Wie Kinder mit Attachment Parenting zu unabhängigen Teenagern werden

Auch wenn es sich anfangs unendlich anfühlt: Die Zeit, in der unsere Kinder auf uns angewiesen sind, geht nur allzu schnell vorbei. Wir begleiten Kinder gerade mal zwei Jahrzehnte lang auf ihrem Weg zum Erwachsensein. Während dieser Zeit verändern sich ihre Bedürfnisse grundlegend, wenn auch von Jahr zu Jahr kaum merklich in kleinen (und manchmal größeren) Schritten.

Meine Kinder sind mit Attachment Parenting aufgewachsen. Oft wurde mir gesagt, ich würde sie verwöhnen und zu stark an mich binden, sie gar abhängig machen. Ich fand das komisch, denn betrachtet man die normale Entwicklung von Unabhängigkeit in der Kindheit, so kann man AP doch eher als absolut förderlich dafür ansehen.

Attachment Parenting basiert auf 8 Idealen oder Prinzipien. Diese Prinzipien sollen die Entscheidungen der Eltern während der Anfangszeit zu erleichtern. Aber grundlegend für Attachment Parenting ist Einfühlungsvermögen der Eltern für die Bedürfnisse des Kindes. Mit diesem Einfühlungsvermögen erfüllen Eltern die Bedürfnisse des Kindes in liebevoller und respektvoller Weise.

Die Erfüllung von Bedürfnissen ist wichtig

Das Ergebnis davon, die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen, ist in jeder Familie unterschiedlich, aber doch immer positiv. Ein Kind, dessen Bedürfnisse jederzeit erfüllt werden, lernt, dass seine Stimme gehört wird, dass seine Kommunikation wertgeschätzt wird, dass seine Bedürfnisse wichtig sind, dass es sich darauf verlassen kann, dass die Welt ein sicherer Ort ist, dass es seinen Eltern vertrauen kann, ihm Trost und Hilfe zu sein und dass es kompetent ist.

Denk mal kurz an eine Gelegenheit, als jemand versucht hat, dich oder das, was du tust, zu ändern. Wie hast du dich gefühlt? Jetzt denk daran, wie du der Person gegenüber gefühlt hast? Hast du das Gefühl gehabt, die Person hatte deine Interessen im Sinn? Wenn das so ist, hattest du vermutlich positive Gefühle für diese Person, egal ob du den Rat angenommen hast oder nicht. Wenn du aber das Gefühl hattest, die Person versteht dich nicht, nimmt dich nicht wichtig oder versucht nur, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, dann hast du vermutlich schlechte Gefühle gehabt bei dieser Erfahrung und den Rat vermutlich abgelehnt. Wir können nur dann wirklich etwas ändern, wenn wir aus einer Position voller Liebe und Vertrauen heraus handeln. Das ist nur menschlich.

Warum machen sich so viele Menschen Gedanken darüber, dass AP zu abhängigen Kindern führt?

Wer die Prinzipien des AP nicht versteht, verwechselt oftmals die Erfüllung von Bedürfnissen mit der Unterdrückung von Unabhängigkeit. Ein Menschenleben beginnt ohne die Fähigkeit, sich selbst in irgendeiner Weise zu helfen. Ein Baby ist komplett abhängig von seinen Betreuern. Ein Teil davon, seine Bedürfnisse zu erfüllen, ist zu verstehen, was seine Bedürfnisse sind. Das Baby ist noch nicht in einer Entwicklungsphase, in der es Unabhängigkeit versteht oder sie sich wünscht. AP-Eltern erkennen dieses Bedürfnis und erfüllen es.

Erfüllt man in dieser einfühlsamen Aufmerksamkeit die Bedürfnisse des Kindes, so entwickelt das Kind eine sichere Basis für seine Reise in Richtung Unabhängigkeit.

Wie unterstützt AP Unabhängigkeit?

