Erschöpfung und Ansprüche

An manchen Tagen lege ich mich abends auf das Sofa, mein Baby auf meinem Bauch liegend, und bin erschöpft. Einfach vom Tag, von den hundert Fragen „Mama…“ von den zig Portionen klein geschnittener Äpfel. Von der Acrylfarbe auf dem Eichentisch. Von 3 Waschladungen Wäsche am Tag, von denen eine doppelt gewaschen wurde, weil ein Stift in der Weißwäsche dabei war. Erschöpft davon, dass ich auch arbeite und auch arbeiten muss neben dem „Familie haben“. Erschöpft, weil manchmal eben doch die Unterstützung fehlt im Alltag oder von den Menschen, die es nicht gut mit einem meinen. Erschöpft vom Internet und den Menschen darin, die keine guten Worte übrig haben. Erschöpft von dem Willen, es anders zu machen. Vom Willen, Dinge in Worte zu fassen, die doch nur tonlos verklingen würden. Ich bin erschöpft von all den Gedanken, vom Sorgenmachen, vom Lieben.

An manchen Tagen ist die Kraft, die übrig bleibt am Ende des Tages, wirklich gering. Sie ist nur noch ein kleines Licht, keine leuchtende Flamme. Ich frage mich an diesen Tagen, was ich hätte anders machen können. In der Prioritätenliste gibt es die Dinge, die nicht änderbar sind: Da sind Kinder, die Bedürfnisse haben und zu vielen Teilen nicht verstehen, wie sie sie aufschieben sollten. Und auch wenn manches Mal das Bedürfnis da ist, zu sagen: Für Dich habe ich heute 5 Äpfel geschnitten, Deine Sachen gewaschen, zusammen gelegt und weggeräumt und Dir vorgelesen und mit Dir gespielt, ist es doch nicht wirklich der Grund für die Erschöpfung am Abend. Denn meine Kinder haben nicht darum gebeten, dass ich die Wohnung für sie ordentlich halte. Sie brauchen auch keine besonderen Mahlzeiten, wenn es an solchen Tagen Nudeln mit Tomatensoße aus dem Glas auch tun. Sie sind nicht da, um mir Dankbar zu sein für die Dinge, die ich vielleicht für sie tue – oder eigentlich für mich. Sie sind da, weil sie eben da sind. Ohne Anspruch. Der Anspruch kommt aus mir selber. Aus dem, was ich denke, tun zu müssen. Um eine gute Mutter zu sein, um gut im Arbeitsleben zu stehen, um anderen zu zeigen, wie gepflegt meine Wohnung ist. Der Anspruch sitzt in mir. Neben all den strukturellen Schwierigkeiten, die das Leben als Familie schwieriger machen, den gesetzlichen Regelungen und fehlenden, verankerten Unterstützungen sind es oft einfach meine Ansprüche, die mich erschöpfen.

An diesen Abenden, an denen ich also erschöpft auf dem Sofa liege, schaue ich in mich hinein und suche den Anspruch an mich. Ich erkläre ihm, dass er heute vielleicht ein wenig zu weit gegangen ist, zu nah an meine Grenzen. Ich lösche die Worte von anderen, die ich nicht hören möchte und die mir Kraft nehmen – und manchmal auch ganze Menschen aus meinem Leben. Ich konzentriere mich auf das, was wirklich wichtig ist. Ich gebe Verantwortung ab: An Menschen, die mir wirklich helfen können und auch einfach von mir selber. Die Dinge laufen auch dann, wenn ich nicht 100% gebe. Das Essen muss nicht perfekt sein, der Boden nicht blitzblank. Und die Strickjacke ist auch mit einem Knopf weniger noch tragbar momentan. Und bei der Arbeit verschiebe ich eine Abgabe, wenn es möglich ist. Ich schaue in mich hinein und frage mich, wie oft ich mir eigentlich selber im Weg stehe mit meinen Ansprüchen.

