Irgendwen stört es immer

„Na, bist Du heute nicht im Kindergarten?“ fragt die Frau an der Käsetheke meinen Sohn. Er schüttelt den Kopf. „Na dann bist Du bestimmt ein bisschen krank?“ fragt sie ihn. Er starrt sie an, antwortet aber nicht. „Er geht nicht in den Kindergarten.“ antworte ich an seiner Stelle. „Er geht nicht in den Kindergarten? In dem Alter? Fehlen ihm da nicht die Sozialkontakte so allein? Zu Hause bekommt er doch nicht so viel Anregung wie im Kindergarten!“ Bestimmt denkt sie, er könne deswegen nicht antworten. „Ach, ich glaube, das ist kein Problem.“ antworte ich und gehe weiter. Irgendwer hat immer etwas auszusetzen am Weg des anderen, denke ich mir. Immer.

Vor einigen Tagen schrieb ich darüber, dass es egal sei, was die anderen sagen, denn es kommt auf das Gefühl der Familie an und darauf, den persönlichen Weg zu gehen mit dem sich alle wohlfühlen. Die letzten Tage haben mich in meinen Gedanken noch ein wenig weiter gebracht, denn sie haben mir gezeigt, dass es wirklich immer jemanden gibt, der irgendwas am Weg eines anderen auszusetzen hat. Egal in welche Richtung wir uns bewegen, gibt es Menschen, die unsere Ansichten, unsere Haltung nicht teilen.

Als ich meinen Sohn vor einigen Monaten kurz vor seinem dritten Geburtstag im Kindergarten eingewöhnte gab es einige Stimmen, die das überhaupt nicht guthießen: Kinder würden zu den Eltern nach Hause gehören, Kindertagesbetreuung wirke sich furchtbar auf die kindliche Entwicklung aus. Nun haben wir ihn aus strukturellen Gründen wieder aus dem Kindergarten heraus genommen und er ist wieder zu Hause bei mir. Die einen Stimmen sind versiegt, dafür kommen andere Stimmen wie die der Verkäuferin: Sozialkontakte würden fehlen, Anregung für die kognitive Entwicklung, gleichwertige Spielpartner. Als ich meine Tochter noch viel früher zur Tagesmutter gab, gab es wieder die Stimmen, die dies ablehnten: viel zu jung, die Bindung würde leiden, wir Eltern wären selbstsüchtig. Zwei Kinder, zwei verschiedene Wege und dennoch beide letztlich stimmig und richtig – für uns.

So wie es hier ist, zieht es sich durch die Elternschaft hindurch und mir sind so viele Situationen eingefallen, in denen es sich ähnlich zugetragen hat. Als die Tochter in den ersten eineinhalb Lebensjahren keine Süßigkeiten bekam, wurde das kritisch beäugt: Das sei doch auch nicht gesund, solche Kinder würden später über alle Maßen Süßigkeiten essen bei jeder Gelegenheit. Als der Sohn dann vergleichsweise früh von der Tochter heimlich einen Schokotaler in den Mund geschoben bekam und ihm fortan nicht vorenthalten werden konnte, was sie bekam, hieß es: So früh Süßigkeiten zu erlauben, das sei nicht in Ordnung.

Als meine Tochter als Baby noch oft in der Nacht gestillt wurde, sagte man mir, das sei nicht gut für sie: Schlafprobleme, Unselbständigkeit, fehlende Selbstregulation. Sie lernte irgendwann alleine schlafen. Als sie dazu bereit war. Als der Sohn schon im ersten halben Jahr 6 Stunden am Stück durchschlief, meldeten sich andere: das sei nicht gesund, das Kind müsse nachts geweckt werden!

Und dann all die Fragen rund um die Arbeitstätigkeit: Arbeiten zu gehen mit kleinen Kindern sei nicht richtig, Workshops und Vorträge an den Wochenenden würden doch das Familienleben stören – und abends solle ich lieber schlafen als Bücher zu schreiben. Auf der anderen Seite die Eltern, die klassischen Jobs nachgehen: Ohne Vollzeit- oder geregelte Teilzeitbeschäftigung bekommen die Kinder ein ganz falsches Rollenbild vermittelt und würden mich zu viel als Hausfrau wahrnehmen.