Der Wunsch nach Unabhängigkeit ist für Menschen so natürlich wie Atmen, Schlafen und Essen. AP-Eltern können erkennen, wann das Kind Unabhängigkeit braucht und will und ihm so nicht nur erlauben, auf eigenen Beinen zu stehen, sondern es auch dazu ermutigen.

Unabhängigkeit entwickelt sich schrittweise während der etwa zwei Jahrzehnte, die wir unser Kind ins Erwachsenenleben begleiten dürfen. Wir müssen sie einem Kind nicht aufzwingen, wenn es noch nicht dazu bereit ist. Wir sollten ein Kind aber auch nicht von seiner Unabhängigkeit abhalten, wenn es bereit ist.

Aufmerksame Eltern können sehen, wenn ihr Zweijähriger sich die Milch selbst übers Müsli kippen will und können ihm das erlauben. Dies erfüllt ein Bedürfnis des Kindes. Es ist ein neues Bedürfnis, anders als diejenigen während der Babyzeit, aber dennoch ein Bedürfnis. Es erlaubt dem Kind, notwendige Fertigkeiten zu entwickeln, wenn es dazu bereit ist.

 

Sobald das Kind fähig ist, für sich selbst zu sorgen, sollte man ihm das erlauben

Verbundene Eltern können sehen, wann ihr Kind bereit ist für mehr Unabhängigkeit und können es dazu ermutigen. Dein Sohn will sich alleine anziehen? Erlaub es ihm. Es ist egal, was er anzieht. Wichtig ist, dass er fähig ist, für sich selbst zu sorgen. Wenn er zum Schlafen nachts noch nah bei seinen Eltern sein muss, ist das auch in Ordnung. Es geht darum, den Wunsch des Kindes nach Unabhängigkeit zu unterstützen. Es geht darum, Bedürfnisse zu erfüllen. Sein Bedürfnis nach Unabhängigkeit ist genauso legitim wie sein Bedürfnis nach Sicherheit. Beide werden mit Sensibilität, Vorhersagbarkeit und Liebe erfüllt.

Was das Kind auf diese Art lernt, wenn es größer wird, ist, dass es kompetent und sicher ist. Es lernt, dass Unabhängigkeit eine positive Erfahrung ist, während es neue Fertigkeiten entdeckt. Es lernt, dass alle seine Bedürfnisse erfüllt werden, unabhängig davon, welche es sind oder wie jemand anders darüber denkt.

Im Verlauf der Kindheit wird das Bedürfnis nach Unabhängigkeit größer, während das Bedürfnis nach körperlicher Nähe zu den Eltern weniger wird. Aber das Vertrauen, das das Kind in seine Eltern hat, verbindet die beiden.

Wie sieht AP für Teenager aus?

Oft wird behauptet, man müsse sich während ihrer Teenagerzeit von Kindern lösen. Ich glaube, dass das ein Missverständnis ist, was die Bindung betrifft. Bindung ist die Beziehung, die Sensibilität, der bedingungslose Wille, die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen. AP-Eltern können erkennen, dass die Bedürfnisse des Kindes sich in den Teenagerjahren verändern und sich auch weiter auf dem Weg zum Erwachsensein ändern werden.

Ein AP-Teenager hat von Anfang an die Erfahrung gemacht, dass er gehört wird. Er weiß, dass seine Ideen, Gedanken, Meinungen und Erfahrungen von den Eltern wertgeschätzt werden. Er weiß, dass er kompetent ist. Er weiß, dass er Unabhängigkeit suchen kann und dabei unterstützt wird. Er weiß, dass er von seinen Eltern emotionale Unterstützung erwarten kann, wenn er sie braucht und dass sie für ihn da sind. Er weiß, dass sie ihn gut kennen, von Anfang an, und dass ihr oberstes Ziel ist, ihn zu unterstützen. Er weiß das alles, weil er es seit seiner Geburt genau so erfahren hat.

