Kategorie: Geborgen Wachsen

Effizienzdenken zuhause lassen: Naturverbundenheit braucht elterliche Begeisterung

Ein Studienkollege verbrachte seine Freizeit mit Spuren- und Fährtenlesen und brachte sich selbst bei, Feuer zu machen. Ich beobachtete ihn und fand sein Tun – um ehrlich zu sein – ein wenig verspielt und albern. Fast alle in unserem Umfeld waren Studierende aus dem Bereich Naturschutz und Landschaftsplanung und machten sich dementsprechend Gedanken zum Zustand der flurbereinigten Landschaft und zu den irreparablen Schäden, die die Natur durch menschliches Tun schon fortgetragen hat.

Wir waren in der Feldarbeit aktiv, zählten Schmetterlinge und fanden über den gesamten Sommer hinweg nur 11 Arten. Wir blickten uns an unserem Studienort in Sachsen-Anhalt um, und sahen ringsum nichts als riesige Ackerschläge. Wir hatten Ideen, was es braucht, um die Natur zu “retten”. Aber ein Büschel Stroh nehmen und tagelang nach einem Feuerstein suchen, um selbst Feuer zu machen? Im Freien Biwakieren und mit leuchtenden Augen zurückkommen und von Wildschweinspuren berichten? Wie sollte das der Natur helfen?

Wachsendes Natur-Defizit durch Unsicherheit der Eltern

Als ich anfing, meine Stimme zu nutzen, um die Aufmerksamkeit auf den Zustand der Natur zu lenken, stolperte ich über immer mehr Fragen. Ich las von Kindern, die kein Interesse daran haben, draußen zu spielen. Ich hörte Eltern zu, die stolz von Spielzeug erzählten, das die Kinder so lange beschäftigt hält, dass sie nicht mehr in den Park gehen wollen.

Eltern in unserem Umfeld kamen auf mich zu, weil sie Angst hatten, ihr Kind in der Wiese krabbeln zu lassen. “Welche Gefahren lauern in der Natur?”, fragten sie mich. “Was, wenn es sich etwas in den Mund steckt?” Mit der Zeit und immer mehr Artikeln, die ich zu diesem Thema schrieb, kristallisierten sich zwei Fragen heraus. 

Wie bringt man Eltern dazu, mit ihren Kindern rauszugehen?

und

Wie weckt man das Interesse der Kinder, die Natur spannend zu finden?

Antworten auf diese Fragen zu geben, ist meiner Meinung nach der Schlüssel, um dem Natur-Defizit-Syndrom der heutigen Kindergeneration entgegenzuwirken. Der Begriff “nature deficit disorder” kommt aus den USA und beschreibt die zunehmende Entfremdung von Kindern und Jugendlichen, aber auch der gesamten Gesellschaft, von natürlichen Prozessen und gleichzeitig das Schwinden von Artenkenntnis und Wissen.

Naturverbundenheit: kein weiterer Punkt auf der To-Do Liste

Der Trend geht zur “terra incognita”, zur unbekannten Natur. Ähnlich dem australischen Kontinent im 16. Jahrhundert für Seefahrer wird die Natur zum unbekannten Land. Im Hinblick auf den Zerstörungsgrad, den wir der Erde mit dem Beginn der industriellen Landwirtschaft eingebracht haben und auch im Hinblick auf das Fehlen der Naturerfahrungen für unser Wohlbefinden, brauchen wir eine Rückkehr zur Natur. Doch die wird es nicht geben, wenn Naturverbundenheit ein weiterer Punkt auf der „Was Eltern auf gar keinen Fall verpassen dürfen“-Liste wird. Der Druck, der auf uns Eltern lastet, ist groß genug. Kindern zusätzlich noch eine möglichst diverse und ausgeprägte Naturerfahrung zu organisieren, sollte nicht Teil davon sein. 

Für Naturverbundenheit braucht es kein pädagogisch wertvolles Programm. Es ist natürlich toll, wenn es ein solches Programm gibt und wer eins vor der Haustür hat, soll es gerne wahrnehmen. Aber einmal im Jahr am Samenbomben-Basteln teilnehmen, wird keinen spürbaren Unterschied für die Kinder zu ihrem Platz im Ökosystem machen. Statt Termine sind es Nicht-Termine, die dabei helfen: Zeit. Naturverbundenheit zu spüren braucht Zeit. Zeit für Beobachtungen in der Natur. Zeit für Fährtenlesen und Vogelstimmen-Zählungen. Zeit für Bestimmungs-Apps und Müllsammeln im Stadtwald. Zeit für Geocaching, für Verstecken spielen und Lager bauen und Stöcke schnitzen. Zeit für Sammeln und Lagerfeuer, für Spiele bei jedem Wetter, für Baumfreundschaften und Fackelwanderungen. 

Ich weiß, Zeit ist ein seltenes Gut für Eltern. Zwischen Beruf, Haushalt, Abholzeiten, Kinderbetreuung und Partnerschaft jetzt auch noch Zeit für Draußensein einzuräumen, mag wie viel verlangt erscheinen. Diese Zeit draußen kommt jedoch in gleichem Maße den Eltern zugute. Studien haben ergeben, dass allein der Anblick der Natur dazu führt, Pulsschlag und Stresshormone* zu senken. Der Zugang zu Grünflächen führt zu allgemein verbesserter Gesundheit** und während die Bewohner eines waldreichen Gebietes eine niedrigere Sterberate*** vorweisen und seltener an Krebs erkranken, nehmen Krankheiten in Gebieten, wo die Natur zurückgeht****, zu. 

Auch ohne dass wir diese Studien gelesen haben, wissen wir, dass uns Natur gut tut. Doch wenn es um Naturerfahrungen für unsere Kinder geht, geben wir uns mit einem einfachen Spaziergang ohne viel Brimborium zufrieden? Sollten sich die Kinder nicht draußen erst einmal austoben anstatt „Sitzwache“ zu halten und auf Geräusche und Bewegung in der Umgebung zu achten? Je nach Temperament des Kindes und Zeitpunkt schließt sich das auch aus. 

Die natürliche Umgebung selbst ist es, die zum freien, kreativen Spiel einlädt oder zur ruhigen, meditativen Achtsamkeit. Es braucht in einem natürlichen Umfeld kein Angebot, keinen Plan und keine Checklisten, was und wie lange ein Kind etwas tun sollte, um Naturverbundenheit zu spüren. Wir sollten (wieder-) erlernen, unseren eigenen Instinkten zu folgen und die Zeit draußen für das zu nutzen, was uns gut tut – Laufen, Horchen, Hinsehen, Nachdenken oder Stillsitzen. 

Aus der Effizienzspirale aussteigen

Andreas Weber postuliert in seinem Buch „Mehr Matsch! Kinder brauchen Natur“, dass das größte Hindernis auf dem Weg zur lebendigen Naturerfahrung wir Eltern sind. Er schreibt auf Seite 206: „Wir sind [zudem] Perfektionisten und wollen unseren Kleinen jedenfalls eine höchst professionelle Naturerfahrung bieten. Wir verfallen bei dem Gedanken „Natur“ schnell in unseren Reflex des Planes, Organisierens und Angebotrecherchierens, wo es doch so viel mehr um ein Innehalten und Lauschen geht. Um ein Zulassen, nicht ein Dirigieren. Um Offenheit – dieselbe, welche die Sinne unserer Kinder annehmen, wenn man sie nur den Geräuschen, Gerüchen, Farben und Temperaturen der freien Welt lange genug überlässt. Ich empfehle, um einmal probehalber unsere eigenen Sinne neu auszurichten, einen einzigen zentralen Wandel der Grundhaltung: Versuchen Sie nicht mehr das zu tun, was Ihnen nützlich vorkommt. Steigen Sie kurzfristig aus der Effizienzspirale aus.“

Mein Studienkollege machte es vor: Er hatte Spaß an der Natur, er erforschte sie auf vielerlei Arten. Er trat mit ihr in Verbindung. Und ganz natürlich versammelten sich Kinder um ihn und fragten ihn, was er tat, halfen ihm und lernten. Sie verbanden sich mit der Natur und gingen Abends durch das neu erlebte und erlernte Wissen mit leuchtenden Augen ins Bett: “Heute haben wir ein Abenteuer erlebt!”

Es ist nicht zwingend notwendig, zu wissen, wie man Feuer macht. Aber es ist für Kinder zwingend notwendig, eine Verbindung mit der Natur zu spüren. Neben allen entwicklungsbedingten, gesundheitlichen und psychologischen Vorteilen, ist die Verbindung mit der Natur elementar, um unsere und ihre Lebensgrundlage wertzuschätzen und zu erhalten. Die kindlichen Vorlieben müssen angesprochen werden, um Lust zu machen auf die Natur. Und da Kinder durch Vorbilder lernen, müssen auch wir Eltern wieder Lust auf Natur bekommen. Also: Auf was haben wir Eltern Lust? Wissen wir, wie man Feuer macht? Wollen wir es lernen? Dann sollten wir es tun. 

Eure

Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.

Weiterführende Literatur:
* Moore EO (1981) A prison environment’s effect on health care service demands. Journal of Environmental Systems, 11: 17–34 
** De Vries S, Verheij RA, Groenewegen PP, Spreeuwenberg P (2003) Natural environments -healthy environments?An explora-tory analysis of the relationship between green space and health. Environment and Planning A 35: 1717–1731
*** Li Q, Kobayashi M, Kawada T (2008). Relationships between percentage of forest coverage and standardized mortality ratios (SMR) of cancers in all prefectures in Japan. The Open Public Health Journal 1, 1–7. 
****Donovan GH, Butry DT, Michael YL, Prestemon JP, Liebhold AM, Gatziolis D, Mao MY (2013) The relationship between trees and human health: evidence from the spread of the emerald ash borer. American Journal of Preventive Medicine 44: 139–145. 