An der Stelle, an der kritische Kommentare von einigen aufhören, fangen andere an. Welche Entscheidung wir auch treffen, andere beäugen sie manchmal mit gerunzelter Stirn. Machen wir es der einen Seite Recht, ist es der anderen vielleicht unlieb. Deswegen macht es keinen Sinn, in Seiten zu denken. Das Leben ist kein Dogma, schon gar nicht das mit Kindern. Den einen richtigen Weg können nur wir für uns selber finden und dadurch auch das Vertrauen, dass er für uns genau richtig ist. Dieses Vertrauen in uns und unsere Entscheidungen ist es, das uns gut durch den Alltag bringt, das uns unsere Meinung beherzt und selbstbewusst sagen lässt. Wir können es niemals allen recht machen – aber uns und unserer Familie. Nur da muss es passen.

Susanne_clear Kopie

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18 Kommentare

  1. Von Leuten außerhalb der Familie kenne ich das nicht wirklich – aber vielleicht vergesse ich solche Kommentare auch einfach, weil mir diese Leute auch egal sein können. Viel schlimmer ist es für mich in der Familie – die eine Oma quasi „hardcore“-Öko, die andere gutbürgerlich bis in die Knochen – was der einen gefällt, ist für die andere eine Todsünde. Bin im Moment noch dabei mich auf dein Level von Gelassenheit zu denken, es ist wirklich nicht leicht, wenn einem die Leute so nahe stehen – und damit ja auch irgendwie zur Familie gehören.

  2. Danke! Genau diesen Artikel habe ich gerade gebraucht. Ich bin leider genauso groß geworden, dass ich nur wertvoll war, wenn ich es allen Seiten recht machen konnte. Das hat mich innerlich zerrissen und so fiel es mir manchmal schwer, überhaupt zu wissen, was ich selbst eigentlich möchte und mir klar zu machen, dass es nur das ist, was zählt. Denn es ist ja schließlich mein Leben. Andere Stimmen sind mir leider noch immer nicht ganz egal und ich arbeite hart daran, sie zu ignorieren oder an schlechten Tagen grüble ich darüber nach, wie ich es auch den Kritikern noch Recht machen könnte. Da habe ich einfach das unbedingte Bedürfnis, verstanden zu werden.
    Ich glaube, ich sollte mir ein Mantra zulegen, und mir immer wieder vorbeten – „Es ist egal, was die anderen sagen.“ – zumindest, wenn es sich nicht um für mich wichtige Personen handelt. 😉

  3. Word, Susanne ! Genauso ist es. Ja, ich kenne es auch, ich kenne es so gut. Als ich bei Kind 1 arbeitete und sie als eins der wenigen in der Krippe war, war ich die Rabenmutter, später mit Kindern zu Hause arbeitend und die Kinder nicht in Einrichtungen die Glucke und weiß nicht was. Habe ich mich bei Kind 1 da anfangs teilweise noch wirklich verunsichern lassen, gerade mit der Frage nach dem Kindergarten, hat sie mir irgendwann das Thema abgenommen und solchen Fragenden geantwortet, mit einem strahlenden Lächeln: „Nein, ich gehe nicht in den Kindergarten!“, da waren eigentlich alle Fragen versiegt. Auch das mit den Süßigkeiten und dem Arbeiten kenne ich original so. Und jetzt mit 3 Kindern, drei ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten, lassen uns die meisten so langsam einfach unser Ding machen – und wir stehen auch einfach dazu, es so zu tun, wie es für uns als Familie passt.

  4. Sarah - Schwesternliebeundwir

    Ich kann mich nur ein ein paar Kommentare im Babyalter erinnern, da war ich aber auch sehr empfänglich dafür, da ich mich sehr unsicher gefühlt habe. Später kam eigentlich nur Bewunderung, wie ich das denn alles schaffen würde mit Kindern, Studium, teilweise ohne Fremdbetreuung und komplett ohne Unterstützung der Familie.

    Ich wurde so erzogen immer das zu machen, was ich möchte und die Meinungen anderer zu ignorieren, deswegen scheine ich solche kritischen Kommentare entweder zu überhören oder sie kommen vielleicht auch gar nicht von Menschen die mich kennen. Müsst ich mal drauf achten… Ich glaube, ich nehme Kritik an meiner Lebensweise einfach nicht als Kritik wahr. Als meine Kinder Babys waren, habe ich sie aber dafür umso stärker wahrgenommen, weil ich einfach noch unsicher war und meinen Weg noch gar nicht kannte.

