Ich probier das erst, wenn Du das isst! – Mäklige Kinder

Da sitzen wir am Tisch und das kleine Kind bekommt einen schön angerichteten Teller vor sich gestellt: ein wenig von diesem, ein wenig von jenem. Schön voneinander getrennt, damit es gut erkennbar ist und in eine Größe geschnitten, die gut mit den Händen aufgenommen werden kann. Appetitlich sieht es aus und einladend. Doch dann wandert der kindliche Blick vom eigenen Teller hinüber zum Erwachsenenmahl. Dieser Teller sieht doch anscheinend viel einladender aus! Kleine Hände strecken sich aus und auch die dritte Erklärung, das sei genau das gleiche Essen, bringt nichts: Das Kind möchte nur vom Erwachsenenteller essen. Warum versteht es nur nicht…?

Kinder denken anders

Verständlich sind unsere Ansichten tatsächlich noch nicht für unsere Kinder, denn sie denken noch anders und nehmen anders wahr als wir. Nur weil wir wissen, dass die Inhalte beider Teller aus den selben Kochtöpfen stammen, bedeutet das nicht, dass auch unser Kind das so sieht und versteht. Wie so oft müssen wir auch hier Abstand nehmen zu unseren eigenen erwachsenen Gedanken und uns fragen: Warum will mein Kind das Essen von meinem Teller essen? Nicht, weil es uns ärgern möchte, denn es kann sich noch nicht in unser Empfinden hinein versetzen. Auf der Suche nach der passenden Antwort auf diese Frage ist ein Leitgedanke wichtig: Kindliches Verhalten ist sinnvoll. Babys und Kleinkinder folgen meist ganz konkreten, sinnvollen Bedürfnissen. Sie wollen uns nicht verärgern, sondern ein Ziel verfolgen: eine gute Entwicklung.

Was auf unserem Teller liegt und was wir selbst verspeisen, ist in den Augen unseres kleinen Kindes gesund, bekömmlich und nahrhaft. Es sieht, dass wir – als Eltern mit viel Lebenserfahrung – diese Speise zu uns nehmen, weshalb sie sehr wahrscheinlich nicht giftig sein wird (denn Kinder haben eine angeborene Skepsis gegenüber neuen und bestimmten Nahrungsmitteln) und recht wahrscheinlich auch nahrhaft ist. Vielleicht nimmt es auch noch wahr, wie wir genussvoll und in Ruhe dieses Essen zu uns nehmen – eine Situation mit hohem Aufforderungscharakter. Es ist demnach sinnvoll, sich am Teller der Erwachsenen zu bedienen, denn hier findet das Kind gute Nahrung. Auch ein „mäkliges“ Verhalten ist sinnvoll, wenn es zu einem Zeitpunkt stattfindet, in dem sich das Kind noch bewusst vor fremden Nahrungsmitteln schützen will, um keine falschen oder ungesunden Dinge zu sich zu nehmen. Was uns zunächst verärgert, ist eigentlich ein Zeichen des Vertrauens und unseres Vorbildcharakters.

Vorbild sein und Anbieten

Wenn der Erwachsenenteller eine so große Anziehungskraft auf das Kind ausübt, ist die Auswahl dessen, was darauf liegt, besonders wichtig. Wenn wir Kinder haben, gerät auf einmal auch unser eigenes Essverhalten in den Blick: Was essen wir, wie viel und wann. Eine gesunde Auswahl an Speisen ist wichtig, um das Kind von Anfang an gut zu begleiten. Wenn das Kind selbst wählen kann, sollte es aus gesunden Lebensmitteln wählen.