Essen mit Kleinkindern – 4 typische Probleme und ihre Lösungen

Mit einem Kleinkind können Mahlzeiten manchmal zu einer Herausforderung werden. Gemütlich möchte man sich zusammen an den Esstisch setzen und das gekochte Essen verzehren, aber dann will das Kind nicht essen/schimpft/wirft das Essen hinunter/spielt mit der Mahlzeit. Schnell können die gemeinsamen Mahlzeiten dann zu einem Dauerproblem werden. Doch was können wir gegen die schwierigsten Tischprobleme unternehmen?

1. Mein Kind will nicht essen

In der Kleinkindzeit ist es nicht selten, dass gesunde Kinder nicht so essen wollen, wie wir es uns manchmal vorstellen. Auf einmal schmeckt dieses oder jenes nicht und sie haben auch keine Lust, davon zu probieren. Das als „Neophobie“ bezeichnete Ablehnen von neuen Speisen ist gar nicht so selten und sogar eine ganz sinnvolle Eigenschaft kleiner Kinder: Sie schützt davor, Unbekanntes unbedacht in den Mund zu stecken. Eigentlich eine wirklich gute Eigenschaft für die sonst abenteuerlustigen Kleinkinder. Nur gerade jetzt, beim gesunden Essen auf dem Tisch, macht das doch eigentlich keinen Sinn? Es hilft aber auch nichts, dem gerade mäkeligen Kind das Essen aufzuzwingen: Besser ist es, das Nahrungsmittel immer wieder anzubieten, auch mal in unterschiedlichen Arten (püriert, ganz, klein geschnitten, vermengt mit andere, geliebten Dingen,…) bis das Kind doch einmal probiert.

Es kommt auch vor, dass Kinder rund um eine Erkältung herum weniger essen oder gerade dann bestimmte Nahrungsmittel bevorzugen und beispielsweise besonders viele Proteine zu sich nehmen wollen oder in Zeiten, in denen sie besonders körperlich aktiv sind, Kohlehydrate bevorzugen. Nehmen wir also in den Zeiten, in denen nur bestimmte Dinge auf den Tisch kommen sollen, die aktuelle Entwicklung des Kindes in den Blick und nicht nur das Essverhalten. Oft gibt dies einen Aufschluss über das Essverhalten. Es kann auch helfen, die tatsächlichen Nahrungsmengen und -bestandteile in einem Protokoll festzuhalten – manchmal essen Kinder über den Tag verteilt so viele kleine Snacks, dass sie zu den Mahlzeiten keinen Hunger haben. Wird das Kleinkind noch gestillt, gibt es manchmal rund um Erkrankungen auch Phasen, in denen die Muttermilch wieder zur Hauptnahrungsquelle wird und anschließend wieder mit gutem Appetit zurückgedrängt wird. Die Beikostaufnahme erfolgt nicht linear, d.h. erst gibt immer wieder auch mal Rückschritte in der Beikostzeit.

2. Mein Kind spielt mit dem Essen

Beikost ist erstmal eine spielerische Annäherung an eine neue Ernährungsform. Kinder lernen neue Nahrungsmittel kennen und lernen nach und nach, dass auch diese sättigen. Dabei erfahren sie ganz neue Konsistenzen und Geschmäcker. Nahrungsaufnahme ist deswegen lernen und lernen erfolgt im Spiel. Kinder gehen deswegen oft neugierig an neue Speisen heran: sie riechen darin, befühlen sie, testen ihre Konsistenz mit den Händen und erst später mit dem Mund. All das ist normal und bedeutet nicht, dass das Kind niemals Tischmanieren entwickeln wird. Tischmanieren lernt es mit der Zeit nach und nach durch unser Vorbild, denn auch hier lernt es im natürlichen Alltag und eignet sich mehr und mehr das an, was es in seiner Umgebung sieht. Spielt das Kind besonders zum Ende der Mahlzeit mit dem Essen, nachdem es zunächst „normal“ gegessen hat, könnte es auch einfach satt sein (siehe Punkt 4).

3. Mein Kind „trotzt“ beim Essen

Auch das Essen ist ein Teil der wichtigen Lernerfahrungen der Kleinkindzeit. Kinder wollen auch hier ihre Fertigkeiten ausbauen. Mit dem Essen kann ganz besonders gut die Feinmotorik verbessert werden. Wichtig ist natürlich auch hier, dass Kinder wirklich beteiligt werden und sich aktiv einbringen können. Bieten wir ihnen nicht die Möglichkeit dazu, führt das oft zu Frustration und Ärger.

Konkret bedeutet das: Kleinkinder sollten nach ihren Möglichkeiten an der Zubereitung, am Tischdecken und Essen beteiligt werden: Sie können beim Zubereiten des Essens helfen, indem sie Bestandteile davon schneiden oder zusammen mischen können. Sie können helfen, den Tisch zu decken und später ihren Teller und das Besteck abräumen und in die Küche bringen. Sie können mit Kinderbesteck (Messer, Gabel, Löffel) essen und aus einem kleinen Glas selbst trinken. Mit einem kleinen Krug können sie sich selbst Wasser einschenken und mit einer kleinen Kelle auftun. Kleinkinder brauchen kein spezielles Kindergeschirr, sondern können von normalen Tellern essen. So vermitteln wir ihnen, dass sie ebenso sicher und gut am Essen teilnehmen können wie alle anderen. Vielleicht geht gelegentlich etwas kaputt, oft aber fallen dort, wo echtes Geschirr verwendet wird, seltener Teller und Gläser zu Boden als dort, wo Kinder erfahren, dass das Werfen keinen Einfluss auf die Dinge nimmt.

4. Das Kind wirft Dinge auf den Boden

Und wenn das Kind nun doch Teller, Besteck oder Essen auf den Boden wirft? Wir kennen es manchmal aus der Babyzeit: Die Freude daran, zu sehen, dass Dinge nach unten fallen. Kleinkinder haben dieses Spiel aber eigentlich schon überwunden. Oft werfen sie deswegen nicht wegen des Interesses an der Physik, sondern weil sie etwas anderes ausdrücken möchten mit ihrem Verhalten: Ich will nicht mehr! Für Kleinkinder ist es oft noch schwer, sich sprachlich auszudrücken und auch am Tisch fehlen noch oft noch so einige Worte. Während das Kind beim Füttern durch Abwenden zeigt, dass es fertig ist, ist es beim selbständigen Essen manchmal schwierig. Nehmen die Eltern nicht wahr, dass das Kind eigentlich satt ist, und bleibt das Kind vor dem Teller sitzen, wird ihm langweilig: es beginnt zu spielen und eventuell damit, Essen oder Besteck auf den Boden zu werfen. Lernt es nach wiederholtem Herunterwerfen vielleicht sogar, dass Teller und Besteck abgeräumt werden, wenn es Dinge herunter geworfen hat, erscheint diese Handlung dem Kind logisch, um das Essen zu beenden und endlich weiter spielen zu können. Ein ungünstiger Kreislauf. Deswegen ist es auch beim Essen wichtig, auf die Signale des Kindes zu achten: Ist es satt, isst es nicht weiter, spielt auf dem Teller mit dem Essen herum, sollte das Essen beendet werden. Wir können noch einmal nachfragen und dann abräumen. Alternativ kann dem Kind auch ein Signal beigebracht werden, damit es auch ohne Sprache äußern kann, dass es satt ist. Das kann ein Signal mit den Händen sein (wie aus der Babyzeichensprache) oder einfach das Wegschieben des Tellers zur Tischmitte.

Essen ist eine sinnliche Erfahrung, die Kindern Freude machen sollte. Sie lernen gerade am Esstisch sehr viel in der Kleinkindzeit: Feinmotorik bildet sich aus, sie lernen Tischmanieren und das Essen ist immer auch ein soziales Miteinander. Eine positive Stimmung am Familientisch ist deswegen ein guter Baustein zum Ausbau dieser Fertigkeiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Hilfe, mein Kind will nicht die Zähne putzen! – Gewaltfreie Wege der Zahnpflege

Pflegesituationen sind gerade mit größer werdenden Kindern oft nicht einfach und auch das Zähneputzen kann zu einem Konfliktthema zwischen Eltern und Kind werden, wenn das Kind kein Interesse am Zähneputzen hat oder es gar verweigert. Gerade das Zähneputzen ist für viele Eltern eine angstbehaftete Situation, vielleicht aus den eigenen Erfahrungen mit Karies und Zahnbehandlungen heraus, vielleicht aus der Angst um die Unversehrtheit des Kindes heraus oder möglicher Folgeprobleme durch Karies. Tatsächlich ist die Zahnpflege des Kindes wichtig und es sollte von Anfang an ein Zahnpflegeritual etabliert werden – aber auf eine entspannte Art.

Angst ist ein schlechter Berater

Es ist normal, dass Eltern sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen und ihnen beste Rahmenbedingungen schaffen wollen für die Entwicklung – gerade auch in Hinblick auf die gesundheitliche Entwicklung. Karies ist eine Erkrankung, die sich nachhaltig auswirken und zu größeren Eingriffen führen kann, die gerade bei Kindern vermieden werden wollen. Auch die immer häufiger auftretende Erkrankung der Kreidezähne ängstigt viele Eltern. Obwohl wir darum wissen, dass es in Bezug auf die Vorbeugung von Karies viele Aspekte zu beachten gibt rund um Ernährung, Vermeidung von Ansteckung und dem Nuckeln an Getränken, ist besonders das Zähneputzen bei vielen Eltern der Faktor, der die größte Aufmerksamkeit bekommt.

Angst ist jedoch in vielen Situationen ein schlechter Berater für alltägliches Handeln. Leitet uns Angst in Bezug auf die Körperpflege, sind wir eher verleitet, übergriffig zu reagieren und die Signale des Kindes nicht nur zu übersehen, sondern auch bewusst zu ignorieren. Gerade der Blick auf die Bedürfnisse des Kindes ist es aber, der die Zahnputzsituation entspannen kann. Natürlich dürfen wir das Wissen um Karies nicht aus den Augen verlieren, aber die Angst davor sollte nicht den Blick für das Kind und Alternativen verstellen.

Gewöhnung von Anfang an

Die Zähen des Babys sollten geputzt werden, sobald die ersten kleinen Zähne erscheinen. Doch auch schon vorher können wir das Baby an die Reinigung gewöhnen. Gerade in Zahnungszeiten ist es für einige Kinder angenehm, wenn die Zahnleisten mit Finger oder einem Zahnputzfingerling massiert werden. Die ersten kleinen Zähnchen können dann auch mit einem Zahnbürstenaufsatz für den Finger gereinigt werden und es wird langsam auf eine Zahnbürste umgestiegen. Hier gibt es unterschiedliche Modelle, die auch von Babys schon gut gehalten werden können und Teilhabe ermöglichen.

Wenn das Kind nicht möchte

Aber auch wenn das Zähneputzen schon scheinbar ewig als Ritual etabliert ist, kann es immer wieder vorkommen, dass das Kind sich gegen das Zähneputzen wehrt und gerade jetzt und heute nicht möchte. Und vielleicht auch an einem anderen Tag nicht. Manchmal brechen neue Zähne durch und das Zähneputzen schmerzt, manchmal liegen andere Gründe vor. Anstatt das Kind aber mit Gewalt zum Zähneputzen zu zwingen, können wir die Rahmenbedingungen durchgehen. Das Zähneputzen ist ein wesentlicher Bestandteil der täglichen Körperpflege und hat es deswegen verdient, einen entspannten Platz im Tagesablauf zu finden.

Nur abends geht es nicht

Manche Kinder verweigern abends das Zähneputzen, lassen sich aber morgens bereitwillig die Zähne putzen. Häufig ist dann am Ende des Tages die Kooperationsbereitschaft des Kindes einfach aufgebraucht, vielleicht ist es müde und erschöpft vom Tag. Hier kann es helfen, den Ablauf des Abends noch einmal genauer anzusehen, ggf. das Essen etwas nach vorn verschieben oder das Kind schon im Schlafanzug an den Esstisch setzen, damit nach dem Essen nicht noch weitere Zeit verstreicht, in der das Kind immer weniger Lust auf das Zähneputzen hat. Manchmal kann aber auch eine kreative Zahnputzsituation (siehe unten) die Müdigkeit kurz überdecken.

Manchmal liegt der eigentliche Grund der Verweigerung auch darin, dass das Kind das Zähneputzen als Schwelle zum Schlafengehen betrachtet und noch spielen und den Tag nicht beenden möchte. Auch hier ist es gut, den Ablauf noch einmal genauer anzusehen und das Zähneputzen vom direkten Schlafen zu entkoppeln, so dass das Kind beides nicht in Abhängigkeit voneinander sieht, beispielsweise durch eine kleine Spielsequenz nach dem Zähneputzen vor dem Zubettgehen.

Das empfindsame Kind

Wir alle nehmen Reize unterschiedlich wahr: Gerüche, Geschmäcker, Berührungen und haben auch unterschiedliche Arten, darauf zu reagieren. Einige Kinder sind empfindsamer als andere und/oder drücken ihre Empfindsamkeit besonders stark aus. Das ist normal und richtig. Vielleicht macht sich das auch an anderen Stellen bemerkbar, nicht nur beim Zähneputzen: Das Kind reagiert besonders empfindsam auf Textilien, mag keine Nähte oder Tags an Kleidung, ist sehr empfindsam bei Berührungen. Gerade das Zähneputzen kann für ein empfindsames Kind sehr anstrengend sein, weil das Zähneputzen durch eine andere Person vielleicht schmerzt, der Geschmack der Zahnpasta zu intensiv ist, die Bürsten zu hart.

Hier hilft es, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen: „Zeig mir, wie du es magst! Wie soll ich die Zähne schrubbeln oder lieber sanft fegen?“, „Schmeckt dir die Zahnpasta zu stark? Wir können einen anderen Geschmack ausprobieren.“ Manchmal ist es auch die Körperhaltung, die das Kind einnehmen muss: 2 Minuten lang stehen und den Kopf nach oben strecken ist unangenehm und anstrengend. Beim Zähneputzen auf dem Wickeltisch oder der Waschmaschine sitzen und auf Augenhöhe sein mit der putzenden Person in entspannter Körperhaltung ist wesentlich angenehmer. Wenn das Kind uns mitteilt, dass das Zähneputzen unangenehm ist, sollten wir Verständnis entgegen bringen und sehen, an welchen Rahmenbedingungen wir etwas ändern können anstatt zu erklären: „Stell dich nicht so an, tut mir ja auch nicht weh.“

Selbständigkeit ermöglichen

In der Zeit nach dem ersten Geburtstag macht sich das Kind mehr und mehr mit der Welt vertraut und versucht darin eigene Wege zu gehen: selbständig zu werden und zu sein. Die Dinge lernen, die es für das Leben benötigt. Die Körperpflege ist einer dieser Bereiche und auch hier möchte das Kind immer mehr selber machen. gerade dann, wenn wir merken, dass die Selbständigkeit dem Kind wichtig ist und dieser Wunsch zum Gegenwillen führt, wenn wir Erwachsenen „einfach schnell selber machen“ wollen lohnt sich ein Blick auf die Rahmenbedingungen: Kann das Kind gut am Waschtisch stehen und sich vielleicht selber Wasser in den Zahnputzbecher füllen? Kann es sich im Spiegel ansehen beim Putzen? Wer kreativ ist, kann auch einen kleinen Waschtisch nach Montessori improvisieren. Auch das Zähneputzen möchte natürlich selbst durchgeführt werden: Einige Kinder finden es gut, wenn sie zuerst putzen dürfen, andere mögen es, wenn sie die abschließende Reinigung übernehmen und gerade niemand mehr „nachputzt“.

Vorbilder sind wichtig

Unsere Kinder ahmen uns und andere nach und finden auch darüber den Weg in die Selbständigkeit. Wie in vielen anderen Bereichen (beispielsweise Töpfchen/Toilette) ist es auch beim Zähneputzen wichtig, dass das Kind auch andere Menschen dabei beobachten kann und nachahmen darf. Deswegen sind Eltern als Zahnputzvorbilder wichtig: gemeinsam können die Zähne geputzt werden. Das Kind kann dabei auch einmal in die Rolle des Erwachsenen schlüpfen und diesem die Zähne putzen und der Erwachsene dann dem Kind. In der Rolle des Kindes kann die erwachsene Bezugsperson dann auch erfahren, wie sich das Zähenputzen anfühlt und an welchen Stellen es vielleicht aus der Sicht des Kindes Probleme gibt. Vorbilder können Kinder aber auch in Büchern und Videos finden. Es ist viele Bücher rund um das Zähneputzen, die Kindern nicht Angst machen, sondern auch Freude am Zähneputzen wecken.

Kreative Ideen

Und wenn nichts von den genannten Ursachen in Frage kommt? Dann hilft uns manchmal nur ein kreativer Umgang mit dem Zähneputzen mit Hilfe von

  • Zahnputzlieder singen oder Zahnputzgedichte aufsagen
  • Eine Geschichte ausdenken zum Zähneputzen: Jeden Abend müssen die Zahnputzmonster erst lockergeschrubbt und dann herausgefegt werden…
  • Kuscheltiere oder Handpuppen/Waschlappen die Zähne putzen lassen. Ein einfacher Waschlappen kann mit zwei angenähten Knöpfen und etwas Wolle zu einer Zahnputzfee werden, die abends die Zähne säubert
  • Zahnputzvideos ansehen
  • Es gibt elektrische Zahnbürsten mit Apps, bei denen dann die Bakterien aus dem Mund geputzt werden
  • Zähneputzen an unterschiedlichen Orten: „Weißt du, wo wir noch nie die Zähne geputzt haben?“
  • Färbetabletten aus der Apotheke benutzen: Zahnfärbetabletten färben den Plaque blau und es ist sichtbar, wo besser geputzt werden sollte

Manche Eltern denken, es sei absurd, einen großen Aufwand um das Zähneputzen zu betreiben, wenn das Kind doch auch festgehalten werden könnte. Dabei wird aber die körperliche Integrität des Kindes übergangen, was langfristige Folgen haben kann. Auch Zahngesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil der körperlichen Gesundheit und es ist wichtig, Kindern nicht das Engagement und die Bereitschaft zu nehmen, sondern das Zähneputzen als gutes Ritual zu etablieren, das Kinder ihr ganzes Leben lang begleiten wird. Die Zeit, in der Kinder vielleicht überredet oder kreativ begleitet werden müssen, ist vergleichsweise kurz in Bezug darauf, für wie lange wir ihnen mit diesem Aufwand ein gutes Vorbild und Gefühl mitgeben können. Gewaltfreiheit ist ein Recht des Kindes und mit Kreativität, geänderten Rahmenbedingungen und Ablenkung schaffen wir es, das Vertrauen des Kindes in uns zu erhalten, dass wir die schützenden Bezugspersonen sind, die unterstützen, helfen und auf dem Weg in das Großwerden begleiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Kinderbücher rund um „Monster“

