Worum geht es eigentlich bei einer Eingewöhnung?

Obwohl Kinder schon mit vielen Kompetenzen zu uns kommen (und oft mehr, als wir zunächst ahnen), sind sie dennoch darauf angewiesen, von Bezugspersonen gut versorgt zu werden: Sie brauchen erwachsene Bezugspersonen, die ihre Signale bezüglich ihrer Bedürfnisse wahrnehmen, richtig interpretieren und dann passend und prompt darauf reagieren und ihnen Schutz und Sicherheit geben. Wird dies erfüllt, ist die Basis für den Aufbau einer sicheren Bindungsbeziehung gegeben. Die Kinder fühlen sich geschützt und gut versorgt, denn das ist, was sie in der Kindheit benötigen.

Der Kreis der Sicherheit

All die Entwicklungen, die sie in den ersten Jahren vollziehen, bilden sich auf Basis dieses Sicherheitsgefühls aus: Das Kind erkundet aus dem Sicherheitsgefühl heraus die Umgebung und Welt und macht Erfahrungen darin. Immer wissend, dass die primäre, Schutz gebende Bezugsperson auf das Kind achtet, ihm hilft, es unterstützt und die Freude an der Selbstwirksamkeit spiegelt. Wenn das Kind dann wieder Nähe braucht, wenn es Gefühle wahrnimmt, die es nicht allein einordnen oder regulieren kann, wenn es ängstlich/verängstigt ist, sich verletzt hat oder Trost und Zuwendung braucht, kommt es wieder zurück zur Bezugsperson, um Nähe und Sicherheit aufzutanken und sich helfen zu lassen. Es weiß, dass die Bezugsperson(en) wie ein sicherer Hafen immer verfügbar sind und sowohl dabei helfen, den Weg zur Eigenständigkeit einzuschlagen, als auch dann da sind, wenn Nähe benötigt wird.

Jeden Tag bewegt sich das Kind auf diesem Kreis von Selbständigkeit und Verbundenheit und erkundet, kommt wieder zurück, erkundet wieder… Je nach Alter werden die Erkundungstouren länger oder auch die Distanz größer, aber das Kind befindet sich auf diesem Kreis. Für jedes Lernen und Erkundung ist also das Wissen darum wichtig, dass es Nähe und Fürsorge gibt, ebenso wie es natürlich wichtig ist, bei Angst/Verletzung/Unwohlsein schützende Nähe aufsuchen zu können.

Neue Situation ohne Eltern?

Wenn das Kind nun in einen Kindergarten kommt, ist dort alles neu. Das ist herausfordernd und interessant und bietet die Möglichkeit, viele neue Dinge kennenzulernen und die Welt ein Stück weiter zu begreifen. Die Trennung von den Bezugspersonen, die Sicherheit, Schutz und Regulation versprechen, führt bei Kindern allerdings zu Stress, denn dieser Schutz und die Fürsorge sind für sie schließlich lebensnotwendig. Ohne Bezugspersonen in einer fremden Umgebung hat das Kind Angst. Dieser Stress führt nicht nur dazu, dass das Erkundungsverhalten eingeschränkt wird und das Kind nicht offen ist für neue Erfahrungen, sondern kann sich sogar körperlich niederschlagen, die Entwicklung und Psyche beeinflussen.

Ist das Kind allerdings in Anwesenheit einer Bindungsperson in einer neuen Situation, ist der Stress geringer. Je besser die Bindungsbeziehung zu dieser Bindungsperson ist, desto geringer ist das Stresslevel. Verlässt allerdings die Bindungsperson das Kind in dieser Situation, steigt der Stress an, das Kind wird ängstlich und reagiert mit einem Bindungsverhalten wie Weinen und Schreien, um die Bindungsperson wieder zu sich zu rufen, damit es sicher und geschützt ist.

Hier [in der NICHD-Studie] zeigte sich: Weder die Form der außerfamiliären Betreuung noch deren Qualität wirkten sich negativ auf die Bindungsqualität sicher gebundener Kinder zu ihren Müttern aus. Ungünstig allerdings war es, wenn Kinder mit wenig feinfühligen Müttern auch noch viel zeit in außerfamilärer Betreuung schlechter Qualität verbrachten. Eine andere Studie in Deutschland zeigte aber auch: Wird die Eingewöhnung in den Kindergarten sehr hastig innerhalb weniger Tage vorgenommen, kann die Mutter-Kind-Bindung von einem sicheren in ein unsicheres Bindungsmuster kippen.