Ich winke meinen Ansprüchen noch nett zu bevor ich schlafen gehe. Ich erkläre ihnen, dass sie aus irgendwelchen Gründen am falschen Ort gelandet sind. Ich verabschiede mich von ihnen, denn morgen habe ich leider keinen Platz mehr für sie. Sie waren wohl nur auf der Durchreise, aus einer vergangenen Zeit kommend.

Habt Ihr Euch auch verabschiedet?
Eure

Susanne_clear Kopie

20 Kommentare

  1. Oh, der Zeitpunkt für diesen Text passt mal wieder hervorragend…!
    Nach Wäsche-waschen-Regal-Aufbau-überwachen-mit-Baby-Kleinkind-abholen-mit-beiden-einkaufen-spielen-vorlesen-Abendessen-beide-ins-Bett-bringen war ich gestern auch vollends erschöpft… an solchen Tagen, an denen mein Mann erst um 22 Uhr von der Arbeit kommt und man im Tag keine Ruhe findet.
    Verabschiedet habe ich mich dann gestern Abend von dem Anspruch, das neue Regal noch auswischen und einräumen zu wollen und auch die Küche habe ich gerade so gelassen wie sie war. Ging auch so!
    Danke für den Text, der mir gerade heute in vielen Punkten aus der Seele spricht!

  2. Hallo… Ich kenne das sehr gut,auch wenn ich nur ein Baby zu versorgen habe. Aber meine Erschöpfung liegt nicht nur in meinen Ansprüchen begründet. Diese habe ich tatsächlich schon deutlich runter gefahren. Meine Erschöpfung rührt durch den Umfang der Versorgung her. Unser Sohn wurde mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren, was viel von mir abverlangt… Dennoch, weiterhin viel Kraft für dich…Liebe Grüße

  3. Danke Susanne für diesen Text. Ich kenne diese Gefühl zu gut. Ich kenne aber auch die andere Seite, wenn mich der Körper zwingt, die Ansprüche wirklich zurückzuschrauben und nichts mehr geht. Dann wird die Sache grenzwertig, denn in den guten Tagen melden sie sich dafür umsomehr. Und die wichtigsten Ansprüche sind gar keine, sondern ausschließlich Bedürfnisse. Die der Kinder und die eigenen. Danke für deinen Anstoß, vielleicht werde ich auch dazu schreiben, denn du hast genau mein Inneres damit getroffen.

    Liebe Grüße

  4. Ich verabschiede mich zz von der Vorstellung,jetzt mit Kind noch genauso spontan und flexibel und aufwändig arbeiten zu können-oder zu müssen(?!)wie ohne. Auf dreckige Böden und Löcher in den Socken!

  5. Oh man…weißt du eigentlich wie verquer „schön“ es ist zu hören daß es dir nicht anders geht?
    Du wirkst durch die Mattscheibe des Internets oft so sicher, stark und vor allem bewusst in dem was du tust. Solch ein Text wie heute macht dich wieder noch ein Stück authentischer und ja, auch sympathischer.
    Das ist wohl der Kniff, nicht wahr? Sich (täglich) den eigenen Anspruch bewusst zu machen und gucken wo und wie man ihn herunterschrauben kann. Ich scheitere darin leider gerade grandios. Dann nervt mich der dreckige Bodeneinfach doch zu sehr und der Haufen Büroarbeit auf dem Schreibtisch…. Gerade wenn ich (so wie du gerade) selber krank bin… Ich werde mir jetzt Hilfe organisieren – zu unser aller Gemütslage zuliebe 😉
    Ganz liebe Grüße
    Bianka

  6. sternenglück

    Liebe Susanne,
    du hast so recht! Oft sind es die eigenen Ansprüche und Erwartungen, die Stress verursachen. Leicht abzulegen sind sie auch nicht, ich schaue auch immer wieder genau hin.
    Lg und viel Geduld mit dir selbst – du machst das so gut!
    Sternie

  7. Liebe Susanne,

    ich lese deinen Blog sehr gerne. Er erhöht allerdings meinen Anspruch an mich selbst. Denn es wirkt hier im Blog und in deiner Familie vieles „perfekt“. Darum ist es sehr gut, dass du mir und uns Lesern mal zeigst, dass nicht alles perfekt bei dir und euch ist.

