5 Säulen einer guten Beziehung – Interview mit Katja Seide vom Gewünschtesten Wunschkind

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Am 26. März habe ich mit Katja Seide eine öffentliche Diskussion zu ihrem neuen Buch „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Gelassen durch die Jahre 5 bis 10“ geführt und sie zum Inhalt ihres neuen Buches und die Begleitung in der „Wackelzahnpubertät“ befragt. Hier könnt ihr das Interview nun in zwei Teilen nachlesen. Teil 1 über die „Tyrannenkinder von heute“ findet Ihr hier.

TEIL 2

Ihr schreibt über die 5 Säulen einer guten Beziehung, und zwar sind das: Wahrgenommen werden, Interessen Aufmerksamkeit schenken, gemeinsames Tun, emotional auf einer Wellenlänge sein, einfühlen und Motive/ Absichten erkennen. Könntest du zu den einzelnen Punkten nochmal etwas sagen, beispielsweise zum wahrgenommen werden?

Ja, nun, das sind wirklich allgemeingültige Säulen, die eine Beziehung aufrecht erhalten. Wir alle wollen zum Beispiel wahrgenommen werden, von unseren Eltern, unseren Partnern, vom Kollegen oder dem Chef. Ist das nicht der Fall, dann werden wir unglücklich. In unserer Gesellschaft ist das echte in die Augen schauen z.B. eher selten geworden, was natürlich nicht so gut ist. Die Zweite Säule ist „Joint Attention“, also die Aufmerksamkeit auf eine gemeinsame Sache. Unsere Kinder sind ja oft von den obskursten Dingen begeistert und wir Erwachsenen verdrehen dann die Augen, aber besser wäre, den Kindern zuzuhören und zu gucken, was sie daran so interessant finden. Dann kommt man nämlich ziemlich leicht zur dritten Säule, dem gemeinsamen Tun. Mit Kindern zu spielen ist wirklich immens wichtig. Es reicht nicht, dem Kind den Wunsch nach Pokemon-Karten zu erfüllen – wichtig ist auch, sie gemeinsam mit ihm auszuprobieren.

Geschmacksmäßig finde ich das teilweise auch schwierig. Durch Spielzeuge von Pokemon oder Mia & Me ziehen immer mehr Plastikspielzeuge ein. Es ist ist trotzdem wichtig dies zu teilen. Meine Kinder wollen immer sofort meine Geburtstagsgeschenke haben, aber das gehört halt dazu und irgendwie ist das auch immer so süß, wenn sie sich dann interessieren für die anderen Sachen.

Genau – es geht auch anders herum. Wir müssen uns nicht unbedingt nur auf die Interessen des Kindes stürzen, wir können eben auch unsere Interessen ausleben. Die Kinder fühlen sich da fast automatisch hingezogen. Ich zum Beispiel gehe gern auf den Flohmarkt. Meine Kinder kommen immer mit, um mit mir zusammen zu sein, und genießen das dann auch.

Emotional auf einer Wellenlänge sein…

Das ist etwas, was man nicht lernen kann. Aber die Natur hat es schon so eingerichtet, dass wir mit unseren Kindern normalterweise auf einer Wellenlänge sind, sie also grundsätzlich gut leiden können. Bei Fremden ist das nicht immer so. Wenn es nicht passt, dann wird es schwierig mit einer Freundschaft. Dieses emotionale Einschwingen machen wir Menschen ganz unbewusst über die Spiegelneuronen. Wir nehmen z.B. dieselbe Haltung ein des Gegenübers, wenn wir uns mit jemandem unterhalten. Dadurch können wir quasi erfühlen, was der andere fühlt und dann können wir besser auf ihn reagieren.

Einfühlen und Motive/ Absichten erkennen ist eine weitere Säule.

Wie gesagt, Menschen – vor allem Kinder – haben immer einen guten Grund für ihr Verhalten. Und wenn man eben in Beziehung mit ihnen ist, dann sollte man gucken, was dieser Grund sein könnte, statt gleich das Schlechteste anzunehmen. Kommunikation über Gründe ist wirklich eine der wichtigsten Säulen. Und da haben wir Glück, dass unsere Kinder jetzt schon so groß sind, denn so ab dem 5. Lebensjahr kann man wirklich sehr viele Probleme über Kommunikation lösen, ganz ohne Stress.

