Das große Missverständnis darüber, was Kinder eigentlich kosten – und wie diese Haltung die Gesellschaft provoziert

Louise ist ausgebildete Musikerin. Nach der Geburt ihrer Tochter Manou hat sich ihr Leben verändert und sie hat die Freiheit und das Reisen für sich und ihre Familie entdeckt. Damit einher geht auch eine andere Sicht auf das Leben und das, was man wirklich braucht. Auf ihrem Blog zwerggeflüster berichtet sie von ihrem Leben und hat hier einige Gedanken darüber formuliert, was Kinder eigentlich kosten:

Ich sitze bei meiner Mutter in Leipzig und betrachte den riesigen Berg an Sachen: Kleidungsstücken, Büchern, Papier, Bastel- und Schreibzeug, Kuscheltiere aus vergangenen Zeiten, Setzspiele, Karten, Windmühlen, Kästchen und Co. Meine Mutter – Manous Oma -, aber auch meine Oma (Manous Uroma), können gar nicht mehr aufhören, das Kind wieder und wieder zu beschenken und ihm täglich neue Freuden zu machen. So viel, wie da jetzt vor mir liegt, hatten wir im ganzen letzten Jahr nicht im Gepäck. Und wieder wird es so sein, dass wir die Hälfte verschenken oder gleich hier lassen, fürs nächste Mal, denn wo sollen all die Dinge überhaupt hin, schon jetzt steht mindestens die Hälfte der guten Ware verstummt in der Ecke.

Wohlwollen, Unbehagen und Gemecker

Bei den ersten Familienbesuchen, in den Anfangsjahren, als das Kind noch kleiner war, haben wir noch versucht, die Geschenkewut (bzw. -freude) der anderen ein wenig in Grenzen zu halten. „Ach was, brauchen wir nicht…“, „Nein, nein, danke, davon haben wir schon genug…“ oder „Am liebsten wäre es uns, wenn ihr das Geld anlegt, dann hat Manou später mehr davon, wenn sie sich z.B. mal ein teures Hobby aussucht, was wir dann gern bezahlen würden!“. Aber es gibt immer wieder Geschenke, bunte, teure, besondere, praktische, neuartige, fürs Alter passende. Danke, vielen Dank. Wirklich DANKE, dass ihr es so gut meint mit uns, uns gern diese Freuden bereitet, mitdenkt, an uns denkt, etwas gutes für uns – für Manou – tun wollt, wir wissen es zu schätzen.

Über sinnvolle Geschenkideen im Sinne von „Zeit statt Zeug“, habe ich mir mal einiges überlegt. Aber mittlerweile lasse ich es lieber, meinen Senf dazuzugeben, denn ich möchte niemanden kritisieren für sein schenken, noch weniger jemandem das Gefühl geben, wir seien extravagant, wählerisch, undankbar oder „extrem alternativ“. Denn so ist es leider schon manches Mal geendet. Diese Haltung verstehen manche Menschen nämlich – oh ja! – als Provokation.

Kinder, die nichts kosten, sind eine Provokation für die Gesellschaft!

Dieser Satz ist mir gerade gekommen und ich bin sicher, dass viele von euch – uns – „Stilltragewickelfreigeborgenwachsenökoalternativ“-Mamas das irgendwie kennen. Das ist jetzt natürlich extrem formuliert, aber ist es nicht so? Wir lieben unsere Kinder! Wir haben sie geborgen, aus unserem Bauch, aus unserer Seele sind sie herausgekommen und deshalb schenken wir ihnen nun alles, was wir bis auf den Tod zu geben haben, unser ganzes Herz, unsere ganze Liebe, all unsere Fürsorge, Schutz und Geborgenheit. Aber nicht, indem wir sie verhätscheln, von oben bis unten abknutschen, einlullen, verwöhnen, bemuttern (na, ihr wisst schon, was ich meine). Wir wissen INTUITIV, was unsere Kinder brauchen. Was für ihre Entwicklung gut ist. Förderlich, das beste ist: Liebe. Wärme, Geborgenheit, ein Nest, ein Ort der Ruhe und zum zurückziehen, offene Ohren, Feingefühl, Einfühlungsvermögen, Mitgefühl, Schutz, liebevolle Worte, Anerkennung, Wertschätzung, Respekt, Leben. Und daher können wir uns noch so sehr in den Kaufrausch stürzen – er wird all diese Dinge niemals ersetzen. Wir kaufen nichts! Wir wollen nichts. Nichts davon. Ich will – ICH MÖCHTE – dass sich unser Kind

  • frei entfalten kann (also so, wie es das von selbst, ohne erzieherische Zutaten, gern und natürlicherweise tun würde)
  • geliebt wird (und Liebe bedeutet Respekt, Wertschätzung und Freilassen (was ehrliche und direkte Worte ja nicht ausschließt, wenn es z.B. darum geht, ihm mal die eigene Meinung zu sagen))
  • in Ruhe seinem Spiel und seinem Wesen nähern kann (ohne Zutaten, Unterbrechungen, „Vorschläge“ und Erziehungsmittel von außen, denn diese sind dafür nachweislich eher schädlich)
  • respektiert, anerkannt, ernstgenommen und wertgeschätzt fühlt (indem ich ihm gegenüber z.B. nichts sage, was ich mir bei einem Erwachsenen auch nicht erlauben würde)
  • austoben und lebendig, natürlich, sein darf (auch, wenn das bedeutet, mal wütend, schmutzig, gierig, unhöflich oder zappelig zu sein (vorausgesetzt, all das ist nicht „hausgemacht“, durch übermäßigen Zuckerkonsum, Reizüberflutung, künstliche Störfaktoren usw.))

Kinder, die so aufwachsen, wirken auf die Außenwelt in zweierlei Weise: entweder völlig unerzogen (u.U. in den ersten Jahren) oder aber ungewohnt/ besonders, intelligent, selbständig und ausgeglichen (in den späteren Jahren). Woher ich das weiß? Ich sehe es an meinem eigenen Kind und habe mittlerweile viele Eltern kennengelernt, die größere Kinder haben und das alles genauso machen. Und eins kann ich sagen – das erfordert unglaublich viel mehr Arbeit, Anstrengung, Kompromissbereitschaft und lernen, als eine gewöhnliche „Erziehung“, so, wie es unsere Umwelt, die Gesellschaft, Verwandte, Bekannte, Erzieher, Lehrer, Politiker usw. gern von uns hätten. Es ist nämlich leicht, es ist einfach BEQUEM, seine Kinder zu bestimmen, zu steuern, zu beherrschen, zu übertönen, zuzumüllen mit jeglichem Unsinn, der die wahren Bedürfnisse von diesen jungen Wesen doch überhaupt nicht sieht, geschweige denn ernst nimmt.

Und weil das nun doch sehr stark nachhallt: liebe Mütter, ich habe größten Respekt vor euch allen! Ich bewundere jede von euch, wie sie es macht, egal, wie sie es macht. Denn ich weiß, jede von uns gibt immer ihr bestes, immer. 

Der Preis der Erde und der Zukunft

Denn diese Gesellschaft ist einfach nicht für Kinder und Familien gemacht. Es kostet viel Mühe, seinem Kind in einer von autos-, geschäften-, medien- und geldplärrenden Welt das natürliche Bewusstsein und Empfinden für die wesentlichen, lebendigen und wahren Dinge der Erde, des Kosmos und der Welt zu lassen, ihm das zu erhalten. Man muss es dem Kind ja gar nicht vermitteln, es hat es von Geburt an selbst! Doch die Erwachsenen haben es zerstört, selbst verloren und deshalb kommt es nun, in der Kindheit, darauf an, die natürlichen Bedingungen, die natürliche Umgebung dafür, wieder herzustellen. Und alles, was dem wiederspricht, also unnatürlich, künstlich, ist, bewirkt das Gegenteil.

Kinder kosten nichts. Nichts von alldem. Und doch sehr viel. Die Mühe, umzudenken, die Bereitschaft, sich an ihnen zu entwickeln und die Kraft, von ihnen zu lernen. Und noch sind wir nicht an dem Punkt, wo das alle verstanden haben, doch wir befinden uns in einer großen Umwälzung, die bereits begonnen hat und deren Auswirkungen wir erst viel später, nämlich in der Beziehung zu unseren Kindern und der Natur, sehen werden. Ob das alles mal Egoisten werden? Ja! Und zwar, wenn es darum geht, für ein gesünderes Menschenbild, Gerechtigkeit und eine bessere Welt einzustehen. Und wenn sie durch ihren gesunden Egoismus unseren ungesunden ausrotten, kann uns das doch nur recht sein, immerhin haben wir dann weniger Arbeit. Endlich.

12 Kommentare

  1. Hallo Louise,

    das klingt immer alles so toll und nach einer schönen
    Kindheit. Doch wie du schon sagst, die Menschen haben die Welt kaputt gemacht.
    Sie haben sie verändert. So das es in meinen Augen ein Kind, das nicht erzogen
    ist, einmal schwer haben wird. In unserer Gesellschaft muss man sich auch
    unterordnen können und nicht nur an die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse
    denken. Wie würdest du reagieren, wenn sich zum Beispiel dein Zahnarzt lieber
    erst einmal auf die Fensterbank schwingt und einen Kaffee trinkt, anstatt dich
    zu behandeln? Ist dieser störrische Zahnarzt nicht das Kind, was du gerade
    erziehst? Warum sollen Kinder keine Grenzen aufgezeigt bekommen? Sie werden es
    so viel einfacher in der Zukunft haben? Auch wenn deine Idee so schön nach
    Bullerbü-Leben klingt, finde ich, dass sie nicht in einer Gemeinschaft mit so
    vielen Menschen umsetzbar ist. Wir brauchen Regeln, unsere Kinder brauchen
    Regeln. Und wenn wir so naturnah sein wollen, dann beobachten wir doch die
    Tiere, die auch nach Regeln leben und ihren Nachwuchs aufziehen. Vielleicht
    kann ich mich aber auch nur schwer von den jahrhundertealten Traditionen
    trennen. Vielleicht kannst du mir einen kleinen Einblick in deinen Alltag
    gewähren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Zähneputzen, die Mahlzeiten oder
    das Zubettgehen funktionieren sollen. Musst Du morgens immer zwei Stunden eher
    aufstehen, damit dein Kind noch zu Ende spielen kann und du es nicht drängeln
    musst um pünktlich auf Arbeit zu erscheinen?

    PS: Mein Text soll keinesfalls anklagend sein, nur fragend!

    Mein Lebensmotto ist übrigens: Leben und leben lassen.

    Liebe Grüße

    Maggie

    • disqus_BxUO0VdaQM

      Hallo,

      beim „unerzogen“ Konzept geht es nicht darum, die Kinder einfach wüten zu lassen und überhaupt keine Grenzen zu setzen. Ganz im Gegenteil, ich sehe bei meinem Kleinkind ganz deutlich, wie sehr es Grenzen braucht um sich in dieser – für ihn oft verwirrenden – Welt zurechtzufinden. Aber die Art und Weise wie man damit umgeht, ist wichtig. Wichtig ist, ob ich meinem Kind einfach auf diktiere, was ich moechte oder mit ihm gemeinsam einen Kompromiss finde. Es geht nicht darum, als Eltern jeden Abend widerwillig und vollkommen verärgert alleine das Chaos des Tages aufzuräumen, sondern eventuell mit dem Kind zusammen Orte für bestimmte Sachen zu schaffen um sie dann dort am abend wieder hinzulegen (nur so als Beispiel).

      Siehst du, fuer mich hat sich diese Art der Erziehung so ergeben weil wir einfach viel besser zusammenleben, wenn wir alle zufrieden mit der Lösung sind. Mein Sohn „kooperiert“ so viel besser, wenn er mit einbezogen wird anstatt einfach über seinen Kopf hinweg zu bestimmen. Er war aber auch schon immer ein sehr willensstarkes, unabhängiges Kind.

      Ich sage nicht, dass das der richtige Weg für jeden ist, jeder muss da seinen eigenen Weg gehen. Ich wollte dir nur gerne diesen Kommentar mitgeben.

      P.S. Da wir eh einen Frühaufsteher haben, stellt sich bei uns das Problem mit dem morgens rechtzeitig fertig werden erst gar nicht 😉

  2. Hallo, ich teile den Grundgedanken des Textes! Und daher habe ich die liebe Verwandtschaft gebeten unseren Kindern bitte vor allem Zeit, Liebe und Verständnis zu schenken! Eine Beziehung mit unseren Kindern einzugehen, sie zu begleiten! Wer das nicht möchte, der braucht ihnen auch keine materiellen Dinge zu schenken. So haben unsere Kinder liebende Großeltern, die sie mit in den Urlaub nehmen und dort mit Ihnen Abenteuer erleben, die sie ein paar Tage mit zu sich nehmen und mit Ihnen basteln, kochen und toben! Tanten, die mit ihnen Apfelmus kochen oder bei der Familienfeier basteln. So machen wir das auch mit unseren Nichten und Neffen (okay mit der 16 jährigen gehe ich schon in Konzerte). Denn ich denke Zeit und ehrliches Interesse ist das Schönste, was man einem Menschen schenken kann! Wenn dann jemand unbedingt noch Anziehsachen kaufen möchte, dann gerne! Aber bitte die, die den Kindern auch gefallen! Und in denen die Kinder Kinder sein können (ja, auch in weißen Leggings darf gematscht werden!). So haben wir innerhalb der Verwandtschaft ein schönes Maß miteinander gefunden! Und unsere beiden Kinder wachsen in einem sozialen Netz auf, in dem sie sich geliebt fühlen. Sie haben so regelmäßig Ferien vom Kindergarten und ab nächstes Jahr der Große hoffentlich schöne Schulferien! Und die lieben Verwandten schenken uns Eltetn damit auch Zeit- Zeit die wir mal intensiv nur mit einem Kind verbringen, oder auch Zeit in der wir unsere