    Richtig toll finde ich, dass du auch gleich noch einen Weg aufzeigst, wie ich mit meinem Nicht-perfekt-sein umgehen kann. Ich werde mich jetzt auch ab und zu aufs Sofa legen und meine Ansprüche hinterfragen und mich tagtäglich aufs neue verabschieden. Einmal verabschieden wird bei mir nicht reichen. Denn hier läuft vieles nicht perfekt. Und die Muster sind eben eingefahren. Aber das war heute sehr hilfreich für mich! Bitte mehr davon!

    Danke sagt Daniela

  8. Ich hab mich von der Idee verabschiedet, mit 3 Kindern zusätzlich zum Familienmanagement 😉 noch außerhäusig zu arbeiten, auch wenn das auch hier auf dem Land mittlerweile seltsam beäugt wird…schade. Wenn die Kinder etwas größer sind, habe ich aber wieder Lust drauf…mal schauen was genau. Und verabschiedet habe ich mich von der Idee alles allein bewältigen zu können, obwohl ich ja Zuhause da bin für Kinder Haus und Hof…dennoch brauche ich Hilfe und Unterstützung(durch meinen Mann, Hauselfe und Freunde, Nachbarn, Familie…) und kann das mittlerweile auch klar aussprechen…Und trotz allem kenne ich die Erschöpfung…meine Ansprüche und innere Antreiber sind leider auch nicht gerade gering (durch meine eigene Erziehung), aber ein bestimmter Anspruch ist mir unabrückbar wichtig: mich im gleichwürdigen Umgang mit den Kindern zu verbessern, immer wieder aufs Neue…gar nicht so einfach bei all den anerlernten Mustern…

  9. An den eigenen Ansprüchen zu arbeiten scheint für die meisten Eltern eine der größten Aufgaben im Alltag zu sein – für mich auch. Vielleicht heißt es deshalb „Erziehung ist Selbsterziehung“?

  10. Liebe Susanne,
    Ich habe nicht das Gefühl, dass bei dir immer alles perfekt ist und fühle mich nie von deinen Texten unter Druck gesetzt. Ich freue mich, dass du so oft die Kraft, anderen Mut zu machen und so viele Tipps teilst. Aus meiner Sicht tust du das auch nie wertend. Deshalb lese ich hier so gern.
    Meine Babytochter (acht Monate) raubt mir seit Wochen jede Nacht und viele Nerven. Auch ich bin erschöpft davon und auch ein bisschen vom Lieben. Ich will natürlich wie alle Mamas alles richtig machen, ihr Geborgenheit und Freude schenken und trotzdem weint sie…Ich versuche aus deinen Worten Kraft zu tanken. Lass dich nicht unterkriegen!
    Liebe Grüße, Susanne

  11. Stefanie Reichelt

    Oh wie ich das kenne nach so einem Tag mit 3 Kindern. Hausaufgaben Drama Essen Termine waschen spielen aufräumen (meist hört es da auf) und dann Baby ins bett danach lesen mit der mittleren, manchmal spielt mein Freund mit der großen sonst lese ich auch noch mit der großen. Dann Fall ich ins Bett versuche zu lesen was meist nicht mehr klappt. Dann schlafe ich bis mich das Baby weckt. Hilfe von der Familie gibt es nicht. Ich muss mir unbedingt einen Babysitter besorgen. Leiderkoszez das wieder geld was nicht da ist(noch ist das Baby auch zu klein) liebe grüße an alle.

