Breifrei/BLW

Gill Rapley, Hebamme, Stillberaterin und Mutter von drei Kindern, hat den Begriff des “Baby-Led Weaning” geprägt. Wie sei selbst jedoch schreibt, hat sie nur dem einen Namen gegeben, was viele Eltern ganz natürlich mit ihren Kindern schon seit Generationen praktizieren: Das Kind ohne extra gekochten Brei an feste Nahrung heran führen. Auch Herbert Renz-Polster führt in seinem Buch “Kinder verstehen” aus, dass Kinder evolutionär betrachtet schon immer das aßen, was auf dem mütterlichen Speiseplan stand – und zwar entweder mundgerecht zerlegt oder vorgekaut. Dies hatte auch den Vorteil, dass das Kind den Geschmack der Speisen bereits über die Muttermilch vermittelt bekommen hat. Auch Skelettfunde sollen die These der gröberen Beikost untermauern: Erst ab dem 17. Jahrhundert sind Kieferfehlstellungen zu beobachten durch die zunehmend weichere Babykost.

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Sind Kinder dazu fähig, sich selbst mit passender Nahrung zu versorgen?

Baby-Led Weaning geht davon aus, dass Babys sich mit dem, was sie brauchen, in gewissem Sinne selbst versorgen können. Vorausgesetzt wird, dass das Angebot, das sie von ihren Eltern erhalten, gesund und ausgewogen ist. Wird ihnen eine Auswahl an gesunden Nahrungsmitteln täglich angeboten, wählen sie selbst, was sie gerade benötigen. Vielleicht gibt es Phasen, in denen sie immer wieder ganz bestimmte Nahrungsmittel bevorzugen weil sie es gerade für die Entwicklung benötigen. Über einen längeren Zeitraum zeigt sich jedoch, dass bei einer breiten Auswahlmöglichkeit über die Zeit eine gute und vollwertige Ernährung erfolgt.

Dabei können sie nicht nur selbst das Essen auswählen, sondern die Fähigkeiten des Kindes sind auch den körperlichen Möglichkeiten angepasst: Natürlich können sich die allerkleinsten mit 6 Monaten noch an Erbsen und Rosinen verschlucken. Doch da sie in diesem Alter noch nicht fähig sind, solche Lebensmittel mit dem Pinzettengriff aufzunehmen, geraten sie auch nicht in die Gefahr. Haben sie den Pinzettengriff dann erlernt, können sie auch kleinste Nahrungsmittel erkunden. Baby-Led Weaning geht demnach von einem Zusammenspiel der Fähigkeiten des  Babys aus: Nur was es auch wirklich kann, soll es machen.

Voraussetzungen für die selbstständige Nahrungsaufnahme

Damit das Baby also selbst isst, muss es bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Nach Gill Rapley ist das geeignete Alter für den Beikoststart ohne Brei um den sechsten Monat herum – bei gesunden und zum normalen Geburtstermin geborenen Kindern ohne gesundheitlichen Einschränkungen. Kinder sollten (mit wenig Hilfe) sitzen und das Essen selbst zum Mund führen können. Denn es geht nicht nur einfach darum, dass das Baby feste statt breiiige Lebensmittel bekommt. Es soll vielmehr ganz selbstbestimmt das Essen vom Teller nehmen dürfen (sich dabei aussuchend, was genau es vom Teller nehmen möchte) und es selbst zum Mund führen und ganz nach Bedarf dieses Lebensmittel mit dem Mund erkunden und langsam verspeisen. Das langsame Erkunden ist dabei ganz besonders wichtig, denn Babys wissen ja noch nicht, dass Nahrung satt macht. Erst aus Freude am Erkunden nehmen sie die Lebensmittel in den Mund und lernen dann nach und nach, dass diese auch satt machen.

Auch Dr. Carlos Gonzalez titelt in seinem berühmten Buch “Mein Kind will nicht essen”: Die Lebensmittel müssen nicht püriert werden. Er erklärt nicht nur, dass Nahrungsmittel der Reihe nach nach ihrer Festigkeit dem Kind angeboten werden können, sondern geht auch auf einen wichtigen psychologischen Grund für die feste Beikost ein: Kinder, die gleich feste Nahrung erhalten, müssen nicht mehrfach entwöhnt werden. Die bis zu drei Entwöhnungphasen (von der Brust zur Flasche, von der Flasche zum Brei, vom Brei zur festen Kost) wären potentiell traumatische Lebensabschnitte (2008, S. 133).

