Abwarten, Tee trinken – kindliche Wut und Enttäuschung

Drei Jahre ist mein Sohn nun alt. Er singt, hüpft, spielt ausgiebig und hört gerne seinen Lieblingsgeschichten zu. Und er schreit. Er tobt manchmal. Er schimpft und beschimpft. Und dies gerade in der letzten Zeit. Gestern war auf einmal sein Regenschirm kaputt: Eine der Aufspannspeichen des Schirms war defekt, hing herunter. Warum das so war, konnte keiner von uns nachvollziehen. Es hatte auch keine Bedeutung WARUM das nun so war. Es WAR eben so. Er weinte, verweigerte das Weiterlaufen und schrie „blöde Mama“ in den Regen hinein, in dem wir standen. Er war ganz eingenommen von seinem Gefühl und keine noch so rationale Erklärung konnte zu ihm durchdringen.

Da steht er dann, dieser kleine Mensch, den ich doch erst vor so kurzer Zeit geboren hatte. Er bebt, stampft mit den Füßen auf. Sein ganzer kleiner Körper drückt eines aus: Protest. Protest gegen den Unsinn der Welt. Denn er hatte es sich doch ganz anders gedacht. Warum nur läuft es nun nicht so wie er es sich doch gedacht hatte? Ich sehe, wie angestrengt er in seiner Wut und seinem Unverständnis ist, wie der kleine Körper schwitzt und das Gesicht rot wird. Wie herausfordernd muss dies sein, dieses völlige Aufgehen in diesem Gefühl? Wann erging es eigentlich mir zuletzt so, dass ich ganz in einem Gefühl aufging? Wann habe ich zuletzt eine körperlich so herausfordernde Zeit gehabt?

1ZOPCVPpx30lnjTb.jpg

Er steht da und schreit und tobt. „Ich will keinen kaputten Regenschirm haben. Du bist eine Scheißmama!“ Der Regen tropft auf uns hinab. Seine Schwester steht mit funktionierendem Schirm neben ihm. Ich versuche zu erklären, dass ich verstehe, dass er keinen kaputten Schirm haben möchte, dass das wirklich doof sei und wir zu Hause probieren können, ihn zu reparieren. Doch die Worte kommen nicht an in seinen Gedanken. Zu sehr ist er damit beschäftigt mit seinen eigenen Gefühlen klarzukommen. Sein Gehirn geht seinen eigenen Weg, fernab von meinen Gedankenwegen. Er ist noch so klein. Es gibt kein später, kein reparieren für diesen Schirm für ihn. Es gibt nur das Jetzt und da ist gerade der Schirm kaputt. Ich erkläre, dass anscheinend niemand von uns daran Schuld sei, doch auch das versteht er nicht. Es hilft auch nicht, ihm zu sagen, dass es wirklich traurig sei. Vielleicht hört er meine Worte nicht einmal richtig. Eine seiner Sachen ist kaputt, das passiert nicht einfach so. Irgendwie muss es geschehen sein und er würde seine eigenen Sachen nicht zerstören. Ich möchte nicht blöd genannt werden, auch nicht Scheißmama und wirklich habe ich den Schirm nicht kaputt gemacht.

Ich sehe meine Tochter an, die die Augen verdreht. Sie ist schon so groß und weiß wie ich, dass keiner den Schirm kaputt gemacht hat und niemandem die Schuld gegeben werden kann. Ihre Füße werden langsam nass, die Schuhe zeigen dunkle Ränder. Auch sie war einmal so klein und ist nun so groß und verständnisvoll. Sie findet es nicht toll, was ihr kleiner Bruder da gerade macht und sie ist sichtlich genervt, doch sie nimmt es hin. Das große Kind, das auch einmal in dieser Phase war. Es geht vorüber, schießt es mir durch den Kopf.

Doch nun muss ich langsam eingreifen. Nein, er versteht es gerade nicht und kann sich nicht aus seinen Gedanken befreien. Aber er wird nass wie wir alle. Wir müssen jetzt weiter. Ich nehme ihn hoch auf den Arm, obwohl er nicht möchte. Sein Körper macht sich ganz steif, denn er ist ganz vom Gefühl eingenommen. Er kann dieses Gefühl weiter verarbeiten, denke ich mir, aber nicht hier im Regen. Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit zu Hause ankommen – durchnässt – ist er noch immer ganz aufgebracht. Kein Wort dringt durch, keine Berührung.

