diese Spielmöglichkeiten gäbe, bewusst hiervon abgehalten durch Aussagen wie „Komm, damit spielen Jungs nicht.“, „Du kannst doch keine Mama sein!“ oder „Geh mal lieber in die Bauecke.“

Doch für ihre Entwicklung ist es wichtig, dass auch Jungen Fürsorge erlernen. Das Sorgen für andere erlernen wir, es ist in großen Teil nicht in uns angelegt. Väter und Mütter müssen nach der Geburt gleichermaßen erlernen, ihre Kinder zu umsorgen: ihre Signale wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und dann passend zu beantworten. In der frühen Kindheit wird dafür bereits ein Grundstein gelegt. Besonders auch dafür, ob wir überhaupt denken, dass das eine Aufgabe ist, für die wir uns eignen, die wir ausführen können. Das Selbstbild wird auch in diesem Bereich geprägt durch die Erfahrungen, die Kinder machen. Werden Jungen immer wieder vom fürsorgenden Spiel ausgeschlossen und können darin keine Erfahrungen sammeln, wird ihnen damit signalisiert: Das ist nicht dein Aufgabenbereich. Einher damit geht manchmal auch eine unbewusste Abwertung der Fürsorgetätigkeiten: Das ist doch keine „richtige“ Beschäftigung! Mit solchen oft unbewusst vermittelten Botschaften prägen wir daher nicht nur das Selbstbild des Kindes, sondern nehmen auch Einfluss auf ein gesellschaftliches Bild vom Wert der Fürsorge.

Deswegen: Lasst Kinder – unabhängig vom zugeordneten Geschlecht – mit Puppen spielen. Lasst sie nachahmen, wie Babys gefüttert, getragen und umsorgt werden. Seid offen für die Fragen der Kinder und zeigt Anerkennung für dieses Spiel. Wir wissen, welch große Herausforderung – neben aller Liebe – Fürsorge für Kinder sein kann und sollten gemeinsam daraufhin wirken, dass diese Tätigkeit nicht nur von allen Menschen ganz selbstverständlich geleistet wird, sondern auch entsprechende Anerkennung von allen erfährt. – Und genießt es einfach, wenn euer Kind in das Spiel versunken ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Von „Nerv nicht!“ zu „Hilfe, ich bin genervt“

„Nerv nicht!“ – eine Aussage, die sich tief in das Selbstbild brennen kann, wenn sie sich immer wiederholt. „Nerv nicht“ bedeutet: „Deine Wünsche und Bedürfnisse sind mir zu viel oder falsch.“, „Was du jetzt brauchst oder willst, stufe ich als erwachsene Person als unwichtig ein.“, „Es gibt Wichtigeres als dich und deine Bedürfnisse.“, „Du belastest mich.“ Gerade für Kinder, die auf ihre Bezugspersonen als Schutz angewiesen sind, als sicheren Hafen, und in vielen Bereichen der Bedürfniserfüllung noch auf uns angewiesen sind, kann dies nachhaltig belastend sein. Es kann sich das Gefühl ausbreiten, unwichtig zu sein, nicht gehört zu werden, falsch zu sein.

Natürlich sind Eltern manchmal genervt

Ein „Nerv nicht!“ mag manchmal unserem tiefen Elternempfinden entspringen: Der Alltag ist voll mit Aufgaben und nicht immer ist Platz für die Bedürfnisse des Kindes. Und manchmal sind wir tatsächlich auch von der x-ten Nachfrage, ob dieses oder jenes noch gekauft oder getan werden kann in der schieren Menge des Vorsprechens des Kindes genervt. Wir müssen diese Gefühle nicht verbannen aus unseren Empfindungen. Im Gegenteil: es ist gut, wenn wir sie spüren, denn dadurch haben wir die Möglichkeit, festzustellen, dass wir gerade überlastet sind und können dann richtig reagieren, indem wir die Situation verändern.

Oft liegt die Ursache des Gefühls, vom Kind genervt zu sein, in einer generellen Überlastung: Wir haben nicht auch noch Energie für das laute, fordernde Kind nach einem ohnehin schon anstrengenden Tag oder während es uns gerade gesundheitlich vielleicht nicht gut geht. Das Kind fordert hingegen mit seinem Verhalten oft Bindung und Beziehung ein – was wir durch unseren Stress aber nicht mehr so feinfühlig wahrnehmen können: Durch Stress fällt es uns schwerer, „hinter das Verhalten“ des Kindes auf die Bedürfnisse zu blicken, die es zum Ausdruck bringen will.