Herbert Renz-Polster gibt auch bezüglich des festgelegten Alters von 6 Monaten eindeutig Entwarnung: Evolutionär betrachtet ist anzunehmen, dass Babys schon im ersten halben Jahr Nahrungsmittel von den Müttern erhalten haben. Dafür spricht, dass nicht nur im Speichel der Babys das Stärke spaltende Enzym Amylase vorhanden ist, sondern auch in der Muttermilch. Er führt aus: “Selbst von medizinischer Seite gibt es keine Hinweise, dass die frühe Einführung von kleinen Mengen an Beikost unter Beibehaltung des Stillens nachteilig wäre.” (2010, S. 85). Selbst beim Zufüttern von glutenhaltigen Lebensmitteln – wovor an vielen Stellen immer wieder gewarnt wird – sei bei gleichzeitigem Weiterstillen die Entwicklung einer Glutenunverträglichkeit gering.

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Alles braucht seine Zeit

Babys brauchen Zeit, um in Ruhe ein Nahrungsmittel zu erkunden: Wie fühlt es sich an, wie hart oder weich st es? Wie berühre ich es? Wie kann ich es am besten in den Mund stecken? Wie fühlt es sich im Mund an, wie zerdrücke ich es? An jedem Nahrungsmittel gibt es viel zu entdecken. Dass Nahrung so lange im Mund des Babys hin und her gewendet wird, hat ebenfalls Vorteile: Im Speichel sind bereits Verdauungsenzyme enthalten, die schon mit der Verwertung des Essens beginnen.

Und nicht nur jede Mahlzeit braucht ihre Zeit, sondern auch insgesamt verläuft die Entwicklung der Aufnahme der Nahrungsmittelmenge vielleicht langsamer als bei der Breikosteinführung. Auch dies ist jedoch ganz im Sinne des Kindes: Schließlich ist im ersten Lebensjahr das Hauptnahrungsmittel die (Mutter-)Milch. Rapley betont, dass die Menge der Milch zwischen dem 6. und 9. Lebensmonat ungefähr gleich bleibt und das feste Essen nur langsam dazu kommt und zunimmt. Erst ab dem 9. Monat nimmt langsam die Milchmenge ab und die Menge an festen Lebensmitteln zu. Dabei gibt es auch bei der Beikosteinführung wie in der gesamten kindlichen Entwicklung immer wieder stärkere Entwicklungsphasen, die sich mit kleinen Pausen abwechseln – auch beim Essen gibt es also Entwicklungsschübe.

Bedeutet Selbstbestimmtheit Sauerei und Frust?

Stellen wir uns nun also ein Baby vor, das die Nahrung selbst aufnehmen und zum Mund führen darf. Natürlich wird dabei nicht wenig von der Speise anfangs auch auf dem Fußboden landen. Auch in den Haaren, an der Kleidung und im Gesicht werden sicherlich einige Spuren zu finden sein. Auf dem Tisch sowieso, wenn dort mal etwas beim Versuch des Zugreifens zermanscht wird. Und das, was nicht schmeckt oder nicht mit dem Mund richtig zerkleinert wird, wird wahrscheinlich schnell wieder ausgespuckt. Dabei lernen die Babys etwas ganz wichtiges: Wie man Dinge, die im Mund sind und dort nicht sein sollen, wieder hinaus bekommt.