aus: Mierau, Susanne „Mutter.Sein“ S.228

Langsam eine neue Bindungsbeziehung zu einer anderen Person aufbauen

Damit also der Stress mit seinen negativen Folgen gering gehalten wird und das Kind somit die Möglichkeit hat, aus einem Wohlbefinden und Gefühl der Sicherheit heraus die neue Umgebung zu erkunden, Lernerfahrungen zu machen und langsam neue Beziehungen aufzubauen zu den anderen Kindern der Gruppe und Erzieher*innen, wird eine Eingewöhnung gemacht: Das Kind wird in Anwesenheit der bisherigen Bezugsperson an den neuen Ort und die neuen Menschen gewöhnt. Die primäre Bezugsperson steht als Sicherheit zur Verfügung, als sicherer Hafen, von dem aus das Kind erkundet. Nach und nach übernimmt dann die neue Bezugsperson (Erzieher*in) immer mehr Aufgaben rund um die Versorgung des Kindes, damit das Kind Vertrauen in sie entwickelt und weiß, dass es auch von dieser Person sicher versorgt und geschützt wird. Es entwickelt sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Erzieher*in und Kind, so dass für das Kind zukünftig auch von dieser Person aus das sichere Gefühl ausgeht, sowohl die Erkundung zu unterstützen, als auch für Trost und Fürsorge da zu sein. Das ist es, wofür eine Eingewöhnung vorgenommen wird. Je nach Situation, Verlässlichkeit, Interaktion, Temperament des Kindes und anderen Einflussfaktoren dauert diese Zeit der Gewöhnung unterschiedlich lang.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

3 Kommentare

  1. Anne-Sophie Marzolf

    Liebe Susanne,
    vielen Dank für den schönen Artikel.
    Mein Sohn (2 Jahre) befindet sich nun auch mitten in der Eingewöhnung bei einer Tagesmutter. Die ersten zwei Wochen schien es super zu laufen, mittlerweile sind knapp 4 Wochen um und er schreit sehr panisch, sobald mein Mann oder ich nur mal kurz den Raum verlassen. Ich habe nun natürlich große Angst, meinem Kind Schaden zuzufügen, wenn ich ihn jedes Mal erneut dieser Situation aussetze und weiß nun nicht mehr weiter. Die „normale“ Eingewöhnungszeit des Berliner Modells ist jetzt fast um und die Tagesmutter sagte schon, dass wir mit der regulären Zeit bei ihm wohl nicht hinkommen werden.
    Ich bin gerade extrem verunsichert und hoffe, du kannst mir vielleicht ein paar Tipps mit auf den Weg geben.
    Alles Liebe, Anne

  2. Nochmal schön erklärt! Hast du auch Tipps, was man tun kann, wenn Kinder auf einmal nicht mehr in die Kita möchten. Mein Sohn war gut angekommen in der Kita und ist gerne hingegangen (seit 2 Jahren), jetzt hat er im Juni nach der Schließung wegen Corona die Gruppe gewechselt zu den größeren Kindern auch das vollkommen problemlos und jetzt möchte er seit 2 Wochen nicht mehr und weint jeden Morgen, wenn wir ihn bringen. Wenn wir dann gehen beruhigt er sich ganz schnell und hat Spaß, aber das fühlt sich so falsch an, ihn weinen zu lassen. Die Erzieherinnen haben nichts beobachtet, was der Auslöser sein könnte und er sagt auch nicht, dass irgendwas war. Er sagt nur, er möchte nicht ohne uns sein, weil er uns vermisst…
    Vielen Dank für deinen Blog und liebe Grüße, Jana

  3. Bei Aufnahme in die Krippe funktioniert es bei uns so, wie beschrieben. Aber – dann kommt der Wechsel in die Kita, da arbeite ich…. Leider nehme ich zunehmend wahr, steht die Berufstätigkeit der Eltern meist über den Bedürfnissen der Kinder. Die Kleinen sollen am besten schon ab dem zweiten, dritten Tag den vollen Tag da sein, inklusive Mittagessen, manchmal sogar noch in Früh- und/ oder Spätdienst mit wieder anderen Erziehern … Leider sagt unsere Leitung dann oft, „Ja, wenn die Mutter aber doch arbeiten muss!“
    Hätte gerne, dass verbindlich für unsere Einrichtung, die Eltern eine gewisse Zeit als Eingewöhnung einkalkulieren müssen! Ich hatte es schon, dass eine neue Dreijährige, die in der Krippe nur zu den Kernzeiten betreut wurde, ab ihrem dritten Kitatag von 7 – 17 Uhr dableiben sollte, die Mutter hatte eine neue Stelle angefangen… Im Vorgespräch wurde uns das nicht gesagt, sondern am ersten Kita Tag. Natürlich ging der Schuss nach hinten los. Wenn ich das Kind zum Spätdienst brachte, klammerte und schrie sie, als wäre ich die Mutter…. Nach einigen Wochen wollte das Kind natürlich gar nicht mehr in die Kita…
    Letztes Jahr hatten wir eine Familie in der Eingewöhnung eines Dreijährigen gebeten, ihn zunächst schon um 11 Uhr abzuholen. Aufgrund der Pandemie war die Übergabe an der Tür. Das heißt, man sagt dem Kind, komm wir gehen zur Tür Deine Mama / Papa holt Dich jetzt ab. Und dann ist da keiner, es kommt auch in der nächsten halben Stunde keiner. Und man telefoniert hinter her und es wird dann gegen 12 Uhr der 13 jährige Bruder zum Abholen geschickt. Und wir sollen das Kind bei Laune halten, erklären, warum da keiner ist…

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