Wie Kinder auf Monster aufmerksam werden, kann ganz unterschiedlich sein: sie hören davon im Kindergarten/auf dem Spielplatz/von anderen Kindern im Freudeskreis, sehen einen Film oder finden ein Buch in der Bibliothek. Gerade in der magischen Phase der Kinder, in der ohnehin alles möglich ist, kann der Gedanke an Monster auch Angst machen. Manchmal können es auch größere Kinder oder andere Erwachsene sein, die Kindern mit dem Gedanken an Monster oder Geister bewusst Angst machen wollen. Natürlich sollten solche Gruselgeschichten nicht als Erziehungsmittel genutzt werden, dennoch finden sie immer wieder einen Eingang in die Kinderzimmer. Glücklicherweise gibt es aber zahlreiche schöne Kinderbücher, die das Thema „Monster“ aufgreifen, damit aber liebevoll und kreativ umgehen und Kindern vermitteln: Du musst vor Monstern keine Angst haben, selbst wenn du an sie glaubst.

aus: Millie und das Einschlafmonster

Millie und das Einschlafmonster

„Millie und das Einschlafmonster“ von Brigitte Luciani und Eve Tharlet (Amazon* | Buch 7* | Buchhandel) behandelt ein recht typisches Angstthema kleiner Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter: Angst beim Einschlafen davor, dass ein Monster erscheinen könnte: Millies Eltern gehen aus und ihre Geschwister passen auf Millie auf. Aber nachdem Millie eingeschlafen ist, wacht sie doch ängstlich auf. Die Geschwister gehen liebevoll auf sie ein und haben dann doch auch ein wenig Angst. Gemeinsam finden sie heraus, dass das Monster eigentlich nur auch ein gemütliches Kuschelbett haben möchte und bereiten deswegen ein Monsterbett außerhalb des Dachsbaus, damit Millie gut schlafen kann.

aus: Warum Monster Zähne putzen

Warum Monster Zähne putzen

Im Buch „Warum Monster Zähne putzen“ von Jessica Martinello und Grégoire Mabire (Amazon* | Buch 7* | Buchhandel)  kommt gleich eine ganze Reihe von Monstern vor, die überall wohnen. Angst haben muss dennoch kein Kind davor, denn die Monster sind alle sehr nett oder ängstlich. Sie alle fürchten sich allerdings vor den schlimmsten Monstern überhaupt: Kariesmonster. Deswegen putzen auch alle Monster ihre Zähne. Das Monster unter dem Bett ist so empfindsam, dass es dafür eine ganz besonders feine Zahnbürste benötigt aus Kinderhaaren. Das ist der einzige Grund, warum es immer unter dem Bett hockt und dort die herumliegenden Haare aufsammelt. Die Hauptfigur im Buch lernt jedenfalls, dass alle Monster sich die Zähne putzen und der Zahnarzt ein Super-Held ist, der nur deswegen einen Mundschutz trägt, damit die Kariesmonster ihn nicht erkennen. Wir haben bei diesem Buch schon oft gelacht und mein persönliches Lieblingsmonster ist seither das Monster unter dem Bett.

aus: Monsta

Monsta

Das Buch „Monsta“ von Dita Zipfel und Mateo Dineen  geht einen anderen Weg. Auch hier lebt ein Monster unter einem Kinderbett, aber es ist sehr klein und möchte das Kind eigentlich gerne ein wenig gruseln, aber „leider“ nimmt das Kind dieses kleine Monster einfach nicht wahr und schläft einfach jede Nacht. Das Monster beschließt deswegen, auszuwandern und sich einen anderen Job zu suchen in einer Monster-Show, in der es schließlich glücklich wird. Schade an dem Buch ist allerdings, dass es versucht, kindgerecht zu wirken im Text und der Geschichte, dabei aber der Text bewusst voller Rechtschreibfehler gehalten wurde (beispielsweise wird „Kind“ „Kint“ geschrieben). Das ist für die erwachsenen Vorleser unnötig und anstrengend beim Vorlesen und für Kinder, die vielleicht erste Worte schreiben, ungünstig für den Schriftspracherwerb. Auch die Geschichte ist nur bedingt gegeignet für Kinder, denn das kleine Moster ist erst wütend, dann traurig darüber, dass es gar nicht wahrgenommen wird und auch die Beschreibung „Eine Nacht hab ich nachgeguckt. In dir drinnen. Hab den Grusel gesucht, den Schreck und die Angst.“ kann empfindsame Kinder eher verstören mit dem Gedanken, dass ein Monster in ihnen nachsieht. Auch die Formulierung „Du bist unreparierbar, Kint“ ist weniger kindgerecht. Deswegen: Dieses Buch würde ich bei Monster-Ängsten nicht empfehlen.

aus: Knietsche und die Angst

Knietzsche und die Angst

Das kleine Heftchen „Knietzsche und die Angst“ (Amazon* | Buch 7* | Buchhandel) ist eher für Kinder ab dem (Vor)schulalter geeignet, denn es behandelt das Thema Angst schon etwas tiefgründiger: Mit wenigen Sätzen erklärt es, dass unsere Angst wie ein innerer Tiger ist, der manchmal in Alarm gerät. Es erklärt, was bei Angst im Körper passiert und wovor viele Menschen Angst haben. Dass wir Ängste haben, ist völlig normal, bekommen Leser*innen erklärt. Abschließend ruft es zum gemeinsamen Gespräch auf darüber, wovor das Kind Angst hat und welche Angst es vielleicht loswerden möchte.

Wichtig ist: Wenn sich unsere Kinder ängstigen, sollten wir das Ernst nehmen. Ängste sollten nicht verlacht, nicht veralbert oder ignoriert werden. Wie auch bei anderen Gefühlen lernt das Kind gerade, wie es mit ihnen umgehen kann und dafür braucht es noch unsere Unterstützung. Wir können Traumfänger basteln, auf Monstersuche gehen oder ein Monsterspray nutzen, um sie fernzuhalten. Gleichzeitig können wir unseren Kindern versichern und zeigen, dass wir da sind, Schutz geben und bei allen Ängsten Ansprechpartner*innen sind. Bücher können ein Anlass sein, um über Ängste zu sprechen und Ideen zu finden, damit umzugehen.

Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Amazon und Buch7, durch die ich im Falle einer Bestellung eine Provision erhalte ohne dass für Euch Mehrkosten anfallen. Die vorgestellten Bücher sind Rezensionsexemplare (Millie und das Einschlafmonster + Knietzsche und die Angst) oder selbst gekauft (Warum Monster Zähne putzen + Monsta)

Du kannst mit deiner Wut zu mir kommen

Für viele Eltern ist es gar nicht so einfach, ein wütendes Kleinkind zu begleiten. In einem Moment war die Welt noch in Ordnung, im nächsten Moment ist das Kind erzürnt. Vielleicht hat etwas nicht so funktioniert, wie das Kind es sich vorgestellt hat. Vielleicht kann es etwas nicht erreichen, was es erreichen wollte. Vielleicht hat ein anderer Mensch nicht verstanden, was das Kind eigentlich sagen wollte. Oder ein anderes Kind hat das Spielzeug, mit dem es selber gerade spielen wollte.

Die Zeit des „alleine“ ist wichtig, aber herausfordernd für das Kind

Die Anlässe dafür, dass ein kleines Kind wütend wird, können vielfältig sein in der Kleinkindzeit. Denn gerade jetzt macht es sich auf den Weg, in der Welt zurecht zukommen. Es lernt Selbständigkeit und muss sie lernen, weil dies auf dem Entwicklungsplan des kleinen Menschen liegt. Nachdem das Kind im ersten Jahr in der Welt angekommen ist und die grundlegenden Fertigkeiten ausgebildet hat, sich darin zu bewegen, will es nun aktiv mit der Welt umgehen und alles lernen und erfahren, was es für das Leben braucht: von Gesprächen über motorische Handlungen bis zu den kleinen Details des sozialen Miteinanders. Klappt etwas nicht wie geplant, können die Gefühle ein kein Kind schnell überrollen. Denn auch wenn auch dieser Bereich in der Kleinkindzeit weiter ausgebaut wird, ist das Kleinkind an vielen Stellen noch nicht fähig, Gefühle allein zu regulieren und mit ihnen selbständig umzugehen. Es benötigt die Bezugspersonen als Partner in der Regulation.

Das Annehmen der Gefühle des Kindes ist wichtig

Die Beziehung zum Kind zu gestalten in dieser Zeit, wenn die Kinder manchmal so ganz von ihren Gefühlen überrollt werden, ist nicht immer einfach. Besonders nicht, wenn sie ein Verhalten zeigen, das für die Eltern besonders anstrengend ist, weil es an die eigenen körperlichen oder seelischen Grenzen stößt, wenn das Kind aus der Wut heraus beißt, spuckt oder Schimpfworte benutzt, um diesen Gefühlen einen Raum zu bieten, um sie umzusetzen, wenn sie sich so stark in ihnen zu Wort melden. In diesen Momenten hinter das Verhalten des Kindes zu sehen und zu erkennen, dass das Beißen oder Spucken vielleicht eine Form des Widerspruchs ist, weil das Kind sich sonst machtlos uns unterlegen fühlt oder dass Schimpfworte genutzt werden, um einen Superlativ von Gefühlen und Verärgerung auszudrücken, den es anders nicht in Worte fassen kann, ist nicht immer einfach.

Dennoch ist es gerade jetzt wichtig. Denn das Kind braucht die Bezugspersonen noch immer als sicheren Hafen. Als Schutz. Es braucht das Gefühl, dass es mit allen Gefühlen bei der Bezugsperson einen Anlaufpunkt hat und Hilfe erhält bei den Herausforderungen des Alltags. Und der Umgang mit diesen starken Gefühlen ist eine Herausforderung, die das Kind nur mit uns bewältigen kann. Und darüber dann lernt in den nächsten Jahren, diese Gefühle auch allein bewältigen zu können. Wir geben mit unserer Zuwendung eine Anleitung, einen Fahrplan, eine Richtschnur. Durch uns lernt das Kind, die eigenen Gefühle zu verstehen, zu interpretieren und dann mit ihnen umzugehen: Kann es sie alleine bewältigen oder braucht es Hilfe von anderen? Und wie genau kann es das so große Gefühl auf eine Weise ausdrücken, die die Grenzen einer anderen Person nicht übertritt?

Was wir tun können in Momenten der großen Gefühle – und was wir lassen sollten

Nehmen wir also die Gefühle unseres Kindes an, wenn es mit ihnen zu uns kommt – bedingungslos. Die Gefühle der Freude und Heiterkeit wollen ebenso geteilt werden die Wut und Trauer. Und auch wenn es anstrengend sein mag an einigen Tagen, blocken wir nicht ab durch Worte der Ablehnung, der eigenen Verärgerung über das kindliche Verhalten oder auch der Überheblichkeit, dass das Problem des Kindes gerade lächerlich sei. Das, was das Kind gerade fühlt, ist für dieses Kind jetzt gerade real. Es braucht keinen Spott, keine Ablehnung, sondern Verständnis. Das Verständnis und die Annahme sind der erste Baustein, bevor wir in eine Begleitung übergehen können: Manchmal sind unsere Kinder in der konkreten Situation nicht ansprechbar, können nicht reagieren auf unsere Ansprache und wir können erst später die Situation und mögliche Handlungsalternativen besprechen. Manchmal sind die Kinder zugänglich für Sprache und Unterstützung. Und manchmal haben sie schon selbst einen guten Weg des Umgangs mit dem Gefühl gefunden, den wir genau so annehmen können.

Dieses Verständnis, das wir dem Kind und seiner Gefühlswelt entgegen bringen, lässt das Vertrauen in uns weiter wachsen und stärkt die Beziehung. Das Angenommenwerden unterstützt auch weiterhin auf dem Weg, eine sichere Bindung aufzubauen und zu erhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und gelassen meistern. – München: GU.
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. – München: Kösel.
Prehn, Anette (2017): Hirnzellen lieben blinde Kuh. Was die Hirnforschung über starke Kinder weiß. – Weniheim: Beltz.
Becker-Stoll, Fabienne/Beckh, Kathrin/Berkic, Julia (2018): Bindung. Eine sichere Basis fürs Leben. Das große Elternbuch. – München: Kösel.

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Worte des Begleitens lernen – Wie wir unsere Kinder trösten und beruhigen können

Der Umgang mit dem Weinen, mit Wut und Ängsten von Kindern ist für Eltern nicht immer einfach. Gerade dann nicht, wenn sie selber nicht gelernt haben, dass diese Gefühle nicht gestoppt, nicht ausgeblendet, nicht sofort beendet werden müssen, sondern eine Berechtigung haben und begleitet und/oder ausgelebt werden wollen. Für einige Eltern ist es schwer, mit diesen Gefühlen generell umzugehen: Sie fühlen sich überfordert, ausgeliefert, hilflos, ärgerlich, wütend… Kommen sie in eine Situation, in der das Kind eine solche Emotionalität zeigt, fühlen sie sich hilflos und haben nicht selten das Gefühl, machtlos zu sein: Obwohl wir rational wissen, dass solche Situationen mit Kindern vorbei gehen, fühlen wir uns in den Momenten vielleicht gefangen und haben das Gefühl, sie würden nie zu Ende gehen.

Es ist nicht einfach, an die Ursache dieser eigenen Unbehaglichkeit zu kommen: Woher rührt das Gefühl, dass das Weinen sofort beendet werden muss? Woher kommt der Gedanke, Kinder dürften nicht wütend sein und ihre Wut nicht zeigen? Warum denken wir, Kinder dürften nicht ärgerlich sein, weil wir ihnen vorschreiben, wie ihr Tag ablaufen soll und sie in einen Zeitplan fügen, den auch wir nicht immer gut finden, aber dennoch einhalten müssen? Warum fühlen wir uns hilflos im Angesicht großer Emotionen? Sich diesen Fragen zu stellen, wenn wir Probleme mit den Gefühlen unserer Kinder haben, ist langfristig gut, denn wir werden über viele Jahre mit Wut, Trauer, Ärger, Missmut, Langeweile etc. der Kinder umgehen müssen.

Was wir zunächst aber tun können auf dieser Reise des Klärens, ist die Veränderung unseres unmittelbaren Verhaltens. Wir können in einem ersten Schritt für uns selbst sorgen und uns versichern, dass dies jetzt und hier eine für uns schwierige Situation ist, die wir meistern werden. Wir können uns wahrnehmen in dieser Situation und uns darauf fokussieren, wie sich unser Körper gerade anfühlt: Wie atmen wir? Wie fühlt sich unser Körper an? Und wir können versuchen, bewusst gegen die Anspannung, die sich in uns aufbaut, zu arbeiten: tiefer und ruhiger atmen, die Muskulatur wieder entspannen, beispielsweise durch Öffnen und Schließen der Hände Anspannung loslassen.

Und wir können die Worte, die wir nutzen, ändern: Anstatt unserem Kind zu sagen „Hör jetzt endlich auf!“ oder „Nun ist aber mal gut mit weinen!“ oder „Du hast gar keinen Grund, ärgerlich zu sein/zu weinen!“ können wir einfach sagen:

  • „Ich bin hier.“
  • „Ich begleite dich.“
  • „Ich tröste dich, wenn du mich brauchst.“
  • „Es ist okay, wenn du nicht in den Arm genommen werden willst. Ich bin aber hier, wenn du mich brauchst.“
  • „Erkläre mir, was dich verärgert.“
  • „Du bist nicht allein.“
  • „Es ist okay, wie du dich fühlst.“
  • „Du bist traurig/wütend/enttäuscht…“

Denn alle Gefühle dürfen gespürt werden, kein Gefühl muss verboten werden. Und wir begleiten unsere Kinder auf ihrem Weg, mit diesen Gefühlen umgehen zu können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und begleiten. München: GU.
Mierau, Susanne (2019): Mutter. Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. Weinheim: Beltz.
Harms, Thomas (2016): Körperpsychotherapie mit Säuglingen und Eltern. Gießen: Psychosozial Verlag.

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Mein Kind trödelt

«Jetzt beeil dich! Wir müssen los!», «Bist du immer noch nicht weiter?» Viele Kinder hören den ganzen Tag über immer wieder, dass sie doch bitte etwas schneller sein sollen. Sie:

  • bummeln am morgen
  • trödeln beim Essen
  • träumen vor sich hin, wenn sie eine Aufgabe erledigen sollen

und treiben damit die Erwachsenen um sie herum regelmässig in den Wahnsinn.  Uns Erwachsene mit unseren Uhren, Plänen, To-Do-Listen, Strukturen, Pflichten, Agenden, uns, die immer irgendwo hinmüssen, nicht zu spät kommen dürfen, niemanden enttäuschen wollen, den Bus auf keinen Fall verpassen möchten. Wie können wir als Eltern damit umgehen, wenn unsere Kinder langsam und verträumt sind und alles ewig dauert – in einer Welt, die das immer weniger zulässt?

Vorbereitung hilft gegen Stress am Morgen

Meine Kinder (4 und 7) gehören zu den Menschen, die es morgens gerne gemütlich angehen lassen. Meist bleiben sie noch im Pyjama, spielen zuerst eine Stunde, essen dann etwas und ziehen sich erst nach dem Frühstück an. Seit sie in die Schule und in den Kindergarten gehen, ist es mit den gemütlichen Morgenstunden vorbei. Um 7.50 beginnt für beide die Schule und um 7.32 Uhr müssen sie den Bus erwischen (Anmerkung: In der Schweiz gehört der Kindergarten ab 4 Jahren zur obligatorischen Schulzeit). Nun bleibt uns morgens nicht viel Zeit: Wecken, Anziehen, Frühstücken, Pausenbrot einpacken, Jacke, Schuhe etc. anziehen und den Bus erwischen: All das muss in 45 Minuten Platz haben.

Da ich unter Druck selbst eher apathisch werde, alles Mögliche vergesse und mein Gehirn vor 9 Uhr sowie nicht wirklich funktioniert, habe ich mir angewöhnt, den Morgen zu entschlacken. Dabei gilt: Je weniger man als Elternteil am Morgen tun muss, desto gemütlicher kann man in den Tag starten. All das lässt sich am Abend erledigen, wenn die Kinder im Bett sind:

  • Die Kleider für den nächsten Tag bereitlegen.
  • Für das Frühstück bereits den Tisch decken.
  • Schultasche packen.
  • Die Pausenbox vorbereiten und einpacken.
  • Schuhe, Jacke, Schal etc. im Gang bereitlegen, sodass die Kinder nur noch reinschlüpfen müssen.

Auf diese Weise muss man am Morgen nur noch den Kindern ein wenig beim Anziehen helfen und den Brotaufstrich aus dem Kühlschrank nehmen. 