Nervende Kinder – unerfüllte Bedürfnisse

Wenn Kinder beständig etwas einfordern, kann sich dahinter ein bestimmter dringender Wunsch verbergen. Oft aber ist es auch ein Bedürfnis nach Bindung und Beziehung: Immer und immer wieder kommt das Kind an diesem Tag wieder an und möchte nicht allein spielen, sondern nur mit einem Elternteil. Das heute ständig wütende Kind ist eigentlich traurig, weil es von den Freunden im Spiel ausgeschlossen wurde und kann das aber noch nicht gut verbalisieren. Das Kind, das den ganzen Tag auf alle Vorschläge nur maulig reagiert, ist eigentlich erschöpft vom Kindergarten, in dem heute alles durcheinander war, weil ein Erzieher fehlte.

Alternativen zu „Nerv nicht!“

Es kann viele Gründe geben, warum wir uns genervt fühlen. Und es kann viele verschiedene Gründe dafür geben, dass das Kind heute oder auch mal über einige Tage hinweg ein ungewohntes, für uns anstrengendes Verhalten zeigt. Wichtig ist, dass wir als erwachsene Bezugspersonen damit erwachsen umgehen und das Genervtsein nicht ungefiltert an das Kind weiter geben.

Diese Belastung ist für kleine Schultern zu groß. Ja, Rücksichtnahme ist wichtig, auch Kinder müssen das im Laufe der Zeit lernen. Aber auf andere Weise, als durch harte Worte, die das Innere verletzen. Zum Beispiel, indem wir unser Bedürfnis klar kommunizieren und eine Lösung anbieten: „Ich hab heute keine Nerven mehr. Komm, wir machen es uns ganz gemütlich auf dem Sofa.“ oder „Ich hab heute keine Nerven mehr, komm wir gehen in den Wald spazieren und du kannst dich da richtig austoben.“ Wir vermitteln eine andere Botschaft an das Kind, wenn wir erklären, dass wir selbst keine Nerven mehr haben, gestresst und/oder müde sind, als wenn wir sprachlich dem Kind die Schuld daran zuweisen.

Dauert das Gefühl des Genervtseins länger an, sollten sich Eltern Unterstützung holen: in Form einer Beratung, um mit professioneller Hilfe auf das Verhalten des Kindes zu blicken und/oder in Form von Unterstützung im Alltag, um den Stress zu reduzieren.

Das unangenehme Gefühl, zur Last zu fallen, haben viele Erwachsene in sich eingespeichert und es kann deswegen schwer fallen, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Umso wichtiger ist es, den Kreislauf zu durchbrechen und es nicht weiterzugeben.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Elterlicher Stress als Einflussfaktor auf Erziehung

Theoretisch wissen es Eltern: Eine sichere Bindungsbeziehung für Kinder ist von Vorteil für die kindliche Entwicklung. Sie kann das Fundament bilden für ein gutes Selbstwertgefühl, kann die Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen erhöhen und sich auf das Eingehen zukünftiger Beziehungen positiv auswirken. Natürlich können wir unsere Kinder nicht vor allen äußeren Einflüssen schützen, aber eine sichere Bindungsbeziehung kann ihnen helfen, mit widrigen Einflüssen besser umgehen zu können.

Viele Eltern sind deswegen darum bemüht, mit ihren Kindern genau darauf hinzuwirken. Sie lesen Bücher und Blogs, nehmen an Kursen teil und arbeiten eigene Kindheitserfahrungen auf, die das Verhalten gegenüber den eigenen Kindern noch heute prägen. Manchmal ist es schwer, die geprägten inneren Bilder über die Beziehung zwischen Eltern und Kind zu überwinden und neue, moderne Wege zu gehen. Gerade dann, wenn die eigene Kindheit durch psychische und/oder körperliche Gewalt besonders geprägt war, kann es eine große Herausforderung sein, diese inneren Bilder und besonders in Konfliktsituationen auftretenden Handlungsimpulse zu überwinden. Der Weg zu einer gewaltfreien Kindheit ist nicht immer einfach und vor allem höchst unterschiedlich herausfordernd: Eltern haben einen unterschiedlich schweren Rucksack auf dem Weg der Begleitung von Kindern zu tragen.

Auswirkungen von Stress auf unser Verhalten

Neben diesen individuellen Erfahrungen, die uns die Begleitung von Kindern erschweren können, gibt es jedoch zusätzlich erschwerende Rahmenbedingungen für die bedürfnisorientierte Begleitung von Kindern, die auf nahezu alle Eltern einwirken und jene, die ohnehin schon größere Herausforderungen ausgesetzt sind, zusätzlich belasten: Stress.

Stress wirkt sich auf unsere Feinfühligkeit aus, die eine wichtige Voraussetzung für das Begleiten von Kindern ist: Für sichere Bindungsbeziehungen müssen wir die Signale des Kindes wahrnehmen können, richtig interpretieren und dann passend beantworten. Natürlich können wir nicht immer auf alle Bedürfnisse des Kindes prompt und angemessen reagieren, aber in der Mehrheit der Fälle sollte das möglich sein, so dass das Kind verinnerlicht, dass es mit seinen Bedürfnissen gut bei uns aufgehoben ist und wir es sicher versorgen. Das, was viele Eltern als „intuitives Umsorgen“ bezeichnen oder „Bauchgefühl“ – das intuitiv richtige Eingehen auf das Kind – kann sowohl durch die oben genannten negativen eigenen Erfahrungen als auch durch Stress überdeckt werden.

Gerade sozioökonomisch schwierige Situationen von Familien können den Stress erhöhen und sich damit negativ auf die Eltern-Kind-Interaktion auswirken. Eine Studie aus dem Jahr 2018 zeigt beispielsweise, dass sich ein einer sozioökonomisch belasteten Stichprobe von Müttern mit Kindern eine geringere Feinfühligkeit und kindliche Kooperation zeigt. Eine andere Studie aus 2007 zeigt beispielsweise, dass emotionale Wärme und Zuneigung der Eltern tendenziell mit zunehmender Geschwisteranzahl sinkt, wahrscheinlich durch größere Belastungen und mehr Stress.

Gerade die Mental Load Debatte der vergangenen Jahre hat auch gezeigt, dass es gerade Mütter sind, die besonders viel Alltagsstress und Last tragen müssen: Durch das Mutterbild gibt es einen hohen Erwartungsdruck an die Begleitung der Kinder, dabei sind sie sowohl dem Gender-Pay-Gap, als auch Gender-Care-Gap und Gender-Renten-Gap ausgesetzt und als häufig in Teilzeitverhältnissen beschäftigten Personen auch unter Zeitdruck zwischen Erwerbs- und Fürsorgearbeit.

“Es ist, mit etwas Abstand betrachtet, ganz schön unfair, dass oft die Mutter-Kind-Beziehung darunter leiden muss, dass wir als Mütter so aufgeladen sind mit Erwartungen und Aufgaben.”

Susanne Mierau „New Moms for Rebel Girls“

Stress ist also ein ganz wichtiger Einflussfaktor auf unser Verhalten. Oft ist es das (aus Sicht des Kindes normale, kindliche) Verhalten, das unser durch den Alltag aufgefülltes Stressfass zum Überlaufen bringt: Nach einem ohnehin stressigen Tag verkippt das Kind am Tisch den Tee abends. Wären wir ausgeglichen nach einem ruhigen Tag würden wir vielleicht viel besonnenen reagieren als wenn wir ohnehin angespannt sind und in dem verkippten Tee nur noch eine weitere Tätigkeit sehen, um die wir uns kümmern müssen und ärgerlich werden.

Es sind nicht immer „nur“ die Eltern Schuld

In Familien kommen Menschen mit unterschiedlichen Temperamenten zusammen. Unsere Kinder kommen schon mit unterschiedlich ausgeprägten Temperamentsdimensionen zu uns und manche Kinder sind ruhiger, andere aufgeweckter, manche aggressiver, manche zurückhaltender. Kinder sind keine Tongefäße, die wir formen können. Und auch Eltern bringen unterschiedliche Temperamente und verschiedene eigene Erfahrungen mit in das Familienleben, die ihr Handeln leiten und mehr oder weniger Unterstützung und/oder Bearbeitung für ein bedürfnisorientiertes Zusammenleben benötigen. Zu diesen vielen schon feststehenden Faktoren kommt als großer Einflussfaktor dann noch der Stress unserer Zeit hinzu, der sich auf die Feinfühligkeit auswirkt, auf unsere persönlichen Ressourcen und überhaupt die Möglichkeit, Zeit zu haben, um Hilfen in Anspruch nehmen zu können und Zugang zu ihnen zu haben.

Es liegt nicht nur alles in den Händen der Eltern. In den vergangenen Jahren haben wir zuerst daran gearbeitet, das Bild davon zu verändern, was Kinder brauchen und die Bedeutung der sicheren Bindung in den Vordergrund zu rücken. Danach kam die Bedeutung der Selbstfürsorge von Eltern verstärkt in den Blick. Nun müssen wir, für ein gesundes Aufwachsen der Kinder, ganz besonders auch die allgemeinen Rahmenbedingungen zu den anderen Punkten noch hinzunehmen. Nicht alle Stressfaktoren liegen im Rahmen persönlichen Handlungsspielraums und können von Eltern selbst verändert werden.

Eltern sind darauf angewiesen, dass sie gute Rahmenbedingungen geboten bekommen, in denen sie ihre Kinder begleiten können. Dies bezieht sich sowohl auf finanzielle Rahmenbedingungen, als auch Zugang und Vorhandensein von Hilfs- und Beratungsangeboten, aber auch auf allgemeine Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten, Druck durch Arbeitgeber*innen, Freizeit- und Entspannungsmöglichkeiten, Angst vor Altersarmut, die wieder den Arbeitsstress erhöht etc. Die Gesellschaft trägt einen wesentlichen Anteil daran, wie es Eltern heute geht und damit, wie sie ihre Kinder überhaupt begleiten können.

Gerade in der Pandemie und in Bezug auf Gewaltschutz, Resilienz, Stärkung von Kindern in dieser Zeit und Unterstützung von Familien müsste mehr in den Blick genommen werden, wie wichtig die Stressentlastung für Familien eigentlich ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

Das kindliche Schlafbedürfnis als Strukturgeber

Eines vorab: Natürlich gibt es immer Situationen, in denen es nicht möglich ist, sich nach den Bedürfnissen des Kindes zu richten. Manchmal gibt es einen dringenden auswärtigen Termin, manchmal ist der Tag einfach irgendwie chaotisch und ständig kommt irgendwas zwischen die normalen Abläufe. Manchmal ist auch gerade die Struktur des Kindes im Wandel, wenn es einen neuen Tagesrhythmus hat, vielleicht mehr oder weniger Bewegung oder gerade eines der Tagesschläfchen weglässt. Wir alle kennen diese Tage, an denen es etwas durcheinander ist, wir alle haben hin und wieder solche Tage. Unabhängig von den Ausnahmen ist es aber hilfreich, gerade in der Baby- und Kleinkindzeit, das Schlafbedürfnis des Kindes zu beachten und soweit es geht, in die Tagesplanungen einzubinden. – Dies kann sich nämlich sowohl für das Kind, als auch die Eltern als förderlich erweisen.

Wenn Kinder müde sind…

Auch als Erwachsene kennen wir es, wie es sich anfühlt, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Oder nicht einschlafen zu können/zu dürfen, obwohl wir eigentlich müde sind. Wenn Kinder müde sind, brauchen auch sie diesen Schlaf. Der Schlaf ist eine wichtige Erholungszeit unseres Körpers, stellt Balance her und dient sogar der Vertiefung von Lernerfahrungen. Babys und Kleinkinder haben aber oft noch Schwierigkeiten, selbst und eigenständig in den Schlaf überzugehen. Sie brauchen oft noch die Regulation durch ihre nahe(n) Bezugsperson(en) und die Sicherheit deren Nähe, um wirklich einschlafen zu können. Nur wenige Kinder schlafen tatsächlich einfach problemlos an Ort und Stelle ein, wenn sie müde sind. Hilfreich ist es, wenn diese Bezugspersonen schon frühzeitig erkennen, dass das Kind nun müde wird und Rahmenbedingungen herstellen, die das Einschlafen ermöglichen. Je nach Temperament des Kindes kann es unterschiedlich sein, was ein Kind braucht: Manche Babys schlafen problemlos auch bei hellem Licht und lauten Geräuschen ein, andere brauchen mehr Abgeschiedenheit. Wenn die Bezugsperson erkennt, dass das Kind nun müde wird, sollte gehandelt werden. Findet das Kind den Absprung zum Schlaf nämlich nicht, kann es überreizen und dann noch schwerer in den Schlaf finden und zunehmend ungehaltener werden.

Ein müdes Kind, das nicht einschläft, fühlt sich selbst nicht nur unwohl, sondern auch die Eltern sind von einem übermüdeten Kind und scheiternden Beruhigungsangeboten schnell überfordert: der Stress verstärkt sich, die Feinfühligkeit sinkt, es kann zum Streit kommen, obwohl niemand so richtig etwas an der Situation ändern kann: Ein Kind schläft nicht ein, wenn man ihm einfach sagt, dass es nun schlafen soll. Das hat nichts mit Machtkämpfen, Trotz oder Widerwillen zu tun: Um einschlafen zu können, braucht es Müdigkeit und passende Rahmenbedingungen. Deswegen ist es wichtig, schon bei geringen Müdigkeitszeichen wie einem starren Blick, Ruhe und/oder Rückzug des Kindes zu handeln und eine für dieses Kind passende Schlafumgebung herzustellen.

Tagesstruktur als Schlafhilfe

Einerseits ist es also wichtig, auf die Müdigkeitszeichen des Kindes zu achten, andererseits zeigen viele Kinder auch recht regelmäßige Schlafrhythmen und werden in etwa zur gleichen Zeit am Tag müde. Wenn Eltern ein Kind haben, das solche Regelmäßigkeiten und Rhythmen zeigt, ist es sinnvoll, diese zu berücksichtigen, um der Überreizung des Kindes und der eigenen Überreizung vorzubeugen. Viele Eltern kennen die Situation, wenn das Kind am Nachmittag zunächst nicht einschläft, weil etwas aufregendes unternommen wurde, dann vielleicht quengelig wird, um dann am Spätnachmittag einzuschlafen, wodurch sich der Abendschlaf verschiebt, obwohl der Abend doch schon für einen gemütlichen erwachsenen Fernsehabend verplant war. Das ist oft für alle Beteiligten eine unangenehme Situation. Daher hilft es, solange noch mehrere Schlafenszeiten tagsüber stattfinden, sich an dem Rhythmus des Kindes zu orientieren und nach Möglichkeit Termine so zu legen, dass die gewohnten Schlafphasen eingehalten werden können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

Glück ist, wenn man so geliebt wird, wie man ist

Dürfen wir dich zu Beginn dieses Artikels zu einer kleinen Reflexion einladen?

Gehe in Gedanken in deine Kindheit und Jugendzeit zurück. Denke an deine engsten Bezugspersonen: deine Eltern, Großeltern oder andere Menschen, die wichtig waren. Welche Erwartungen an dich hast du von wem gespürt? Welche davon konntest du erfüllen, welche nicht? Welchen versuchst du heute noch zu entsprechen? Wie musstest du sein, was musstest du tun, um Liebe und Anerkennung zu erhalten? Und wie hat dich das geprägt?

Wenn du dich mit diesen Erfahrungen beschäftigst, wirst du vielleicht merken, dass sie einen großen Einfluss auf dein Selbstwertgefühl hatten und haben.

Was ist das „Selbstwertgefühl“?

Der Sozialpsychologe Morris Rosenberg definierte 1965 Selbstwertgefühl als eine Haltung oder Einstellung, die wir uns selbst gegenüber einnehmen. Seiner Definition zufolge empfindet sich eine Person mit hohem Selbstwertgefühl als «gut genug»; er glaubt, dass er als Mensch wertvoll ist und kann sich mit seinen positiven und negativen Facetten annehmen – ohne sich deswegen als etwas Besonderes zu sehen oder zu erwarten, dass andere ihn bewundern.

Für die Entwicklung unseres Selbstwertgefühls ist es entscheidend, welche Beziehungserfahrungen wir mit anderen machen. Wenn wir uns geliebt, geborgen, gesehen und angenommen fühlen, wächst unser Selbstwertgefühl. Fühlen wir uns zurückgewiesen, abgelehnt oder kritisiert, macht sich jemand lustig über uns oder zeigt sich verächtlich, dann leidet unser Selbstwertgefühl.

Unser Selbstwertgefühl kann aber nicht nur mehr oder weniger hoch sein, es kann auch mehr oder weniger stark an Bedingungen geknüpft sein.

Wenn Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise sein oder sich verhalten müssen, um Wertschätzung und Zuneigung zu erfahren, bildet sich ein an Bedingungen geknüpftes Selbstwertgefühl aus. Ein Kind kann beispielsweise erleben:

  • Ich werde geliebt, wenn ich Leistung zeige, gute Noten und sportliche Erfolge erziele.
  • Ich bin nur dann liebenswert, wenn ich brav bin und meinen Eltern gehorche.
  • Damit mich meine Eltern annehmen können, muss ich mich den religiösen Überzeugungen meiner Familie anschließen.
  • Um Liebe und Anerkennung nicht zu verlieren, muss ich darauf achten, immer schlank, gutaussehend und vorzeigbar zu sein.
  • Liebe muss man sich verdienen, indem man besonders hilfsbereit ist und sich für andere aufopfert.

Natürlich finden wir es alle schön, wenn wir Erfolge erzielen, gut aussehen oder anderen Menschen helfen können und reagieren verunsichert, wenn dem nicht so ist. Problematisch wird es, wenn das Selbstwertgefühl so stark an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in eine regelrechte Krise stürzen, wenn sie diese für einmal nicht erfüllen können. Wenn sie sich bei einer schlechten Note gleich als Versager abstempeln und sich jede Prüfung anfühlt, als ginge es um Leben und Tod. Wenn sie sich schuldig fühlen, sobald sie eine Bitte ausschlagen oder für ihre Bedürfnisse einstehen. Wenn sie sich als bösen Sünder sehen, weil sie sich „schmutzigen Gedanken“ hingegeben oder unchristlich verhalten haben. Wenn sie sich nicht mehr um einen anderen Menschen kümmern können und sich deswegen als Nichtsnutz oder wertlos empfinden. Wenn sie befürchten, dass ihre Freunde sie nicht mehr mögen oder sie nie eine/n Partner/in finden werden, wenn sie ein, zwei Kilo zunehmen.

Wie Erwartungen uns den Blick auf unsere Kinder verstellen

Hand aufs Herz: Wir alle haben bestimmte Bilder und Erwartungen im Kopf, wünschen uns, dass unsere Kinder bestimmte Eigenschaften, Interessen oder Werte zeigen und reagieren vielleicht auch enttäuscht, wenn unsere Kinder nicht so sind. Vielleicht möchten wir, dass unser Kind besonders sozial und einfühlsam ist und sind irritiert, wenn es sich als dominanter Rowdy zeigt und gerne mit Waffen spielt. Manchmal verstellen uns unsere Wünsche auch den Blick auf das Kind. Sehr treffend drückt das Familylab-Leiter Matthias Volchert aus: „Kann ich dich noch sehen wie du bist, oder bestimmen meine Erwartungen schon mein Bild von dir?“

Ein Kinderbuch greift dieses Thema auf

So geht es auch Jaron, dem jungen Fuchs in unserem Buch „Jaron auf den Spuren des Glücks“. Dieser könnte sich sehr viel Schöneres vorstellen, als am Sonntagmorgen bei einem Fußballspiel auf dem Platz zu stehen. Nur leider hat sein Vater das Gefühl, dass ihm der Sport guttun und ihm dabei helfen wird, mehr Biss und Durchhaltevermögen zu entwickeln:

«Dieses blöde Fußball! Warum muss ich da hin? Vielleicht könnte ich sagen, dass ich krank bin…», denkt Jaron. Aber da schallt ihm bereits ein aufgeregtes «Morgen, Sportsfreund!» entgegen. Papa Fuchs steht am Herd und wendet Pfannkuchen – etwas, das er nur zu besonderen Anlässen tut.

Jaron lässt sich auf seinen Stuhl plumpsen, hängt sich über die Tischplatte und legt den Kopf auf die Arme. 

Ein Turm aus Pfannkuchen schiebt sich in sein Blickfeld. Der Ahornsirup läuft an den Rändern herunter und bedeckt die Himbeeren und die Sahne auf dem Teller. Jarons Lieblingsgericht! Doch heute starrt er mit einem Kloß im Hals auf den süßen Turm, der ihm unendlich groß erscheint. «Ich schaff das nicht», murmelt er.

«Du musst ja nicht alle essen», antwortet Papa Fuchs. «Zwei oder drei Pfannkuchen reichen sicher.» Der Vater klopft ihm auf die Schulter und setzt sich mit einer Tasse Kaffee zu Jaron an den Tisch. «Ist vielleicht sowieso besser. Mit vollem Magen rennt es sich nicht gut. Und wir wollen ja, dass du fit bist heute.»

Leider kann Jaron auch in seiner Mannschaft nicht auf Rückhalt zählen. Nachdem er im Finale den entscheidenden Elfmeter verschossen hat, schließen ihn seine Kameraden vom gemeinsamen Eisessen aus und machen sich über ihn lustig.

„Nicht gut genug“ zu sein begleitet uns oft lebenslang

In Seminaren und Beratungen mit Eltern und Fachpersonen merken wir immer wieder, dass das Gefühl, nicht zu genügen, erstaunlich viele Menschen seit der Kindheit begleitet.

Sie haben deutlich gespürt, dass sie für ihre Eltern, Lehrkräfte, aber auch Gleichaltrige zu laut, zu schüchtern, zu anstrengend, zu empfindlich, zu faul, zu ehrgeizig, zu unsportlich, zu dick oder zu uncool waren. Einige haben erlebt, dass sie für ihre Eltern etwas Besonderes sein müssen: Die Beste Schülerin, ein Spitzensportler – und man die Aufmerksamkeit der Eltern vor allem dann bekommt, wenn man aus der Masse herausragt. Manche fühlten sich nicht angenommen, weil sie nicht das ersehnte Geschlecht hatten, dem gängigen Rollenbild eines „richtigen Jungen“ oder eines „richtigen Mädchens“ nicht entsprachen oder vom Charakter her dem Expartner schmerzlich ähnelten, den die Mutter oder der Vater verteufelte. Einige hatten erlebt, dass ihre Eltern immer wieder davon sprachen, wieviel sie für die Kinder geopfert hatten, wie anstrengend die Vater- oder Mutterschaft für sie ist – und man als Kind dieses Opfer nur durch ganz viel Dankbarkeit und Angepasstheit aufwiegen kann.

Warum fällt uns bedingungslose Liebe manchmal so schwer?

Ein unabhängiges Selbstwertgefühl nimmt uns den Druck, immer etwas tun oder uns den Erwartungen anderer anpassen zu müssen, um geliebt zu werden.

Es entsteht, wenn Kinder und Jugendliche von verschiedenen Bezugspersonen immer wieder erfahren dürfen, dass sie auch dann geliebt und angenommen werden, wenn sie nicht deren Vorstellungen entsprechen.

Vielleicht geht es dir wie uns und es fällt dir auch nicht immer leicht, dein Kind im Alltag so anzunehmen, wie es ist? Vielleicht ertappst du dich auch manchmal dabei, wie dich dein Kind nervt, wie du deine Enttäuschung nicht verbergen kannst oder dein Mutter- oder Vaterherz vor lauter Stolz anschwillt, wenn dein Kind deine (unbewussten) Erwartungen erfüllt oder sogar übertrifft?

Auch wenn sich die Forderung, sein Kind bedingungslos zu lieben, in vielen modernen Elternratgebern wiederfindet, so ist sie doch relativ neu.

Es ist hilfreich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass dieses Konzept aus der Psychotherapie stammt. Beschrieben hat es als erster der humanistische Therapeut Carl Rogers, der Begründer der Gesprächspsychotherapie. Er ging davon aus, dass Menschen lernen können, sich selbst anzunehmen und schwierige Erfahrungen zu integrieren, wenn sie dabei von einem empathischen, authentischen und wertschätzenden Gegenüber begleitet werden. Dabei macht es sich der Therapeut zur Aufgabe, vorurteilsfrei zuzuhören.

Das ist natürlich in einem professionellen therapeutischen Setting deutlich einfacher als in engen, persönlichen Beziehungen. Um es mit einem plakativen Beispiel auszudrücken: Die Aussage „ich bin fremdgegangen“ ist für den Therapeuten einfacher zu ertragen als für die Partnerin.

Je enger die Beziehung zu unserem Gegenüber ist, je mehr sein Verhalten unser eigenes Leben beeinflusst und je stärker wir uns emotional mit jemandem verbunden fühlen, desto anspruchsvoller wird es, unbedingte Liebe zu zeigen.