Ich setze heißes Wasser auf für einen Tee, setze mich an den Küchentisch. Das Kind schreit noch immer, beschimpft mich und den Schirm. Ich gieße langsam das heiße Wasser über den Tee. Es ist eine Phase. Er kann gerade nicht aus seiner Haut und muss es auch nicht. Er muss seine Wut hinaus schreien, sein Unverständnis von der Welt. Vielleicht würde ich das auch gerne mal tun, vielleicht wäre es erleichternd? Während meine Tochter und ich die warmen Teetassen in unseren Händen halten, wird das Geschrei ruhiger, der kleine Körper entspannt sich nach und nach. „Und wo ist mein Tee???“ fragt mein Sohn anklagend. Ich gieße ihm in seine kleine Tasse einen warmen Tee ein. Nun ist Zeit zum Reden.

Abwarten, Tee trinken. In manchen Momenten ist dies alles, was hilft.

Eure
Susanne_clear Kopie

 

10 Kommentare

  1. Sophie (kinderhaben.de)

    Danke dafür. Es tut gut, zu lesen, dass es anderen genauso geht. Ich habe noch kein großes Kind und frage mich manchmal, ob diese Phase jemals vorbei geht. Aber das wird sie wohl. Und auch ich trinke gerne Tee. Wird also schon.

  2. Ich danke dir sehr für den Artikel. Denn ich hatte gestern eine ganz ähnliche Situation mit dem Lieblingskind in einem Kindercafé. Es hatte einen Wutausbruch, der mit Sicherheit allen kurz den Atem nahm und mir weh tat, da er mich dabei auch noch ordentlich gekniffen hatte und es auch immer wieder versuchte. Ich versuchte alles, um ihn zu beruhuigen, zu verstehen und zum anziehen und losgehen zu bewegen. Als alles nichts half, trug ich ihn aus der Situation heraus, um ihn draußen anzuziehen. Dort beruhigte er sich dann und wir konnten endlich ein bisschen reden. Erst später bemerkte ich, dass es nicht nur der fehlende Mittagschlaf, sondern auch Hunger war, der ihn in einen solchen Ausnahmenzustand versetzt haben musste. Denn er hatte am Nachmittag nur ein Eis gegessen. Und ich weiß wie es mir geht, wenn ich hungrig und müde bin. Ich war froh, dass ich mich von seiner Wut nicht habe anstecken lassen und auf ihn eingehen konnte. Aber es war eine Herausforderung. Ich hatte auch schon überlegt, darüber auf meinem Blog (www.mitvielgefuehl.wordpress.com) zu schreiben, weil es wieder so eine Situation war, in der ich mir Gedanken machte, was wohl die anderen denken. So etwas verunsichert mich leider immer noch. Interessant ist, dass nur 10 Minuten später andere Leute, denen wir begegneten, mein Kind wieder ganz entzückend fanden. Ich wünschte, Menschen würden darüber nachdenken, dass das Kind vielleicht nicht immer so ist und dass ich mich nicht tyrannisieren lasse, sondern sie gerade eine einzige Situation beobachten. Und ich wünschte, ich könnte mich davon frei machen, mir so viele Gedanken darüber zu machen, was wohl die anderen denken oder sagen. Bis dahin, trinke ich wohl auch erst mal weiter Tee.

  3. Tamara Kapunkt

    ein toller text. und es tut so gut zu lesen, wie du damit umgehst! das krümelbaby lernt mit ihren 14 monaten diese wut erst kennen, da reichte gestern schon, dass ihre trinkflasche leer ist. und ich fühle mich so hilflos und ein bisschen unfähig, wenn ich ihr da nicht raushelfen kann. ich kann wohl nur DA sein, denn für viele worte ist sie noch zu jung.
    danke ?
    mara/erdbeerlila

  4. Sehr schöner Text. Es hat mich berührt, wie du mit solchen Momenten umgehst. Mein Kind ist jetzt 25 Monate und völlig in diesem Prozess der Gefühle drin. Es ist manchmal so schwer. Trotzdem versuche ich immer Respekt und Verständnis zu zeigen. Danke für den Text und auch dafür, dass du dich ganz ehrlich gezeigt hast. Ich fühle mich nicht alleine hehe Liebe Grüße Susana

  5. Ich sag es ihnen, wenn sie wieder leise werden: “Ich verstehe deine Wut, ich mag auch keine kaputten Schirme. Ich bin enttäuscht, wenn er kaputt geht.“ .- gebe Worte und benenne Emotionen.
    Dann kommt meist der schmusige Teil.
    Und dann geht’s zum praktischen Part: Warum ist das kaputtgegangen, wie kann man es wieder regeln.