Und auch sonst ist es wohl nicht anstrengender als die bislang bekannte Breikosteinführung: Auch dabei landet Brei an anderen Stellen und was nicht schmeckt, wird wieder ausgeprustet. Erspart bleibt einem das schwierige Füttern und der Stress, den viele Eltern damit haben, wenn das Baby doch lieber den Löffel selber führen möchte. Auch das ungute Gefühl, wenn man aus Sorge, das Baby würde nicht genug essen, es mit Tricks zum Essen überreden möchte: Beim Baby Led-Weaning gibt es kein “Für Oma, für Opa, für Mama…” und auch kein Flugzeug kommt mit Essen angeflogen. Und erst Recht wird nicht ein Ärmchen hinter dem Rücken der fütternden Person zurück gehalten, damit das Baby nicht zu viel zappelt oder einfach mitmacht mit eigenem Tempo. Es wird nicht extra gekocht und eingefroren und auch das Kaufen von Gläschen hat sich erübrigt. Keine Panik, wenn unterwegs kein Fläschchenwärmer aufzutreiben ist für den Mittagsbrei, denn die gekochte Kartoffel in der Tupperdose schmeckt auch kalt sehr gut. Und das Beste: Auch Eltern können endlich einmal am Tisch sitzen und selber essen. Richtige Familienmahlzeiten sind möglich. Nein, von mehr Stress ist beim Baby-Led Weaning nicht auszugehen.

Die nächsten Termine für einen Breifrei-Workshop findest Du hier.

Weiterführende Literatur:

  • Gonzales, Carlos (2008): Mein Kind will nicht essen. Ein Löffelchen für Mama… Minden: La Leche Liga.
  • Rapley, Gill/Murkett, Tracey (2010): Baby-Led Weaning. The Essential Guide to Introducing Solid Foods and Helping Your Baby to Grow Up a Happy and Confident Eater. New York: The Experiment.
  • Renz-Polster, Herbert (2010): Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt. München: Kösel.

8 Kommentare

  1. […] gar nicht nochmal erläutern, das haben andere längst schon viel besser hinbekommen, zum Beispiel Susanne Mierau oder Mama Miez. Kern des Konzepts ist, auf Brei zu verzichten und von Anfang an Fingerfood […]

  2. Aber in deinem anderen Artikel warnst du ja auch sehr deutlich vom zu frühen Hinsetzen. Wie lassen sich denn nun diese beiden Theorien vereinen?

    Interessierte Grüße,

    Julia

    • Liebe Julia,
      Du hast vollkommen Recht. Kinder sollten in einem Stuhl erst alleine sitzen, wenn sie das können. Daher ist es gut, wenn die Kinder vorher, wenn sie noch nicht allein sitzen können, auf dem Schoß eines Erwachsenen sitzen können. Im Workshop zeige ich immer, wie eine gute Sitzhaltung möglich ist. Die Kinder sitzen dabei sicher und leicht gerundet auf dem Schoß. Der große Vorteil ist: Wenn es für das Kind unbequem wird, bewegt es sich. Der Erwachsene bewegt sich dann reflektorisch auch und so nehmen beide eine neue Haltung an. Das Sitzen ist für das Kind dadurch nicht so starr wie auf einem Stuhl, der sich ja nicht mitbewegen kann, wenn es unbequem wird.

  3. Ich bin derzeit etwas ratlos, mein Sohn (10 Monate) isst nicht nur nicht vom Löffel (was ich ja an sich nicht dramatisch finde), ABER er isst auch nichts anderes. Bei allem was ich ihm bislang angeboten habe, nimmt er die Stücke zwar in Hand und Mund, aber sobald sich auch nur ein klitzekleines Stückchen ablöst, würgt er es wieder aus. Er schluckt also noch nicht hinunter. Ist das normal und es braucht einfach noch mehr Übung? Ich bin schon allmälich besorgt, weil er in dem Alter immer noch voll gestillt wird. Liebe Grüße, Josephin