Da geht es auch in den persönlichen Beantwortungsbereichen drum. Eltern können sich viel weniger Stress machen, indem sie die Kinder mehr machen lassen.

Ich glaube Eltern übernehmen zu viel Verantwortung. Uns wird vorgeworfen, dass wir uns übernehmen und unsere Eltern meinen sie wären nicht so gestresst gewesen wie wir. Das mag sein, früher wurde das Aufziehen von Kindern noch anders gedeutet, als heute. Früher wurden z.B. Kinder nicht einschlafbegleitet und getröstet wurden sie auch nicht, wenn es für die Eltern keinen ersichtlichen Grund gab. Diese emotionale Carearbeit übernehmen wir heutigen Eltern aber. Gleichzeitig übernehmen wir auch die Aufgaben von früher, also solche, die klassischerweise irgendwie zum Elternsein gehören. Wir achten darauf, dass sie sich warm anziehen, wir gucken, dass sie was Ordentliches essen, wir sagen ihnen, dass sie nochmal auf Toilette gehen sollen, bevor wir losgehen usw. Oft entstehen an diesen Stellen aber genau Streitpunkte, weil unsere Kinder gar nicht so sehr gegängelt werden wollen. Sie wollen es selbst entscheiden. Wir könnten also an der Stelle gut die Verantwortung abgeben und die Kinder selbst entscheiden lassen. Alles, was mit ihrem Körper zu tun hat, fällt in ihren Verantwortungsbereich. Wann sie müde sind und schlafen gehen, wieviel sie essen wollen, was sie lernen wollen. Dadurch haben die Kinder Freiheit, es entsteht nicht so viel Streit mit den Eltern und die Großen haben weniger zu tun und können sich auch mal entspannen.

Einzelne Fallbeispiele werden in dem Buch behandelt, z.B. Zum Thema Essen mit Kindern. Ein wichtiges Thema für Eltern von 5-10 Jährigen, wo euch auch viele Leser darauf angeschrieben haben.

Ja, das ist wirklich ein Thema, das fast alle Familien begleitet. Letzten Sommer waren wir in einer Jugendherberge und da habe ich ganz bewusst mal die vielen Kinder beim Essen beobachtet. Die meisten Kinder aßen nur Kartoffeln, ohne Soße, ohne Gemüse und nur die wenigsten haben ohne Mäkeln alles gegessen. Ich finde, das fällt auch in den Eigenbereich des Kindes. Die Eltern sind dafür verantwortlich, was auf den Tisch kommt und was eingekauft wird und dass abends eine ruhigere Phase stattfindet, wo gegessen wird. Doch das Kind entscheidet, was und wieviel es isst. Und wenn es nur Kartoffeln sind, dann ist das eben so. Zur Beruhigung: Die meisten Mäkler essen ab dem achten Geburtstag besser.

Ein anderer Bereich ist das Thema Medien. Das Thema fängt eigentlich ja auch schon früher an. Könntest du zu dem Thema „Wie viel Handy ist okay?“ etwas sagen?

Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema. Es gibt natürlich ein Suchtpotential, also ein Übernutzungspotential eher. Aber von etwas begeistert zu sein und das viel machen zu wollen ist jetzt erst einmal nichts Negatives. Es ist halt wichtig, dass es noch einen Ausgleich dazu gibt, die Kinder also mit Freunden zusammen sind oder draußen spielen. Es wurde wissenschaftlich erwiesen, dass Sucht nicht so sehr etwas mit dem suchterregenden Produkt zu tun hat, sondern eher damit, in was für einem Umfeld man ist. Bruce K. Alexander hat in seinem Experiment „Rat Park“ gezeigt, dass Drogen, oder in unserem Fall Medien, keine Abhängigkeit verursachen. Das Problem sind nicht die Drogen, sondern das nicht in einer Beziehung zu sein. Was wir uns überlegen sollten als Eltern ist nicht, wie halte ich meine Kinder von Medien fern, sondern sind wir in Beziehung. Haben Kinder emotional alles, was sie brauchen?