    Und ich sitze/stehe/… während der Wut bei ihnen (wenn ich darf und wenn ich mich nicht selbst erstmal beruhigen muss), sage ihnen: “Ich bin bei dir, ich sehe dich, wann immer du magst bin ich für dich da.“ Ich glaube, Liebe kommt unbewusst immer im Herzen an.

  6. Meeresrauschen

    Ach ja, nach diesem Post bin ich gleich ganz aufgewühlt. Mir fällt es oft schwer daneben ruhig zu bleiben. Nach Hause tragen und Tee kochen, ohne irgendwann doch aus der Haut zu fahren. Auch wenn ich weiß, dass das rein gar nichts bringt, kann ich mich manchmal doch nicht beherrschen und werde laut (und ÄRGER mich über mich). Ich bin wohl eher ein bisschen impulsiv, auf jeden Fall sehr empathisch.
    Viele Grüße,
    Kathrin

  7. Antje Müller Meyer Lehmann

    Oje, fühlt man sich nicht meistens gezwungen die räumliche Situation zu verändern? Auch zuhause – wenn ich geschlagen werde.. Das Problem dabei ist das sie sich selbst überhaupt nicht beruhigen kann, sondern dann hyperventiliert (grad schlimmer Trotzschub) wenn sie nicht an mir kleben darf, um mir weh zu tun..

  8. Hier das gleiche mit dreijährigem „Großkind“. Und auch mir fällt es manchmal sehr schwer, gelassen zu bleiben. Aber das liegt auch gleichzeitig am kleinen Zweitkind, welches gerade frisch geschlüpft ist und dem damit verbundenen Schlafmangel etc.
    Worüber ich allerdings sehr froh bin, ist die Tatsache, dass mich die Meinung von fremden Leuten in solchen Momenten nicht interessiert. Das war nicht immer so. Aber mit der richtigen Einstellung dem Kind gegenüber fällt es definitiv leichter, entspannter zu bleiben. Kinder erleben diese Gefühle das erste mal in ihrem Leben, Erwachsene interpretieren aber gleich ihre eigenen Werte und Erfahrungen da mit hinein. Das funktioniert aber nicht! Wenn meine Schwiegereltern das auch so sehen würden, anstatt beleidigt zu sein, wenn ein dreijähriges Kind nicht ununterbrochen „gehorchen“ oder kuscheln will…dabei sind die kleinen doch so oft kooperativ! Das wird viel zu oft übersehen. Was sie schon alles können und teilweise leisten müssen, da sollten wir ihnen auch ihre „Momente“ zugestehen. Wenn WIR deshalb ausflippen, finden das ja auch alle „menschlich“.
    Also: mehr Gelassenheit für uns alle und schön, dass es bei allen so ist und es inzwischen doch schon einige mit der „zugewandten“ Einstellung den Kindern gegenüber gibt.
    Und danke für den tollen Artikel! ! !

  9. Mit Kinderaugen

    Unser Sohn wird im Januar vier und bei uns ist diese Phase seit einigen Wochen sehr schlimm. Jeden Tag ist irgendetwas blöde oder scheisse. Schuhe scheisse, Kindergarten scheisse, Mama scheisse, Tag scheisse und so weiter. Auch ich sage mir dann, dass es nur eine Phase ist, aber manchmal muss ich mich echt beherrschen, dass ich nicht doch schimpfe und sage „jetzt ist aber mal Schluss“. Ich erkläre ihm dann auch, dass Mama auch mal scheisse sagt, wenn sie sich über etwas ärgert, aber das man das eben nicht immer tun muss. Er scheint das auch zu verstehen, aber wie du geschrieben hast, wenn sie in dieser Wut-Spirale drin sind dringt nichts zu ihnen durch. Lg, Dajana

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert