Eingewöhnung – was bedeutet das wirklich?

Ich werde immer wieder nach dem Thema „Eingewöhnung“ gefragt. Wie das abläuft, was man beachten muss und wieviel Zeit man dafür planen muss. Ich selber kann nur immer wieder sagen: Es gibt ein Konzept, nach dem mittlerweile die meisten Kitas arbeiten, aber dennoch sollte jede Eingewöhnung individuell betrachtet werden. Denn es sind jedes Mal viele Variablen dabei, die unterschiedlich sind: Wir Eltern, die Kinder mit ihrem jeweiligen Temperament und Bedürfnis, die Größe der Gruppe, die Erzieher*innen,… Heute möchte ich Euch dazu einladen, die Eingewöhnung fern ab von allen Konzepten und Ablaufplänen einfach durch die Augen der Menschen zu sehen:

Aus Sicht des Kindes

Nun also steht eine neue Lebensphase für das Kind an: Hat es vorher die Tage zusammen mit Mutter und/oder Vater verbracht, wird es nun jeden Tag mit anderen Erwachsenen zusammen sein und einigen anderen Kindern. Vielleicht kennt es bereits einige davon, vielleicht aber auch nicht. Es muss sich gewöhnen daran, wie es ist, wenn viele andere Kinder um es herum sind. Wahrscheinlich kannte es ähnliche Situationen schon von Zeiten auf dem Spielplatz oder in Eltern-Kind-Kursen. Dann aber zeitlich viel begrenzter. Es erfährt, wie es ist, viele Stunden mit anderen Kindern zusammen zu sein, ihre Bedürfnisse mit berücksichtigen zu müssen. Es erfährt einen ganz anderen Geräuschpegel als den, den es bisher von zu Hause kannte. Es riecht neue Dinge, es schmeckt Neues aus einer anderen Küche. Es erfährt, dass es an anderen Orten andere Regeln gibt. Seine kleinen Hände ertasten neues Spielmaterial, kleine Füße erklimmen neue Hindernisse. Es erfährt einen anderen Humor, lacht über neue Dinge. Es schläft in einer anderen Umgebung ein, ohne die Hand von Mama oder Papa. Es erfährt, dass auch diese neuen Menschen dafür da sind, seine Bedürfnisse zu sehen und zu berücksichtigen. Und es erfährt, von anderen in den Arm genommen zu werden. Wenn es Vertrauen gefasst hat, lässt es sich von anderen trösten. Es ist müde am Ende eines solchen Tages, nach all den Eindrücken, nach den vielen neuen Dingen. Es sucht Ruhe und Schutz und Nähe, um loszulassen und sich wieder zu sammeln. Ein wenig wie damals, als es noch neu war auf der Welt.

Aus Sicht der Eltern

Loslassen. Vielleicht zum ersten Mal so richtig. Auch für Eltern steht eine neue Lebensphase an: Anerkennen, dass das Kind auch in anderen Armen Trost finden kann, dass andere Menschen es gut versorgen können. Vertrauen ausbilden in Menschen, die einem doch fremd sind und dennoch nun eine so wichtige Rolle im Familienleben finden. Das Kind wird nun neue Erfahrungen machen, Dinge erleben, bei denen man nicht dabei ist. Was macht man doch gleich in der Zeit, wenn das Kind nicht bei einem ist? Freude spüren über Freiheit und dennoch auch das nagende Gefühl von Sehnsucht nach diesem kleinen Menschen, den man doch immer um sich hatte. Angst davor, dass es ihm vielleicht nicht gut gehen könnte oder es Konflikte haben könnte mit anderen Kindern. Angespannt sein nach den ersten Arbeitstagen nach der Elternzeit und auch erschöpft von der Umstellung. Und dennoch auch das Kind auffangen wollen und müssen, das ebenso an der Situation arbeitet.

Aus Sich der Erzieher_innen

Ein weiteres neues Kind kennen lernen und auch die zugehörigen Eltern. Was mag es? Worüber lacht es, was ist das Lieblingsspielzeug? All die Dinge, die Eltern schon kennen wollen in kurzer Zeit gelernt werden. Wie geht dieser kleine neue Mensch mit Konflikten um, wo braucht er Hilfe oder wie kann man ihn in seiner Eigenständigkeit unterstützen? Das andere Kind in seinem Alter kann vielleicht schon die Schuhe selbst anziehen. Neben den anderen, schon bekannten Gesichtern besonders auf dieses neue achten. Verziehen sich gerade die Mundwinkel, braucht es jetzt emotionale Nähe? Wie hieß doch gleich das Lieblingskuscheltier? Und nebenher müssen auch die Eltern dort abgeholt werden, wo sie stehen: Sind sie schon bereit für die Trennung oder können sie noch nicht loslassen? Wieviel Unterstützung und Informationen brauchen sie für diesen Prozess?

Eingewöhnung ist anstrengend. Für alle, die daran beteiligt sind. Es ist ein Prozess, an dem Menschen beteiligt sind und jeder bringt seine Geschichte, sein Temperament, seine Bedürfnisse mit hinein. Es ist nicht eine Dienstleistung, es ist nicht nur eine Arbeit. Es ist das Aufbauen einer neuen Beziehung zwischen Erzieher_innen und Eltern, zwischen Erzieher_innen und Kind und manchmal auch ein neues Kennenlernen und Begleiten von Eltern und Kind. Es braucht Raum und Zeit – manchmal mehr, manchmal weniger.

Eure
Susanne_clear Kopie

 

4 Kommentare

  1. Sehr schön geschrieben. Ich habe zwar noch knapp 1,5 Jahre Zeit, bis es bei uns soweit ist (dann wird mein Sohn drei Jahre alt sein), aber ich mache mir jetzt schon viele Gedanken, denn unsere Kindergärten haben einen Betreuungsschlüssel von 1,75 Erzieherinnen auf 25 Kinder. Das macht mir sehr zu schaffen und ich bin dankbar, dass ich noch Zeit habe. Ich frage mich, ob eine Eingewöhnung in solch einer Umgebung überhaupt richtig möglich ist?
    Es ist eine Mischung aus allem – der Überwindung, sich von seinem Kind zu trennen, der Sorge, ob es ihm in der Betreuung gut geht und aber auch der Sehnsucht nach etwas mehr Freiheit. Mal sehen, wie es wird…

  2. Wir haben eine Eingewöhnung, die keine war, abgebrochen und den Kindergartenplatz für unsre Tochter nach 1,5 Wochen gekündigt. Es ging ihr sehr schlecht bei dem Konzept, einfach abgegeben zu werden und höchstens am Anfang noch 30 Minuten dort zu bleiben. Eltern waren dort nicht erwünscht, auf die Bedürfnisse unseres Kindes und auch auf unsere Ängste und Sorgen wurde nicht eigegangen. Das Kind „müsse da durch“ und würde sich schon an die neue Situation gewöhnen. Eine langsame Eingewöhnung wäre nur schlecht für das Kind, weil es sich sonst nie lösen könne… Unsere Tochter war da kurz vor ihrem dritten Geburtstag und es war ein evangelischer Kindergarten. Nach 7 Tagen war sie nur noch am Weinen und Protestieren, es ging ihr merklich schlecht. Da haben wir die Notbremse gezogen.
    Bei deinem Text kommen mir die Tränen, und ich überlege, ob ich ihn dem Kindergarten schicke.
    Wir haben zum Glück einen Kindergarten gefunden, der sehr gut auf unsere Tochter und auf die schlechten gemachten Erfahrungen eingegangen ist. Es war eine sehr lange Eingewöhnung nötig, um zu der neuen Einrichtung und zu den neuen Erziehern Vertrauen zu fassen und sich dort wohlzufühlen. Erst nachdem sie einen Monat (!) im neuen Kindergarten war, begann sie, über den alten zu sprechen, mit der Bitte, dort nie mehr hinzumüssen.
    Es ist soo wichtig, dass die Erzieher einfühlsam und individuell auf all das schauen, was du genannt hast und sich in die kleinen Menschen hineinversetzen. Zum Glück ist es bei uns noch gelungen. Jetzt geht sie soo gerne und ist durch und durch glücklich dort, will freiwillig länger bleiben und hat Freunde gefunden.

  3. Stefanie Saupe

    Wir haben uns für die Eingewöhnung mit 18 Monaten zwei Monate Zeit genommen. Und das war auch gut so, denn natürlich war meine Maus gleich erstmal krank. Ausserdem habe auch ich als Mutti mich daran gewöhnen müssen dass meine kleine jetzt Erfahrungen ohne mich macht und da sie noch nicht richtig sprechen kann, sie ist jetzt 21 Monate, kann sie mir auch nicht verständlich erzählen wie ihr tag war.Aber die Erzieherinnen sind sehr toll und beantworten alle meine Fragen und nehmen meine Sorgen ernst. Und meine süße Maus fühlt sich auch so wohl in der Kinderkrippe!!!

  4. Liebe Susanne,
    danke, danke, danke für diesen Beitrag. Mit deinen Worten und Sichtweisen fängst du mich gerade auf.

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