Auf das in Beziehung sein, geht es immer wieder zurück – in jedem Alter oder einfach mit jeder Person. Das sind die spannenden Beispiele. Für viele Eltern stellt sich im Alter von 5-10 dann die Frage: Wenn nicht bestrafen, was dann?

Es ist ja nicht so, dass Eltern bestrafen, weil sie es toll finden, jemanden, der kleiner als sie ist, zu quälen. Sie strafen, weil sie dem Kind klarmachen wollen, dass das schlechtes Verhalten war und sie das Kind davon abhalten wollen, es nochmal zu tun. Dazu braucht man aber Strafen nicht unbedingt. Ich finde, wir sollten den Kindern eher nahebringen, was ihr Verhalten für den anderen ausgelöst hat. Also den Perspektivenwechsel und die Empathie verstärken. Wie fühlt sich der andere, wenn du ihm einfach etwas wegnimmst? Wie hab ich mich als Mama gefühlt, als du nicht am verbredeten Ort warst? Und dann kommt als zweiter Punkt eine Wiedergutmachung. Dein Freund ist traurig, weil du sein Spielzeug kaputt gemacht hast, was kannst du machen, damit es ihm wieder besser geht? Eine Entschuldigung, klar, aber was noch? Kannst du ihm eins von deinen Spielzeugen als Ersatz geben? Kannst du versuchen, sein Spielzeug wieder ganz zu kleben? Kannst du dein Taschengeld sparen, damit er sich das gleiche Spielzeug noch einmal kaufen kann? etc. Und diese Wiedergutmachung sollte nicht erzwungen sein, finde ich, weil es dann doch eine Strafe wäre. Die Kinder müssen selbst entdecken, was für eine Art Mensch sie sein wollen und dabei muss man ihnen auch Fehler zugestehen. Wenn das Kind seinem Freund also nicht sein Taschengeld als Wiedergutmachung geben will, nun, dann ist das in dem Moment so. man kann als Elternteil sagen, dass man das doof findet, aber die Entscheidung bleibt trotzdem beim Kind.

Ein ganz wichtiges Thema in der Zeit: krasse Worte. Wenn die Kinder Sachen sagen, die bei uns ganz anders ankommen als die Kinder sie gemeint haben.

Nach Schulz von Thum haben wir 4 Ohren. Ganz häufig hören wir Eltern Aussagen auf einem ganz speziellen Ohr. Wenn Kinder sagen „Ich hasse dich“ oder „Ich will ausziehen“, dann darf man das nicht auf dem Beziehungsohr hören, denn das übersetzt diese Aussage mit „Du bist der schlechteste Vater der Welt!“ und dann ist man gleich richtig gekränkt. Hört man diese Aussage aber auf dem Selbstoffenbarungsohr, dann übersetzt sich „Ich hasse dich“ eher in „Ich bin gerade so wütend mit dir, ich weiß gar nicht wohin mit mir. Ich möchte dich am liebsten verletzen, um meine Wut loszuwerden.“ Auf diesem Ohr hörend ist man gleich weniger gekränkt und kann empathisch auf das Kind und seine echte Nachricht eingehen.

Eltern machen auch krasse Aussagen wie „Zieh deine Jacke an, es ist kalt draußen!“, damit meinen wir auf dem Selbstoffenbarungsohr „Ich liebe dich so sehr, dass ich nicht will, dass du frierst oder krank wirst.“ Das Kind hört jedoch meist auf dem Beziehungsohr, was unsere Aussage übersetzt mit: „Ich vertrau dir nicht“. Deshalb explodieren sie auch bei vermeintlich „liebevollen“ Aussagen von uns. Sie hören es auf dem falschen Ohr. Es ist sehr wichtig auf diese verschiedenen Ohren zu hören. Man muss sich bewusst sein, dass ganz viel auf dem falschen Ohr ankommt. Wenn Kinder das 4-Ohren-Modell verstehen, kann man sehr einfach und genau kommunizieren und ganz viele Konflikte damit lösen. Ich habe es meinen Kinder mit etwa 5 Jahren beigebracht.

