Tag: 6. Juni 2019

Janine berichtet: Eingewöhnung im bindungsorientierten Kindergarten

Janine Ringel hat zusammen mit ihrem Mann Stephan Ringel einen kleinen Kindergarten in Lübeck gegründet auf Basis einer Kindertagespflegestelle. Sie haben sich ein eigenes Konzept ausgedacht für den Kindergarten, aber auch für das Ankommen und den Aufbau der Beziehung zu den Kindern, die sie dort zusammen begleiten. Über das Ankommenskonzept, das sie erfolgreich praktizieren, berichtet sie heute.

Bindungsorientierte Erziehung- hört sie beim Kindergarten auf?

Wenn ich mich entscheide, den bindungsorientierten Weg weiter zu gehen, wie kann dann eine bindungsorientierte Eingewöhnung im Kindergarten aussehen? Und was sind die Grundpfeiler, die diese Eingewöhnung stützen und möglich machen? Über genau diese Fragen haben wir uns Gedanken gemacht, bevor wir unseren kleinen, bindungsorientierten achtsamen Kindergarten für sieben Kinder von 2- 6 Jahren gegründet haben.

Wir benutzen generell den Begriff Begleiter*in anstelle von Erzieher*in, da wir diesen als deutlich liebevoller und präziser empfinde für das, was wir bei uns im Kindergarten tun: wir begleiten Kinder ein Stück ihres Lebens, sind an ihrer Seite und für sie da, aber wir „erziehen“ sie nicht. Außerdem nutzen wir den Begriff Ankommensphase statt Eingewöhnung; wir haben uns bewusst für eine Neubenennung entschieden, um zu verdeutlichen, dass das Kind sich nicht daran gewöhnen sollte, bei uns zu bleiben, sondern dass es in Sicherheit, Ruhe und liebevoll begleitet in der Gruppe ankommen darf.

Körperliche und emotionale Unversehrtheit

Dieser Punkt ist mir im Rahmen der bindungsorientieren Ankommensphase ein Herzensanliegen: Der Grundsatz, kein Kind weinend zu übernehmen. Wir achten das psychische, emotionale Wohlbefinden genauso wie das körperliche. Das bedeutet nicht, dass Kinder kein Anrecht auf Trauer in der Ankommensphase haben. Auch dieses Gefühl kann bei einer Ankommensphase auftreten und darf da sein und wird gesehen. Ein Kind in Liebe und Respekt zu begleiten heißt auch, es in Momenten der seelischen Trauer ernst- und wahrzunehmen und nicht zu übergehen indem man das Kind “sanft” entgegennimmt und die Eltern gegen den Willen des Kindes verabschiedet. Manchmal genügt schon ein Moment mehr Zeit, ein gemeinsames Frühstück mit Mama/Papa im Kindergarten-je nachdem wo die Ursache des Weinens zu finden ist (vielleicht heißt es:”Mama/Papa ich brauche noch etwas”, “Mama/Papa ich fühle mich heute gesundheitlich nicht so wohl”).

Du bist der Expert*in für dein Kind

Die spannende Herausforderung, der sich Eltern in einer bindungsorientierten Ankommensphase gegenüber sehen, liegt ganz klar in der Selbstkompetenz: Ihr als Eltern seid diejenigen, die am meisten spüren, was sich für euch und euer Kind gut anfühlt- mit der fachlichen Unterstützung und liebevollen Begleitung der Begleiter*innen an euer Seite. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass ihr am besten erkennt, wann der Zeitpunkt gekommen ist, die Bindung zu lockern und eine neue, zusätzliche Bindung einzugehen sowie die erste räumliche, zeitliche Trennung zu vollziehen. Nicht ich als Begleiter*in entscheide, wann der beste Zeitpunkt für das Kind gekommen ist, sondern die Person, die das Kind Tag und Nacht begleitet und in Liebe und Vertrauen mit diesem verbunden ist.

Im besten Falle entsteht bei einer bindungsorientierten Ankommensphase eine feste, vertrauensvolle Bindung zwischen Kind und Begleiter*in, die von Respekt und Wertschätzung geprägt ist- und von der aus das Kind mit gutem Gefühl in die neue Situation, in seine zweite „Bindungs-Base“, wechseln kann.

Auch wenn die Begleiter*innen vielleicht die fachlichen Experten sind und ihr nur zusammen eine sichere Basis in der Einrichtung fürs Kind schaffen könnt, bist du der Experte/ die Expertin für dein Kind. Spür in dich hinein, was euch beiden gerade helfen könnte, die Situation möglichst angenehm zu gestalten, sodass ihr euch beide wohl fühlt und den Schritt gemeinsam gehen könnt. Findet gemeinsame Rituale und Möglichkeiten, den Kita-Einstieg so wundervoll wie nur möglich zu machen: Du spürst, dass dein Kind morgens noch Zeit braucht zum Kuscheln und den Trubel auf sich wirken zu lassen? Nimm dir die Zeit, beim Morgenkreis/Frühstück noch mit dabei zu sein. Du weißt, dass dein Kind den Moment des Abschieds sehr schwer findet, aber ansonsten schon sicher angekommen ist? Findet gemeinsam ein Übergangsritual- winkt noch mal am Fenster, lasst den Kuschelhasen noch mal Tschüss rufen…

Nehmt euch Zeit

Eine Voraussetzung für die Ankommensphase ist für mich, dass es keinen festgelegten Zeitrahmen gibt – das versperrt die Sicht für die eigene Emotion und Intuition und setzt unter Druck- wenn du das Gefühl hast, dein Kind braucht noch eine Woche länger (oder du brauchst noch eine Woche länger) dann ist das vollkommen in Ordnung. Du musst keinem Modell entsprechen. Eine zu schnelle Eingewöhnung birgt die Gefahr, dass Kinder noch keine stabile, sichere Bindung aufgebaut haben und demnach sich nicht ihrem eigentlichen Potential gemäß entfalten können. Wenn du die Zeit hast, beginn die Ankommensphase möglichst früh und in Gelassenheit – unter Druck ist es schwieriger, geduldig zu bleiben, wenn du oder dein Kind nicht einem festgesetzten Zeitplan entsprechen.

Rückschritte sind völlig in Ordnung

Veränderung heißt manchmal auch, einen Schritt „zurück“ zu gehen. Manchmal wirst du dein Kind auch wieder mit nach Hause nehmen – auch nach der erfolgreichen Ankommensphase, manchmal nach einigen Tagen, manchmal nach Wochen. Viele Kinder fühlen dann noch einmal bewusst, dass dies jetzt wirklich der neue Alltag sein wird, dass es sich jetzt langfristig verändert hat. Das kann verunsichern und das Bedürfnis hervorrufen, nochmal ganz viel Elternliebe und -energie zu tanken. Und das ist vollkommen in Ordnung und kein „Rückschritt“. Und es gilt auch nicht die Theorie des „wenn du ihm jetzt den kleinen Finger gibst…“ Unserer Erfahrung nach lernen die Kinder hierdurch vor allem eines: Verlässlichkeit und Vertrauen.

Was, wenn der Kindergarten nicht bindungsorientiert arbeitet?

Mir ist bewusst, dass das, was ich hier beschreibe, längst nicht in allen Kindergärten so einfach möglich ist. Was also tun, wenn ihr trotzdem eine bindungsorientierte Begleitung wünscht und möchtet, dass euer Vorgehen akzeptiert wird?

Nun, zunächst einmal: reden. Am besten schon, bevor ihr den Platz habt, abklären, wie die Eingewöhnung normalerweise gehandhabt wird. Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, beide Wege (die des Kindergartens und den euren) zu verbinden und das, was euch am wichtigsten ist, umzusetzen. Sinnvoll ist es vielleicht, euch vorab zu überlegen, was für euch Kernpunkte in der Eingewöhnung sind- was wünscht ihr euch am meisten, worauf könnt ihr eher verzichten, was wäre für euch furchtbar? So kann man gemeinsam versuchen, einen Konsens zu finden, ohne dass eine Seite stur auf seinem Standpunkt beharrt. Und dann überlegt euch, wie wichtig euch die bindungsorientierte Begleitung eures Kindes im Kindergarten ist. Wie viele Einschnitte seid ihr bereit, hinzunehmen? Wichtig ist: Was passt für euer Familiengefüge, für die Bedürfnisse aller Personen in eurer Familie am besten und lässt sich am ehesten mit eurem Alltag vereinbaren?

Ich wünsche euch, dass ihr die für euch wunderbarste Lösung findet .

Janine Ringel ist Sozialpädagogin (BA) und Mutter von zwei Kindern (2014 und 2017 geboren). 2017 hat sie zusammen mit ihrem Mann den kleinen, bindungsorientierten, auf Achtsamkeit und GFK basierenden Kindergarten “Farbtupfer” in Lübeck für Kinder von 2-6 Jahren gegründet und arbeitet darüber hinaus in der Elternberatung. Sie ist ausgebildet in gewaltfreier Kommunikation nach M.B.Rosenberg. Mehr von Janine findet Ihr auf auf  farbtupfer.org oder hier   auf Instagram.