Das selbständige Anziehen gelingt den Kindern leichter, wenn man die Kleider in Form eines Kleidermännchens bereitlegt: Hose und Pulli zuunterst, T-Shirt, Unterwäsche und Socken darauf – in der Reihenfolge, in der das Kind die Kleider anziehen muss. Eine Alternative ist der Kleiderparcours. Dazu legen Sie beispielsweise die Unterwäsche neben das Bett, die Socken auf die Türschwelle, das T-Shirt in den Gang, die Hose auf den Weg zur Küche und den Pullover auf den Stuhl in der Küche. Das Kind bewegt sich damit während des Anziehens automatisch vom Bett zur Küche und läuft nicht Gefahr, sich wieder auf das Bett zu setzen und Löcher in die Luft zu starren. Wenn die Kinder etwas älter werden, mehr Routine entwickeln und sich selbständiger anziehen, können nach und nach wieder mehr dieser Punkte in den Morgen verschoben werden. 

Eine kleine Trickkiste, um das Aufstehen zu erleichtern

Meine Vierjährige ist abends fit und munter, morgens dafür todmüde. Im ersten Kindergartenjahr hat sie zum Glück zwei Vormittage frei. Und so stellt sie mir jeden Morgen die gleiche Frage: «Habe ich heute frei?». Auf die Antwort: «Nein, heute ist Kindergarten» dreht sie sich knurrend um und zeigt mir überdeutlich, was sie davon hält, so früh aus den Federn zu müssen. Ein paar Kniffe erleichtern uns das Aufstehen.

Musik: Wenn morgens der Song «Let it go.» aus dem Disneyfilm Frozen aus den Boxen dringt, fällt meiner Tochter das Aufwachen deutlich leichter. 

Kleider anwärmen: Im Winter wird es über Nacht etwas kalt im Kinderzimmer. Angenehmer wird das Aufstehen, wenn man die Kleider auf der Heizung bereitlegt oder sie ein paar Minuten vor dem Aufstehen zum Anwärmen unter die Bettdecke schiebt.

Verständnis: Begründungen wie «Mach jetzt! Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät!» führen kaum dazu, dass Kinder sich beeilen. Gerade die verträumten Kinder werden oft umso langsamer, je mehr Druck die Eltern aufsetzen. Verständnis kostet nichts und tut gut: «Du würdest gerne noch weiterschlafen, hm? Ich auch. Schon gemein, dass wir so früh aufstehen müssen. Komm, ich helfe dir.»

Beim Anziehen helfen: Wenn meine Tochter an ihren freien Tagen ausschlafen, spielen und frühstücken durfte, geht sie nach oben ins Zimmer und zieht sich alleine an. Das gelingt ihr nicht, wenn ich sie morgens wecken muss. Sie ist zu müde – also helfe ich ihr. In unserer Kultur wird Selbständigkeit so großgeschrieben, dass viele Eltern Angst bekommen, sie könnten ihre Kinder zu sehr verwöhnen oder zur Unselbständigkeit erziehen, wenn sie ihnen morgens in die Kleider helfen. Ich glaube, das dürfen wir ruhig etwas gelassener sehen. 

Manchmal braucht alles etwas länger

Eltern von kleinen Kindern kennen es: Man hat sich verabredet, will aus dem Haus und sobald das Kind endlich angezogen ist, muss es auch schon wieder aufs Klo oder die Windeln müssen gewechselt werden. 

In dieser Phase fand ich den Satz «Ich rufe dich an, sobald wir unterwegs sind.» sehr entlastend. Oft spielt es keine Rolle, ob man sich um 14 oder 14.30 Uhr trifft, doch sobald man eine bestimmte Uhrzeit vereinbart hat, beginnt man hektisch auf die Uhr zu schielen und das Kind anzutreiben. Muss man mehrmals hintereinander die Eltern, Schwiegereltern oder Freunde anrufen und ihnen gestehen, dass man es wieder nicht rechtzeitig schaffen wird, beginnt man an sich zu zweifeln. 

Sobald man im Bus, Zug oder Auto sitzt, lässt sich die Zeit hingegen genauer angeben. Ein Anruf mit den Worten «Wir fahren jetzt los – sind in einer halben Stunde da.» lässt der anderen Person immer noch die Möglichkeit, sich etwas vorzubereiten und sich auf den Besuch einzustellen.

Je weniger wir uns vornehmen, desto seltener machen uns Kinder einen Strich durch die Rechnung

Wie sehr wir uns als Erwachsene vom Alltag und unseren Kindern stressen lassen, hängt stark davon ab, welche Erwartungen und Ziele wir im Kopf haben. Wenn wir uns innerlich sagen: „Ich muss heute unbedingt noch…“, setzen wir uns unter Druck. Jedesmal, wenn sich unserem Ziel etwas in den Weg stellt, reagieren wir mit Frust und Ärger.  In dieser Situation können wir vom Kind verlangen, dass es spurt, schnell macht, sich alleine beschäftigt, uns nicht stört – oder wir können uns ein Stück weit von unseren Plänen lösen.

Als meine Kinder noch jünger waren, half es mir sehr, meinen Fokus zu ändern und mir ganz bewusst das Ziel zu setzen: „Ich verbringe Zeit mit meinen Kindern.“ Alles andere, das Einkaufen, Kochen, Haushalt war nicht mehr das erste Ziel, sondern etwas, das ich tue, während ich Zeit mit meinen Kindern verbringe. Sobald man diesen Fokus hat, geht es nicht mehr darum, möglichst rasch durch den Supermarkt zu eilen oder ungestört zu kochen. Vielmehr plaudert man mit den Kindern, bindet sie in den Einkauf ein oder freut sich, weil sie beim Kochen immer besser mithelfen können.

Probieren Sie es aus: Setzen Sie sich in der nächsten Woche an zwei Nachmittagen das Ziel, Zeit mit Ihren Kindern zu verbringen und sich auf deren Rhythmus einzulassen. Dabei gilt: Alles kann, nichts muss. Betrachten Sie es als Bonus, wenn Sie in dieser Zeit einkaufen oder die Wohnung aufräumen können. Fragen Sie sich am Ende dieser Nachmittage: Wie habe ich mich gefühlt? Wie war die Stimmung zwischen mir und den Kindern? Was haben wir gemacht?

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor. Gemeinsam mit seiner Kollegin Stefanie Rietzler hat er das Buch Geborgen, mutig, frei – wie Kinder zu innerer Stärke finden geschrieben. Zudem schreibt er regelmäßig für das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi. Mehr erfahren Sie unter mit-kindern-lernen-ch  

Die Entdeckungsfreude des Kleinkindes begleiten

Da sitzt das Kind versunken in sein Tun im Sand auf dem Spielplatz. Immer wieder lässt es den Sand ganz langsam aus der Höhe in von einer kleinen Schaufel in den Eimer rieseln. Die Hälfte des Sandes geht dabei daneben, aber das Kind macht unbeirrt weiter und rieselt vor sich hin. Bis zu dem Moment, an dem der Vater eingreift: „Schau mal, so geht doch alles daneben. Du musst die Schaufel tiefer halten, dann geht der ganze Sand auch in den Eimer.“ – Das Kind blickt auf. Ein lieb gemeinter Vorschlag des Vaters. Es lässt die Schaufel sinken. Der Vater nimmt sie, schaufelt den Eimer voll, drückt den Sand fest, kehrt den Eimer um und entleert ihn. Der Sandkuchen ist fertig, das Kind steht auf und geht zur Rutsche. Eine Szene, die nicht selten zu sehen ist und die auf viele andere Situationen übertragen werden kann: Das Kind spielt, Erwachsene bewerten das Spiel, greift ein, das Kind beendet das Spiel. Auch wenn das Eingreifen des Elternteils hilfreich und unterstützend gemeint ist an dieser Stelle, ist es ein Eingriff in das selbständige Erkunden.

Selbständig die Welt entdecken

Kinder sind neugierig und die Neugierde ist der Motor ihrer Entwicklung. Durch sie lernen Kinder die Welt kennen, interagieren mit ihr, stellen die Dinge in Frage und machen Erfahrungen. Sie lernen Zusammenhänge, Ursache-Wirkung und machen Fehler, aus denen sie wieder etwas lernen. Dafür brauchen sie die Möglichkeit, Erfahrungen ungestört machen zu können. Als Eltern verfügen wir selbstverständlich über viel mehr Erfahrung, haben schon viel erlebt und selber Fehler gemacht, aus denen wir gelernt haben. Um unsere Kinder vor diesen Fehlern zu bewahren, um sie zu bilden und zu unterstützen, sind wir machmal verleitet, in ihr Tun einzugreifen. Doch das Tun der Kinder ist wichtig für ihre Entwicklung.

Lassen wir das Kind tun, was es gerade machen möchte: balancieren lernen in einer noch sicheren Höhe, physikalische Experimente mit Wasser und Sand, Mengenexperimente durch das Schütten von einem Becher in den anderen, Steine stapeln, die immer wieder herunterfallen… Auch wenn das Ergebnis nicht unseren Vorstellungen entspricht, lernen Kinder davon: Sie lernen, ausdauernd bei einer Aktivität zu bleiben, sie lernen Konzentration, sie lernen Selbstvertrauen und sind stolz auf sich, wenn sie ihr eigenes Ziel erreicht haben. Wenn es nicht klappt, lernen sie, mit der Frustration umzugehen. Sie fühlen sich kompetent, wenn sie etwas machen dürfen und nicht von Erwachsenen darin unterbrochen werden, weil sie es scheinbar besser können. Sie lernen um Hilfe zu bitten, wenn sie Hilfe wirklich benötigen.

Unterbrechen wir das Spiel des Kindes, weil wir es scheinbar besser wissen, lernen die Kinder bestensfalls unseren Weg kennen. Schlechtestenfalls fühlen sie sich unterlegen, inkompetent und verlieren Vertrauen in ihr eigenes Tun. Sie geben das Explorieren auf und werden darauf angewiesen, „unterrichtet“ zu werden statt zu erkunden.

Statt eingreifen: Die Haltung der passiven Teilnahme

Lassen wir also unsere Kinder aktiv sein und die Welt bis zu dem Grad, an dem wir aus Schutz eingreifen müssen, selbst erkunden. Viele Kinder brauchen dennoch Erwachsene als sicheren Hafen im Hintergrund: Eltern, die anwesend sind, aber nicht eingreifen in das Spiel oder Erkunden. Die nicht beobachten, aber im Notfall zur Seite stehen. Diese Haltung der passiven Teilnahme gibt uns Eltern zugleich Raum, anderen Tätigkeiten in der Nähe nachzugehen. Es reicht für viele Kleinkinder aus, dass die Eltern in sicht- und hörbarer Nähe sind, damit sie in ein Spiel und Erkunden versinken können. Gelegentlich tauchen sie aus der Erkundung auf, um Nähe einzufordern: durch Körperkontakt, durch Sprache, manchmal auch nur durch einen Blick. Im Anschluss können sie, sicher in dem Gefühl, dass die vertraute Person da ist und im Notfall zur Verfügung steht, wieder in das Spiel eintauchen.

Braucht das Kind dann doch Hilfe und Unterstützung, kann es diese selbst einfordern. Aber auch dann müssen wir als Eltern nicht den richtigen Weg vorgeben, sondern können dem Kind helfen, sich selbst zu helfen: Wir können eine Idee geben, eine Anregung. Und dem Kind die Möglichkeit überlassen, von da an den Weg selbst zu finden oder nach weiterer Hilfe zu fragen.

Lassen wir unseren Kindern die Chance, die Welt nicht nur aus ihren Augen zu sehen, sondern auch mit ihren Händen und Ideen zu entdecken.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Programmieren lernen mit Kindern

Ob die Kinder Programmieren lernen, kann jede Familie gemeinsam für sich entscheiden. Wir halten es für eine gute Idee, denn es ermöglicht Kindern einen Blick hinter die Kulissen der Welt, die sie umgibt: Wie funktioniert eine Fahrstuhlsteuerung? Warum macht ein Programm manchmal nicht, was man möchte? Und wo kommen die vielen Apps eigentlich her? Dabei soll es gar nicht darum gehen, aus Kindern gleich die nächsten Software-EntwicklerInnen zu machen. Sie sollten nur die Möglichkeit haben, Technik zu verstehen und spielerisch damit umzugehen. Und nicht selten ist es auch für die Eltern eine gute Gelegenheit, eigene Berührungsängste zu überwinden.

Mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten für und mit Kindern die Welt des Programmierens zu erforschen. Wir haben eine Liste interessanter Hard- und Software-Projekte zusammengestellt, mit denen wir bereits selbst Erfahrungen sammeln konnten. Manche Projekte sind nicht unbedingt auf das Programmieren an sich fokussiert, sondern zeigen einen generellen Einstieg in die Welt der Elektronik. Da die Grenzen hier fließend sind, könnt Ihr selbst schauen, welche Themen Eure Kinder und Euch selbst interessieren. Die Altersempfehlungen sind natürlich immer nur Richtlinien: Je nach Interesse und Entwicklung des Kindes kann sich das geeignete Alter nach oben oder unten verschieben.

Bücher für Kinder zum Thema Programmieren

Ein früher Einstieg ins Thema geht auch ganz ohne Technik. Zum Beispiel mit dem wunderbaren Buch „Hello Ruby. Programmier Dir Deine Welt“ (Amazon* | Buch 7* | Buchhandel) der finnischen Autorin, Illustratorin und Programmiererin Linda Liukas. Das Buch kann bereits kleineren Kindern vorgelesen werden. Es regt neben der Geschichte zu spielerischen Experimenten an, die das Prinzip der Programmierung näher bringen. In einem sehenswerten TED Talk erklärt Linda die Idee hinter dem Buch, das für Kinder ab fünf Jahren geeignet ist:

Mittlerweile gibt es weitere Teile des Buches, die weiter ins Thema führen: »Wenn Roboter zur Schule gehen«, »Expedition ins Internet« und »Die Reise ins Innere des Computers«.

Programmieren mit der Maus

Der Klassiker unter den Programmier-Umgebungen für Kinder ist Scratch. Die grafische Programmieroberfläche wird seit 2007 für die Bildung von Kindern und Jugendlichen entwickelt und es gibt viele Webseiten, Videos und Bücher mit Erklärungen, zum Beispiel zur Programmierung kleiner Spiele. Für Maus-Fans gibt es seit 2018 eine angepasste Scratch-Version: »Programmieren mit der Maus«, die schon allein durch Maus und Elefant Kindern den Einstieg erleichtert. Auf der Webseite gibt es Tipps für Lehrkräfte und Eltern. Wer sich weiter einarbeiten möchte, findet einen kleinen Workshop bei „Planet Schule“, den man mit Kindern durcharbeiten kann. Empfohlen für Kinder ab 8 Jahren (sie sollten bereits ein wenig lesen können).

Programmieren lernen ohne Computer: Kodi

Die meisten Programmier-Projekte benötigen Tablet, Smartphone oder Computer. Wer spielerisch mit den Kindern ohne Bildschirm Technologie direkt erkunden möchte, kann sich den »mechanischen Coding-Roboter Kodi« (Amazon* | Hersteller) ansehen. Kodi bietet einen Einstieg in die Welt des Programmierens ohne Smartphone oder Computer, denn hier geht es darum, eines von fünf Roboter-Modellen zusammenzubauen, das rein mechanisch Zeichnen, Greifen, Basketball werfen, Fußball spielen oder Gegenstände transportieren kann und über Stecker in ein Rad programmiert werden kann. Ein schönes Set, um allein oder gemeinsam am Tisch zu bauen und zu experimentieren. Empfohlen für Kinder zwischen 8 und 14 Jahren, aber der Zusammenbau der Plastikteile von Kodi ist ziemlich schwierig im Handling und es braucht erwachsene Begleitung.

little Bits

Little Bits (Amazon* | Hersteller) macht das Kennenlernen der Elektronikwelt besonders einfach: Mit kleinen thematisch sortierten Steckmodulen lassen sich spielerisch elektronische Schalten bauen und testen. Statt zu löten können Kinder einfach verschiedene Module aneinanderreihen und gucken, was passiert. Die „Bits“ genannten Module sind farblich nach ihren Funktionen markiert: pinke Input-Bits für Taster, Schalter und Sensoren, grüne Output-Bits für Licht, Motoren und Sound, blaue für Stromversorgung und orange für Verbindungen.

Mit diesen Bits können ganz einfach Schaltungen und Kreisläufe gebaut werden. Die Handhabung ist durch die einfache magnetische Verbindung sehr einfach. littleBits bietet verschieden Sets mit verschiedenen Umfang zu diversenen Themen an. Das littleBits Base Inventor Kit bietet n diese Elektronikwelt und ermöglicht erste Erfahrungen im Zusammenbauen, beispielsweise kann ein sprachgesteuerter Robotergreifarm gebaut werden. Kinder können aber damit aber auch eigene Projekte auf einfache Weise verwirklichen. Ein besonderer Spaß also für alle Kinder mit Freude am Programmieren, Basteln und Erfinden. Wir hatten Spaß mit einem Set zur elektronischen Musik, mit dem sich erstaunliche Synthesizer-Effekte bauen lassen. Empfohlen für Kinder ab 8 Jahren.

Einfache Erklärungen zur Bedienung

Dash

Dash (Amazon* | Hersteller) ist ein knuffiger Roboter, der robust genug ist, um auch von jüngeren Kindern bespielt zu werden. Über die zugehörigen Apps für Smartphone und Tablet kann Dash nicht nur einfach ferngesteuert, sondern richtig programmiert werden: Mit einzelnen Bausteinen, die in der Blockly App zusammengesetzt werden, können einfache Programme bis zu komplexe Handlungen programmiert werden: So kann Dash in der Wohnung rumfahren, Geräusche von sich geben, auf Hindernisse reagieren und mit Lichteffekten spielen.

Erste Schritte zur Programmierung können in der App mit einem kleinen Führerschein erlernt werden, später können eigene Ideen umgesetzt werden. Die App Blockly ist beispielsweise so aufgebaut, dass es einen ansteigenden Schwierigkeitsgrad gibt und die zu programmierenden Aufgaben immer anspruchsvoller und komplexer werden. Sogar eigene Wörter und Sätze können aufgenommen und von Dash mit entsprechendem Befehl wiedergegeben werden. Eine typische Aufgabe, die man mit Dash bewältigen kann ist zum Beispiel ein kleiner Parcour: Man klebt mit farbigen Klebestreifen eine Fahrtstrecke auf den Fußboden ab. Durch eine Kamera im Boden kann Dash so programmiert werden, dass er sich seinen Weg entlang der Strecke sucht.