Zu den Schwiegereltern und den Tyrannenkindern: Manchmal scheint es als hätte die ältere Generation Schwierigkeiten mit ihren Selbstoffenbarungsmund zu sprechen oder das richtig mitzuteilen.

Der älteren Generation fällt es sehr schwer ihre Bedürfnisse zu offenbaren und sie sagen dann manchmal kränkende Dinge, die eigentlich etwas anderes heißen sollten. Im Buch ist z.B. eine Großmutter, die eigentlich ihren Enkelsohn auf den Arm nehmen wollte, aber der versteckte sich in der Trage bei seiner Mama und ging nicht auf ihre Versuche ein, mit ihm in Kontakt zu treten. Daraufhin sagte die Oma zu ihrer Tochter. „Er ist ja ein ganz schönes Muttersöhnchen.“ Gemein, oder? Aber was sie eigentlich meinte war: „Ich bin traurig, dass er gar nicht auf meinen Arm kommen wollte und mache mir Sorgen, keine so gute Beziehung zu ihm zu entwickeln, wie zu den anderen Enkeln.“. Da sie aber nicht wusste, dass das ihr Bedürfnis war, hat sie eine ungünstige Strategie entwickelt, um mit der Situation umzugehen. Denn nach dem Muttersöhnchen-Satz hätte keine Mutter der Welt ihr Baby aus der Trage geholt, um es dir Oma auf den Arm zu geben. Sie hat ja sowohl Enkelsohn, als auch seine Mutter beleidigt. Aber auch hier gelten die 5 Säulen einer guten Beziehung, im speziellen die letzte davon: Den Grund für Verhalten finden, und darüber reden. Die Mutter hat dann mit dem Selbstoffenbarungsohr zugehört und das echte Bedürfnis hinter dem schlimmen Satz gefunden und sich bemüht, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Sie hat sich dann öfter mit der Großmutter auf dem Spielplatz getroffen, so dass sie und der Enkelsohn dann doch noch eine gute Beziehung aufgebaut haben.

Was ist das Wichtigste ihr Eltern von Kindern im Alter 5-10 Jahren mitgeben wollt?

Das ist das Vertrauen. Mit dem Vertrauen kommt die Verantwortung. Wenn man von Anfang an den Kindern vertraut, bekommt man verantwortungsvolle Kinder, versprochen. Meine Kinder gehen z.B. auf eine freie Schule, wo sie selbst entscheiden, ob sie lernen wollen oder spielen. Ich habe dort mit vielen älteren Schülern der neunten und zehnten Klassen gesprochen und gefragt, was sie mit Fächern machen, die sie nicht lernen wollen. Sie brauchen sie ja im Prinzip nicht belegen, kein Lehrer zwingt sie dazu. Die Fünfzehn- und Sechszehnjährigen haben mir geantwortet, dass sie ja das Ziel haben, den MSA-Abschluss zu machen und dafür eben bestimmte Fächer brauchen würden. Und sie diese dann eben freiwillig belegen. Nicht, weil sie sie mögen, sondern weil sie das Ziel haben, den Abschluss zu machen. Sie handeln also verantwortungsvoll. Kinder sind nicht doof – sie wissen, was für ihre Zukunft wichtig ist und handeln danach, wenn man ihnen die Verantwortung überlässt. Leider wird den Kindern heute viel Verantwortung für sich selbst abgenommen. Die Erwachsenen entscheiden. Wir sollten ihnen mehr vertrauen. Sie machen das schon.

Im ersten Teil des Interviews geht es um die Frage danach, ob bindungsorientiert aufwachsende Kinder Tyrannenkinder werden –> mehr dazu hier.
Hier könnt Ihr die gesamte Lesung/Diskussion anhören.

Katja Seide ist Mutter von drei Kindern und arbeitet als Sonderpädagogin in Brandenburg. Ihre Mitautorin Danielle Graf ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet als Rechtsökonomin. Beide bloggen zusammen auf gewünschtestes-wunschkind.de Das Buch Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Gelassen durch die Jahre 5 bis 10ist seit 27. Februar im Handel erhältlich.

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