Im Gegensatz zu einem neutralen Therapeuten haben wir Hoffnungen und Wünsche für unsere Kinder. Wir wollen das Beste für sie und ihnen ein glückliches Leben ermöglichen. Abhängig davon, wie wir aufgewachsen sind, haben wir sehr fixe Überzeugungen, was dazu nötig ist und welche Eigenschaften uns das ermöglichen. Entsprechend schnell läuten unsere Alarmglocken, wenn die Kinder vom vermeintlich „richtigen“ Weg abkommen: Manche Eltern sind so stark mit dem Schulerfolg ihrer Kinder identifiziert, dass sie vor Prüfungen schlaflose Nächte haben; andere geraten in Panik, wenn sich das Kind phasenweise „asozial“ verhält oder fürchten gleich um das Seelenheil des Kindes, wenn es sich von bestimmten Werten und religiösen oder politischen Überzeugungen ablöst.

Bedingungslose Liebe ist ein Geschenk

Wenn Eltern erkennen, dass bedingungslose Liebe wichtig ist, machen sie daraus zum Teil eine absolute Forderung: Du musst dein Kind stets annehmen und bedingungslos lieben!

Daraus leiten sie ab, dass sie nie wütend oder enttäuscht reagieren dürfen, schimpfen verboten ist und man sich sogar schuldig fühlen muss, wenn man sein Kind gelobt hat – schließlich ist doch auch das eine Form der Manipulation?

Bedingungslose Liebe wird plötzlich zu einem komplexen Regelwerk, an das man sich mit aller Verbissenheit halten muss, um keine schlechte Mutter, kein schlechter Vater zu sein.

Ohne es zu merken, tappt man erneut in die Falle der bedingten Wertschätzung: „Ich bin als Mutter oder Vater nur dann liebenswert, wenn ich alles richtig mache, meinem Kind gegenüber keine „negativen“ Gefühle zeige und es auf keine Art und Weise „manipuliere“.“

Wenn wir unseren Kindern bedingungslose Liebe schenken möchten, ist es hilfreich, wenn wir bei uns selbst beginnen und uns mit einer annehmenden und akzeptierenden Haltung begegnen.

Dazu dürfen wir uns bewusst machen: „Auch ich darf Fehler machen, ab und zu unangemessen reagieren, Gefühle haben, die mir nicht immer pädagogisch korrekt erscheinen – und kann trotzdem eine liebevolle Mama, ein liebevoller Vater sein.“

Anstatt uns selbst abzuwerten oder in Schuldgefühlen zu versinken, können wir uns annehmen und gleichzeitig Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen. Das gelingt uns besser, wenn wir ehrlich mit uns sind und hinterfragen, welche Bilder, Wünsche und Bedürfnisse hinter unseren Reaktionen stehen:

  • „Jetzt habe ich meine Kinder wieder angeschrien. Es bringt mich so auf die Palme, wenn sie sich zoffen! Ich habe gedacht, mit einem zweiten Kind sei unser Familienglück perfekt. Ich habe mir das so schön vorgestellt, wenn sie immer einen Spielgefährten zu Hause haben – aber jetzt streiten die beiden pausenlos und sind eifersüchtig aufeinander. Ich merke gerade, dass mich das enttäuscht und ziemlich traurig macht.“
  • „Wenn ich sehe, dass mein Sohn so wenig für die Schule tut und ihn schlechte Note überhaupt nicht jucken, versetzt mich das in Rage! Wenn ich ehrlich bin, kriege ich es mit der Angst zu tun, dass er sich seine Zukunft verbaut und ich schuld daran sein werde, wenn ich das zulasse.“
  • „Mein Kind ist schon wieder so dominant und kommandiert die anderen rum. Am liebsten würde ich es von seinem hohen Ross herunterholen oder ihm die kalte Schulter zeigen! Es ärgert mich so, wenn sich Menschen über andere stellen, das weckt ganz viele schlechte Erinnerungen in mir. Ich habe immer darunter gelitten, wenn andere so bossy mit mir umgegangen sind.“

Zu dem Autor und der Autorin:
Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor. Stefanie Rietzler ist Psychologin und Autorin. Ihr neues Kinderbuch Jaron auf den Spuren des Glücks“ geht der großen Frage nach dem Glück nach, das manchmal in kleinen Dingen steckt. Zudem schreiben beide regelmäßig für das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi. Mehr erfahren Sie unter mit-kindern-lernen-ch  

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de