  3. Leider konnte ich nicht mehr schreiben: Also Zeit, in der wir intensiv unsere Paarbeziehung pflegen… Oder einfach „Erwachsenendinge“ wie z. B. Kinoabende machen. Das ist ja auch wichtig für eine starke Familie! Denn so können wir unsere Zeit mit den Kindern auch meist genießen. Sie z. B. ewig beim Eindchlafen begleiten, ausgedehnt mit Ihnen spielen usw…. Naja und ich denke auch immer, dass es Kindern auch gut tut, wenn sie viele Vorbilder haben, wenn sie den Alltag auch verschieden erleben. Jeder hat da ja so seine eigenen Regeln…

  4. Vielen Dank für diesen schönen Text. Ich freue mich immer sehr über die Stunden, die die Großeltern und Tante mit meiner Tochter verbringen. Und meine Tochter freut sich, die eher weit weg wohnenden Verwandten zu sehen. Ob diese nun ein Geschenk dabei hätte oder nicht, ist ihr völlig egal. Natürlich hat sie Spaß am Auspacken, genauso würde sie sich aber auch über anders verbrachte Zeit mit z.B. der Oma freuen.
    Und wie schon geschrieben, die anderen freuen sich ja auch so sehr, wenn sie etwas kaufen, einpacken und verschenken dürfen. Daher gibt es bei uns auch ein Mittelding im Zeug-vermeiden: Wir geben Wünsche mit den Dingen weiter, die wir eh kaufen oder machen würden. Das sind mal Kleidungsstücke und mal eben ein lecker gekochtes Mittagessen. Über letzteres freue ich mich am meisten 🙂

  5. Danke für den Artikel, aber irgendwie finde ich diesen Absatz schwierig:

    Doch die Erwachsenen haben es zerstört, selbst verloren
    und deshalb kommt es nun, in der Kindheit, darauf an, die natürlichen
    Bedingungen, die natürliche Umgebung dafür, wieder herzustellen. Und
    alles, was dem wiederspricht, also unnatürlich, künstlich, ist, bewirkt das Gegenteil.

    Der Mensch ist seit 10.000+x Jahren ein kulturelles Wesen und es gibt keine „natürliche Art“ der Erziehung. Jede Epoche hatte eigene Ansätze und ich würde behaupten das wir heute an einem Punkt sind an dem wir weit besser als noch vor 100 oder 1000 Jahren wissen, wie wir Kinder gut auf ihrem Weg „erwachsen“ zu werden begleiten. Deine Vorstellung von „Natürlichkeit“ klingen ein wenig nach Peter Pan, der unendlichen Geschichte oder Ronja Räubertochter. Alles sind tolle Fantasien, aber taugen sie als Erziehungskonzept? Was meinst Du mit natürlich?

    • Mareike sehe es auch so. Klar handeln wir intuitiv aber mir dem „Peterpan“ Modell identifiziere ich mich auch nicht. Und diese „natürlichen Kinder “ sitzen im Sandkasten und essen mit 1,5 Eicheln “ mein Kind darf sich ausprobieren ? Fantasie ist wichtig aber nicht so ???

  6. Maike Coelle

    Vielen Dank für diesen tollen Gastartikel, der mir aus dem Herzen spricht!
    Ja, es kostet Kraft und Mühe, beinahe rebellischen Geist und auch ab und an die Fähigkeit sich zu ducken, gegen die Macht der gesellschaftlichen Konventionen (Konsum, Medienrausch, Kaufen, Lärm, Fördern, Erziehen, Beherrschen usw.) anzuleben. Besonders schwer ist es, wenn die eigene Verwandtschaft anders denkt und lebt. Deswegen nochmals DANKE für das kleine Gefühl des „Ich bin nicht allein“. Wundervoll, das einmal zu spüren!

  7. Ich teile die Gedanken des Textes und eines wird mir gerade beim Lesen deutlich: Viel Geld kosten vor allem wir Erwachsenen. Weil wir so viele Dinge gerne hätten oder tun würden, die eben Geld kosten.
    Unsere Kinder brauchen vor allem Wärme und Zeit – und das kostet im Allgemeinen nicht viel. Und all die 100.000 Geschenke, die so viele Erwachsene meinen ihren Kindern machen zu müssen, die brauchen Kinder eigentlich überhaupt nicht.

  8. Ich hoffe sehr das wir uns in einer großen Umwälzung befinden! Danke für den tollen Artikel!

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