Neben der Programmierapp Blockly gibt es auch weitere Apps, die genutzt werden können. An einigen Stellen ist die Übersetzung aus dem Englischen nicht ganz geglückt und unser Kind musste nachfragen, was mit einer Aufgabe konkret gemeint sei. Insgesamt jedoch sind Roboter und App von einem Schulkind nach kurzer Zeit allein bedienbar. Sarah von Sarah von mamaskind.de hat hier einen sehr ausführlichen Bericht über die einzelnen Apps und Funktionen geschrieben. Wer in Berlin wohnt und sich für das Programmieren interessiert, kann sich einmal die Workshops im Juniorlab ansehen. Dash hat übrigens aus Datenschutzgründen keine Kamera, auch wenn er ein wenig so aussieht. Geeignet für Kinder ab sechs Jahren.

LEGO Mindstorms

Ein mittlerweile fast schon betagter Klassiker ist das Mindstorms Set von Lego (Amazon* | Hersteller). Rund um einen programmierbaren „Brick“ können mit diversenen Motoren und Sensoren Maschinen entworfen und gesteuert werden. Wir haben vor einiger Zeit mit den Kindern einen Tee-Roboter gebaut, der nach einer frei wählbaren Ziehzeit einen Tee-Beutel aus einer Tasse gezogen hat. Es ist erstaunlich, wie viele Ideen Kinder zu so einem Projekt haben (und wie viel Tee plötzlich freiwillig getrunken wird):

Ein wenig gestört hat uns am Basis-Set von Mindstorms, dass es so sehr auf kämpfende Roboter fokussiert ist. Man muss den Anleitungen aber nicht folgen und es gibt viel Literatur und Ideen zu weiteren Projekten. Mittlerweile hat Lego auch für kleinere Kinder ein Einstiegsset veröffentlicht. Wir haben es noch nicht getestet, aber es sieht vielversprechend aus.

Calliope

Wer sich und seinen Kindern schon etwas mehr zutraut, kann mit Kindern Experimente mit dem „Calliope mini“ (Amazon*| Hersteller) machen. Das deutsche Projekte hat sich zum Ziel gemacht, allen Kindern ab der dritten Klasse den Zugang zu Elektronik zu ermöglichen. Bis dahin ist es wahrscheinlich noch ein Stück, aber der sogenannte »Einplatinencomputer« kann auch außerhalb der Schule gekauft werden. Es handelt sich um einen recht robusten kleinen Computer, der über den Computer oder Tablet/Smartphone programmiert wird. Er verfügt über einige eigenen Sensoren und Ausgabemöglichkeiten, kann aber vor allem durch seine Anschlüsse um eigene elektronische Ideen erweitert werden. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Klavier aus Alltagsgegenständen?

Aufgrund des pädagogischen Hintergrunds gibt es zum Calliope bereits Bücher wie »Der kleine Hacker: Programmieren lernen mit dem Calliope mini« und »Coden mit dem Calliope mini«. Die Bücher eignen sich besonders für Eltern, die Ideen suchen, die sie mit ihren Kindern umsetzen können. Empfohlen für Kinder ab 8 Jahren.

Anregen statt Durchziehen

Wichtig für das spielerische Lernen mit Elektronik und Programmiersprachen ist es, Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Es sollte nicht darum, stumpf Programmiersprachen zu vermitteln. Kinder lieben es, auszuprobieren und oft führt ihr Weg sie an ein ganz anderes Ziel, als man ursprünglich vor Augen hatte. Und wenn dann aus der geplanten Ampelschaltung doch eine digitale Pups-Orgel wird, sollte das nicht enttäuschen, sondern man hat genau erreicht, was man wollte: Das Kind hat Erfahrungen im kreativen Umgang mit Technologie gemacht und dadurch oft mehr gelernt, als man vielleicht vermutet.

Caspar Clemens Mierau ist Diplom-Kulturwissenschaftler (Schwerpunkt Medienkultur) und berät Startup-Unternehmen in technischen Fragen. Auf vierpluseins bloggt er über seinen Familienalltag und betreibt mit Patricia Cammarata den erfolgreichen Elternpodcast „Mit Kindern leben“  

Dieser Artikel wurde von keiner der genannten Firmen beauftragt oder bezahlt. Die vorgestellten Produkte sind selbst gekauft (Ruby, Lego Mindstorms, Calliope), PR-Sample (littleBits, Kodi) oder stammen aus früheren Kooperationen (Dash).
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Alleine-Zeit: Quality-Time für Geschwisterkinder

„Ich will etwas mit Dir alleine machen!“ – Wer mehrere Kinder hat, kennt diesen Satz wahrscheinlich. Alleine-Zeit: Zeit mit einem Elternteil ohne andere Geschwister. Die Aufmerksamkeit nicht teilen, mal (wieder) im Mittelpunkt stehen, nicht von einem jüngeren Geschwisterkind belästigt werden, die Sachen beschützen müssen, aufpassen.

Wenn Eltern von ihren Kindern hören, dass diese sich „Alleine-Zeit“ wünschen, beschleicht sie manchmal ein schlechtes Gewissen: „Ich kümmere mich doch zu wenig.“ „Ich kann einfach nicht beiden/mehreren gleichzeitig gerecht werden.“ „Vielleicht geht doch eines der Kinder unter, weil es mehrere sind?“ – Natürlich können wir mehreren Kindern nicht in der Art gerecht werden, wie wir es bei nur einem Kind konnten. Aber dennoch haben Kinder auch in dieser Konstellation mit Geschwistern besondere Momente und die Chance, andere Dinge zu lernen, als wenn sie die Geschwister nicht hätten. Das Leben mit Geschwisterkindern ist anders als als Einzelkind und beide Möglichkeiten haben ihre Vor- und Nachteile. Grämen wir uns also als Eltern nicht, wenn wir mehrere Kinder haben, dass wir sie nicht alle als Einzelkind wachsen lassen können, sondern fokussieren wir uns auf das, was sie an positiven Erfahrungen aus diesem Alltag gewinnen. – Und gönnen wir ihnen ab und zu ganz besondere Aufmerksamkeitszeiten.

Muss es eine besondere Aktivität sein?

Wir denken oft, dass wir unseren Kindern etwas besonders schön machen, wenn wir uns etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Ein besonderes Ausflugsziel, ein teurer Kinonachmittag, ein Ausflug mit einer besonderen Attraktion. Fragen wir das Kind aber nach einem Wunsch, bekommen viele Eltern die Antwort, dass das Kind gar keiner besonderen Tätigkeit nachgehen möchte, sondern einfach Zeit zu zweit sucht zu Hause. Denn die Frage nach Alleine-Zeit ist meistens nicht die Frage nach einer besonderen Attraktion, sondern nach Beziehung. Sie kann nicht mit Geld bezahlt werden, sondern nur mit Aufmerksamkeit. Sie sagt aus: „Ich möchte Zeit mit Dir alleine haben, in der Du nur mich siehst und Dich nur mit mir beschäftigst.“ Gehen wir ins Kino, steht der Film im Fokus und wir beschäftigen uns wenig miteinander. Gehen wir auf den Spielplatz, sind dort vielleicht andere Kinder und das gemeinsame Eltern-Kind-Spiel tritt in den Hintergrund. Alleine-Zeit meint deswegen mit Vorschulkindern meistens: Verbringe einfach ganz normal zu Hause Zeit mit mir und spiel mit mir, was ich gerne mag.

Spiel in Beziehung

Bleiben wir also zu Hause und gehen wir in Beziehung mit unserem Kind. Jetzt haben wir die Chance, uns mitteilen zu lassen, was das Kind gerade bewegt: Wo die Entwicklungsschwerpunkte gerade sind, was es bedrückt und erfreut, welche Themen es gerade besonders gerne mag. Lassen wir also das Kind bestimmen, was in der Alleine-Zeit stattfindet und halten wir unsere eigenen Spielwünsche für diesen Moment zurück. Jetzt, heute darf das Kind allein bestimmen und wir wertschätzen die Wahl des Kindes und drücken bereits damit aus, dass es gesehen wird, dass seine Wünsche wichtig sind und berücksichtigt werden.

Qualität vor Quantität im Alltag

Es ist im Familienalltag nicht immer einfach, Alleine-Zeit einzuplanen. Gerade dann nicht, wenn es mehr als zwei Kinder sind. Ist der Altersabstand groß, bietet sich der Abend oft für eine kurze tägliche Alleine-Zeit an: Das größere Kind kann sich mit dem anderen Elternteil (sofern vorhanden) Alleine-Zeit genießen und das kleine Kind mit dem anderen. Gut ist es, auch hier zu variieren. Gibt es nur einen Elternteil, kann das größere Kind vielleicht einer Beschäftigung allein nachgehen, während das kleinere Kind spielen kann, ins Bett gebracht wird und danach das größere Kind noch einmal Alleine-Zeit bekommt. Diese abendliche Zeit muss nicht besonders lang sein. Dafür lassen wir auch hier das Kind bestimmen. Routinen wie Zähneputzen und Schlafanzug-Anziehen, die ja oft Elternregeln unterliegen, zählen allerdings nicht in die Zeit.

Manchmal ist es auch möglich, eine solche Zeit am Nachmittag einzuplanen, wenn ein Geschwisterkind gerade in eine Tätigkeit versunken ist und wir uns dem anderen intensiv widmen können. Wichtig dabei ist: Wirklich abzuschalten und den Fokus darauf zu legen, dass jetzt wirklich der Wunsch des Kindes im Mittelpunkt steht. Auch andere Störfaktoren sollten während der Alleine-Zeit beiseite gelassen werden: Smartphone, Telefon und anderes sind jetzt zur Seite zu legen.

Jedes Kind will gesehen werden, muss in seiner Individualität betrachtet werden und braucht ab und zu die Chance, die Akkus an Zuwendung wieder ganz aufzufüllen. Mit einer festen Planung von solchen Zeiten, können wir dem Bedürfnis des Kindes nachkommen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de