  12. ich bin auch erleichtert, dass auf dem blog ehrlich vom perfektionismus abgewichen wird und du, liebe susanne, deine erschöpfung zugibst. das macht dich authentischer, greifbarer und rückt dich sympathisch näher an die „normalen“ mütter ohne superkräfte heran. danke.

    der gestrige artikel, wie man kindern jeder altersklasse bei krankheit optimal gerecht wird, mit lauschiger drachenhöhle, fein drappierten hausmitteln und kartoffelsüppchen auf hübschem tablett hat mich als mutter einer ebenfalls kranken familie nämlich enorm frustriert.

    es sieht bei uns unmöglich aus, keiner dekoriert süppchen, und – ich gehe sogar noch weiter – ich werde den bedürfnissen meiner kinder weitestgehend aber nicht vollständig gerecht.

    und das ist in ausnahmefällen normal.

    gut zu wissen also, dass auch in den perfektesten familien, in denen mama schier unendliche kraft und liebe hat, mal müdigkeit und überforderung herrscht.

    ich wünsche dir alles gute, viel kraft und erholung.

    helene

  13. Ich muss mich nochmal zu Wort melden. Ich finde es nicht wirklich schön, dass einige regelrecht aufatmen, weil du uns so ehrlich an einem gar nicht schönen Moment teilhaben lässt. Es scheint genau das zu sein, was du ansprichst. Der Perfektionismus anderer wird an deinen Texten gemessen. Bitte schreibe weiterhin von Drachenhöhlen und richte weiterhin das Essen schön an. Und wenn dir mal nicht danach ist, dann nicht. Mir jedenfalls bist du eine Inspiration. Nicht mehr, aber auch kein bisschen weniger 😉
    Liebe Grüße
    Susanne

    • Hm, da möchte ich jetzt aber auch nochmal was dazu sagen.

      Die Intention dieses Blogs ist es ja schon (wenn ich das richtig verstanden habe), Mütter und Väter zu
      inspirieren mit kindgerechter Erziehung – der Blog und die Familie ein wenig als Vorbild oder gutes Beispiel
      sozusagen. Ich glaube dabei ist es ganz normal, dass man sich im Netz möglichst positiv darstellt. Und ich vermute oft wirkt das erzählte positiver als es in Wirklichkeit ist (keiner sieht rechts und links vom Bild das evtl. herrschende Chaos :-). Auch wir Leser wissen das, denn wir sind nicht anders.

      Um es ganz klar zu sagen: Ich finde Drachenhöhlen toll! Und ebenfalls inspirierend! Bin ich noch nie drauf gekommen, werde ich ausprobieren! Aber als Vorbildfunktion, die dieser Blog hat, finde ich es mindestens genauso wichtig, dass auch das Unperfekte gezeigt wird. Natürlich ist es der jeweils eigene Perfektionismus, der immer bei Susannes Texten mitliest und der Anspruch an uns selbst, der mitbewertet. Aber wie schön ist es, wenn die „Entlastung“ nicht nur von einem selber kommt, sondern auch von der Autorin des Blogs mit einem Artikel der die Aussage hat: „Keiner kann immer perfekt sein.“

      Die Mischung aus beidem macht den Blog erst rund finde ich. Sonst wäre es ein bisschen wie in diesen Hochglanz-Möbel-Magazinen: Ohne echtes Leben drin.

      Daniela

      • Das ist genau das, was ich meine. Du bringst das wohl besser auf den Punkt 🙂 Ich will auch nicht nur das Schöne bzw. hier oft betitelte „Perfekte“ lesen. Susanne soll ehrlich und authentisch bleiben. Ich habe mich eher über die Reaktionen einiger Leser gewundert.
        Susanne

  14. Maike Coelle

    Danke für den schönen Beitrag, liebe Susanne! Ja, so empfinde ich es auch oft — es sind die eigenen Ansprüche, durch die unser Tag so anstrengend wird. Die Kinder brauchen es oft viel weniger perfekt, wunderschön, ästhetisch anspruchsvoll. Sie wollen einfach nur Zeit. Eine Falle sind natürlich auch die Soziale Medien/Internet. Da verbringt man gern mal viel mehr Zeit als man denkt. Es summiert sich gern zu einer Stunde, was man so zwischendurch liest / kommentiert usw. Diese Zeit fehlt dann einfach am Abend oder zwischendurch.
    Ich hoffe, es folgen ein paar weniger anstrengende Tage, so dass Du Atem schöpfen kannst.

  15. Der letzte Satz hat mir den Stich versetzt, den ich gebraucht habe.
    Danke!
    Loslassen ist so wichtig.

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