Eine der häufigsten Anmerkungen darauf, dass Kinder ihre Nahrung selbst bestimmen dürfen, ist: Wenn ich mein Kind selbst aussuchen lasse, isst es nur Süßes/nur den Nachtisch/nur Nudeln. Auch diese Auswahl des Kindes ist aus Sicht des Kindes sinnvoll: Immer wieder im Laufe der Entwicklung kommt es vor, dass Kinder bestimmte Vorlieben haben. Oft dann, wenn sie gerade das Bedürfnis nach bestimmten Nahrungsbestandteilen haben, beispielsweise wenn sie in sehr bewegungsorientierten Phasen mehr Kohlehydrate benötigen und deswegen verstärkt Nudeln und Brot essen. Dies sind meist Phasen, die von allein enden und die mit gesunden Zusatzangeboten zum Bedürfnisnahrungsmittel begleitet werden können. Etwas anders verhält es sich aber bei Süßigkeiten, Chips und Co.: Die Bevorzugung von fetten oder süßen Speisen ist entwicklungsgeschichtlich sinnvoll, weil das Kind sich dadurch einen Vorrat aneignet, um für schlechte Zeiten vorzusorgen. Es weiß nicht, dass es hier aktuell wahrscheinlich keine schlechten Zeiten zu überstehen gilt und Vorratsessen heute nicht notwendig ist. Deswegen ist nicht das Kind schuld, wenn es „zu viel“ einer ungesunden Speise wählt, denn es verhält sich vollkommen normal. Wir als Eltern müssen im Blick haben, woraus die Auswahl besteht und das Angebot entsprechend ausrichten bzw. bestimmte Speisen nicht anbieten, wenn sie die Aufnahme der gesunden Lebensmittel behindern. Wichtig ist auch immer wieder zu beachten, dass Kinder noch anders schmecken als wir Erwachsenen, da sie noch vielfältiger den Geschmack wahrnehmen als wir. Besonders bitteres Essen wird in den ersten Jahren noch sehr viel abgelehnt.

Ein ausgewogenes Angebot ist Aufgabe der Eltern. Wir können von Kleinkindern kein in unserem erwachsenen Sinne durchdachtes und maßvolles Essverhalten erwarten. Kinder sind im Umgang mit Nahrungsmitteln sehr unterschiedlich je nach Temperament – und darauf müssen wir als Eltern individuell eingehen. Was sie aber von Anfang an können, wenn sie ein gesundes Angebot bekommen, ist die Regulation der Menge des Essens: Essen darf kein Zwang sein und wir können unseren Kindern dann, wenn wir ihnen ein gesundes Angebot anbieten, auf ihre körperliche Selbstregulation vertrauen. Wir müssen nicht zwingen, nicht nerven, nicht schimpfen. Kinder sind kompetent darin, die richtige Menge an Nahrung für sich auszuwählen.

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Manche Kinder wünschen nicht, vom Elternteller zu essen, sondern essen erst oder nur dann, wenn Mama oder Papa diese Speise auch probiert haben. Der Familientisch – das gleiche Angebot an Speisen für alle (ggf. in unterschiedlichem Zustand wie püriert für einige) – ist eine sinnvolle Alternative zum extra Kinderessen. Alle teilen sich das gleiche Essen und Eltern sind Vorbilder in der Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittelauswahl und können auch vom Kind zurück gewiesene Speisen vorbildhaft essen und vor allem immer wieder anbieten.

Der Weg zum Essen vom eigenen Teller

Der Weg zum Essen vom eigenen Teller führt über Vertrauen und natürliche Entwicklung: Zunächst ist es für das Kind hilfreich, vom Erwachsenenteller zu essen, wenn es gerade erst in der Welt der Nahrungsmittel ankommt und sie erst kennenlernen muss. Hilfreich ist auch die Beteiligung des Kindes: Nicht einen gefüllten Teller vor das Kind stellen, sondern einzelne Schüsseln, aus denen aufgetan werden kann. Nach Fähigkeiten des Kindes kann es so schon früh lernen, sich selbst zu bedienen aus einer gesunden Auswahl, begleitet von einem Erwachsenen zur Einschätzung der richtigen Menge. Es isst, was alle essen. Auch die Speisen, die aktuell nicht probiert werden wollen, können so entspannt immer wieder angeboten werden ohne Zwang aus einer kleinen Extraschüssel.

Eure

 

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