  5. Puffelmama Familienwege

    Liebe Susanne,
    Ich habe mich schon oft gefragt, warum es grade zum Thema Kinder und Familie so viele Menschen gibt, die einem gerne und auch gerne ungefragt ihre Meinung zu dem Thema mitteilen möchten. Und dies häufig indem sie zuerst das Kind ansprechen.
    Ich glaube das hat damit zu tun, dass die meisten Menschen entweder selbst Kinder haben und so indirekt ihr eigenes Verhalten im Umgang mit diesen bestätigt sehen wollen oder aber zumindest eine Meinung darüber haben, wie sie ihr eigenes Kind erziehen würden. Diese Vorstellungen resultieren sicher aus den eigenen Kindheitserfahrungen, die vielleicht in dem Moment unbewusst erinnert werden und zu einem entsprechenden Kommentar motivieren.
    Sicher lassen sich hier noch weitere Begründungen finden, aber mit dem Gedanken fällt es mir leichter entsprechende Kommentare gelassen an- oder hinzunehmen.
    Am Ende hast du völlig Recht. Der Weg muss zu uns und unserer Familie und der derzeitigen Situation passen. Denn nur wir müssen ihn gehen!

  6. Es ist ja nicht nur mit Entscheidungen bezüglich der Kinder so, sondern auch mit solchen, die das eigene Berufs-, Beziehungs- oder Freizeitleben betreffen. Irgendwer meint immer, es gäbe einen besseren Weg. Ich komme dann immer ganz schnell mit dem Argument, ich habe noch keine einzige Entscheidung in meinem Leben bereut (was tatsächlich so ist) und werde es deswegen auch diesmal wieder so machen, dass es für MICH / UNS richtig ist! Dann ist meistens schnell Ruhe.

  7. Anja Beckenbach

    Ich weiß was Du meinst. Schließlich habe ich 2 Kinder, die sehr früh (also noch VOR dem ersten vollendeten Lebensjahr) betreut wurden. Aber ob ich das wirklich kenne?! So offensiv darauf angesprochen zu werden, von „fremden“ Menschen sehr subtil auf mein Rabenmutter-Dasein mit der Nase gestupst zu werden?
    Nein, das kenne ich nicht.
    Ich denke aber es ist auch eine Frage der eigenen Ausstrahlung (ich finde es anmaßend, wenn meine/unsere Entscheidungen in der vorgetragenen Art und Weise hinterfragt werden) und auch eine Frage des „Dahinterstehens“. Ich weiß, dass es für unsere Familienkonstellation SO genau richtig war. Alles andere wäre ein „Hineinquetschen“ in Erwartungen gewesen. Erwartungen wie: Bloß kein Kaiserschnitt, auf jeden Fall stillen, auf keinen Fall Kind ins eigene Zimmerchen, auf jeden Fall Familienbett usw..
    Man muss sich einfach selbst erst mal frei machen von „immer alles besser wissen zu wollen“. Ich denke auch, dass es für meine Kinder zuträglich war, früh betreut worden zu sein. Aber MEIN Kind ist nicht DEIN Kind, Kinder sind verschieden, mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Verhaltensweisen etc..
    Einzig wenn das Kind offensichtlich leidet unter den Gegebenheiten, würde ich versuchen, das Gespräch zu suchen. Bei einer Freundin z.B.. Oder meiner Schwester. Aber anmaßenderweise die gewählte Familienkonstellation einer mir völlig Fremden zu kritisieren käme zumindest für mich nicht infrage.

  8. Kristin Hübner

    Oh ja, alles bekannt und verdammt….Ich habe mich so oft geärgert über irgendwelche Kommentare, auch von Freundinnen, ‚das geht doch nicht, das müsst ihr so machen‘ blablabla. Jedesmal macht man sich Gedanken und grübelt…dabei, ist es nicht der richtige Weg, wenn er sich richtig anfühlt?! Liebt euch einfach!

  9. Antje Müller Meyer Lehmann

    Des Rätsels Lösung ist das Problem! Jeder, egal welchen Alters, Staatszugehörigkeit oder Religion denkt das er seine Kinder ganau „richtig“ erzieht. Ob nun aus Notwendigkeit oder selbstgewählt, es wird mindestens gg. ein schlechtes Gewissen verteidigt. Sonst müsste die Käseverkäuferin ja reflektieren, ob es mit ihrem Kind(ern) alles „richtig“ gewesen ware, wenn sie diese Option akzeptiert.
    Die Welt braucht einfach weniger Kommentare
    *räusper*;p

  10. Rebekka Bücher

    Ja, so ist das leider 🙂 Wir gehören auch zu den „Außerirdischen“, deren Tochter auch erst mit 3 in den Kiga gehen wird (wenn sie dann möchte ) und auch mit 2 1/2 noch gestillt wird und kein eigenes Bett hat..allerdings haben wir großes Glück und bekommen von Umfeld nur positives Feedback. .ich finde es toll, dass Euer Sohn wieder zu Hause bleiben kann, es würde mich aber interessieren, ob der Kindergarten nicht gepasst hat, oder ob er einfach noch nicht soweit ist..mein Mann durfte übrigens auch das komplette Jahr vor der Schule zu Hause bleiben, weil er keine Lust hatte und es hat ihm nicht im geringsten geschadet 🙂

  11. Martin Pierags

    Ja, schöne Worte. Wenn es einen Glauben gibt, dann nur den an sich selbst, alles andere ist Aberglaube.

  12. Meine Kinder sind alle drei aus guten persönlichen Gründen nicht im Kindergarten und ich kenne die Wurstthekenblicke und Worte gut. Aber für uns als Gamilie passt das so wie es ist sehr gut.

  13. Meeresrauschen

    Es ist echt nervig und manchmal möchte man sich einfach die Ohren zuhalten. Ihr kennt eure Kinder und euer Familienleben am besten und wisst deswegen auch das beste für euch.
    Alles Liebe,
    Kathrin

  14. Oh ja das hatte ich gerade erst. Als ich letzte Woche mit anderen Müttern vor der Tür der Kirche wartete, in der unsere Spielgruppe sich trift, unterhielten wir uns über die Laternenumzuege in der Umgebung.
    Ich erzählte das wir bei einem im Nachbardorf waren, darauf sprang gleich eine Mutter die neu dabei ist gleich an. ,“Da wart ihr, der ist doch soooooo spät ?????????“
    „Mh, um 18:30 ging es los, wieso ist das spät?“
    „Da liegt meine Tochter schon im Bett“!
    „Unsere darf selber entscheiden wann sie ins Bett geht, meist zwischen 20 und 21 Uhr“.

    Ohhh Gott wurde ich abschätzig beäugt, wahrscheinlich hat sie über legt ob sie das Jugendamt informieren soll. Vielleicht hätte ich noch erzählen sollen das wir keine Kinderzimmer haben und alle auf 2,80m schlafen.

  15. Huhu,
    ich habe schon den vorherigen Artikel von dir gelesen, den ich auch sehr passend fand! 🙂 Ich kenne das ebenso wie du. Ich tu mich nur noch schwer damit, wie ich damit umgehen soll. Wie reagierst du auf solche Äußerungen (bspw. das mit dem Kindergarten…Sozialkontakte usw.)? Belächelst du es oder gehst du darauf ein? Ich wünschte mir da mehr Gelassenheit bei mir selbst. 🙂 Ganz liebe Grüße

  16. Nein, es nervt nicht! DENN es interessiert uns (meinen Partner und mich) nicht, was andere von uns denken bzw. halten. Wir erziehen unser Kind nach UNSEREM besten Wissen und Gewissen! Was andere tun, sagen oder behaupten, könnnen sie tun – aber es verleitet uns nicht, darüber nachzudenken und es ggf. zu revidieren!
    Wir sollten selbstbewusster sein und vielleicht sind die „ANDEREN“ dann auch so tolerant wie wir 😉

  17. Miranda Netzer

    Vielen Dank für den wunderbaren Artikel. Kenne ich gut und es tut wirklich gut zu lesen, dass das normal ist und ich fühle mich dadurch bestärkt. Danke!

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