  4. Hallo! Also ich lese hier das erste mal, dass es diese Breifrei/BLW “Bewegung” gibt und es hat mich wieder mal bestätigt, auf mein Gefühl zu hören und nicht an alte oder auch neuere Denkmuster zu halten! Bei meinem Großen habe ich noch eine Beikosteinführung “nach Plan” gemacht, da ich damals als Jungmutter noch gar keinen Plan hatte, wie ich das ganze angehen sollte und es mir zu dieser Zeit noch logisch erschien, die Lebensmittel alle nach der Reihe nur langsam einzuführen und sie zu beobachten, ob sie darauf mit Unverträglichkeiten reagieren. Aber am Ende dieser “Lebensmitteleinführung” musste ich feststellen, dass man daraus nicht wirklich ableiten konnte, ob die Kinder die Lebensmittel nicht vertragen oder ob mal wieder ein Zahn kommt und daher gewisse Wehwechen rühren…
    Meine kleine Tochter hat mich aber von Anfang an eines Besseren belehrt bzw. vielleicht war ich dann einfach noch geübter, die Signale richtig zu deuten… Sie wollte einfach keinen Brei essen – und als ich ihr alle paar Tage ohne Druck wieder mal einen Brei probieren lassen wollte und sie immer noch keine Anzeichen machte, dass sie das für Gut befindet, habe ich ihr das erste Mal von unserem Essen kleine Stückchen angeboten… Und siehe da, das Essen war auf einmal interessant, aber nur, wenn sie es selbst mit den Fingern in den Mund stecken durfte, auch wenn das anfangs noch nicht gut funktionierte – aber sie wollte sich partout nicht von uns füttern lassen. Und nun mit 1 Jahr und 3 Monaten isst sie bereits sogar schon einigermaßen gut mit Löffel und Gabel, was ich so in dem Alter eigentlich gar nicht kenne! Auch das wollte sie unbedingt, was soweit gegangen ist, dass sie nicht essen wollte, wenn sie keine Gabel bekommen hat… Und es war am Anfang auch ein wenig schwer, das Experimentieren mit der Gabel einfach geschehen zu lassen, da das Ganze ja ziemlich nahe am Auge stattgefunden hat und die Treffsicherheit dann doch noch nicht so gut war… 😉

  5. Vor der Geburt meines Sohnes im März hatte ich auch geplant, diesmal länger mit der Einführung von Beikost zu warten. Bei Nr. 1 habe ich durch eigene Vorfreude wirklich am 1. Tag des 5. Monats begonnen und mir danach unnötig Stress gemacht, dass ab diesem Tag auch lückenlos weitergefüttert wird, um das Baby nicht zu verwirren. Ja, absurd. Der Große hat aber auch gut und gern gegessen und der Brei wurde sehr schnell stückiger. BLW klang mir trotzdem nach einem tollen Ansatz, den ich vielleicht nicht konsequent umsetzen, aber doch zumindest einbinden wollte. Ich möchte keine sturen Konzepte befolgen, weder bei der Breikost noch bei BLW. Brei ist ja nicht immer schlecht, ich finde Gries- und Kartoffelbrei ja selbst auch lecker!

    Jedenfalls ist alles anders gekommen: Nr. 2 hatte schon mit 3 1/2 Monaten riesiges Interesse an unserem Essen. Ich habe ihm dann ein Aprikosenschnitz angeboten, den er mir quasi aus den Fingern gesaugt hat! Bis auf die Schale war nichts mehr übrig. In Absprache mit meiner Hebamme habe ich dann ziemlich pünktlich mit 16 Wochen angefangen, Brei zu füttern und ergänzend auch weiterhin weiche und saftige Obstsorten zum naschen angeboten. Er isst (und stillt) ebenfalls gern und gut und trinkt auch Wasser aus einem kleinen Becher.

    Warum wieder Brei? Er kann mit fast 5 Monaten natürlich noch nicht selbst sitzen und ist auch noch am trainieren, sich Dinge zum Mund zu führen. Das ging mit 4 Monaten noch gar nicht. Somit hatte ich keine Wahl, außer ich hätte ihm weiterhin alles mit meiner Hand zum Mund geführt. Das ist ja zwischendurch kein Problem, aber bei gemeinsamen Mahlzeiten verzichte ich dann doch gern auf Obstmatsch an meinen Händen.

    BLW ist ja schön und gut. Aber was ist mit Kindern wie meinem, die schon lange vor 6 Monaten essen wollen und auch ziemlich schnell ganz schöne Portionen verdrücken? Ich finde die Kombi aus Brei und BLW eigentlich am entspanntesten. Vielleicht landet dann auch weniger auf dem Fußboden, wenn er mit Nahrung im Mund schon vertraut ist 🙂

  6. stephanie

    Obwohl ich mit Kind Nummer 4 nun wirklich mehr als genug Erfahrung haben sollte was die Beikosteinführung angeht, habe ich in Deinem Artikel nochmal einiges gelesen was mir neu war. Sehr gut recherchiert. Danke. Ich bin gespannt, wie Du bei deiner kleinen Prinzessin dann in einigen Monaten das Thema essen angehst und hoffe darüber hier zu lesen 🙂 https://www.meinmini.me

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