Denken wir mal kurz an diesen Teenager. So ein Teenager ist der Wunsch aller Eltern. Dieser Teenager weiß, wenn er ein Problem hat, kann er auf seine Eltern vertrauen. Er wird mit ihnen darüber reden. Er rebelliert nicht, denn es gibt nichts, wogegen er rebellieren müsste. Seine Eltern sind seine Alliierten im Leben. Das waren sie immer. Nichts Magisches passiert allein aufgrund seines Alters. Sie beobachten ihn immer noch, hören ihm zu, sehen voraus, was er von ihnen braucht und antworten mit Einfühlungsvermögen. Er nimmt ihren Rat öfter an als dass er ihn ablehnt. Er weiß, dass sie sein Bestes wollen. Sie missachten ihn nicht, schieben ihn nicht beiseite oder drangsalieren ihn. Das haben sie nie. Klar wird er auch Fehler machen. Jeder macht Fehler und Teenager sind dafür noch anfälliger aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Jugend. Aber er hat Eltern, die ihn beraten und ihm helfen. Und er ist bereit, deren Liebe und Unterstützung anzunehmen.

Wir alle wollen das Gleiche für unsere Kinder. Wir wollen, dass sie glückliche, erfolgreiche, unabhängige, kompetente, nette, liebevolle, empathische, verantwortungsvolle Erwachsene sind, wenn sie unser Haus verlassen und in die Welt hinausgehen. Wir sind nicht immer sicher, wie wir das erreichen. Jeder von uns muss seinen eigenen Weg finden. Aber ich glaube fest daran: Es ist nie falsch, die Bedürfnisse deines Kindes zu erfüllen, egal was seine Bedürfnisse auch gerade sein mögen.

 

 

BiankaÜber die Autorin: Bianka Blavustyak
Schon bei der Geburt meiner ältesten Tochter habe ich gemerkt, dass der Mainstream-Umgang mit Kindern mir nicht liegt. So wurde sie getragen und gestillt, wann immer sie wollt eund schlief im Familienbett, bis sie von alleine auszog. Auch mit ihren beiden jüngeren Geschwistern ging ich von Anfang an bedürfnisorientiert um. Inzwischen sind die drei (fast) Teenager und ich sehe, dass sich der Aufwand auszahlt. Auf http://www.attachment-parenting.de berichte ich über unser Leben und Attachment Parenting.

5 Kommentare

  1. Nadine mit Bauchböhnchen

    Eine Welt ohne rebellierende Teenager scheint mir eine arme Welt. Aber es ist ja gerade in, Teenager vom Rebellieren abzuhalten und dann auf dem direkten Weg in die protrahierte Adoleszenz zu schicken. Und in jeder noch so guten Beziehung zwischen Eltern und Kindern gibt es was, wogegen Teenager rebellieren können. Um dann im Idealfall mit Eintritt ins Erwachsenenalter meist festzustellen, dass das was die Eltern verkörpern eigentlich doch ganz gut ist.

    • Ne, stimmt einfach nicht. Es ist nicht naturgegeben, dass Teenager rebellieren. Aber natürlich muss das in unserer Gesellschaft so erscheinen, es ist schließlich ein Produkt der Erziehung und es wird hier ja sooo gern erzogen.
      Vllt. müsste man an dieser Stelle definieren, was man unter Rebellion versteht, denn natürlich lösen sich die Teenies von ihren Eltern und versuchen sich abzugrenzen, das ist aber noch lange keine Rebellion.
      Ich musste nie gegen meine Eltern rebellieren.
      Es geht auch nicht darum Teenager vom rebellieren abzuhalten, sie haben es einfach nicht nötig, wenn sie ihr Leben lang respekt- und vertrauensvoll behandelt wurden. Die Teenager heutzutage müssen heftig rebellieren, weil sie endlich in ein Alter kommen, indem sie sich wehren KÖNNEN.

  2. Hach, wie wundervoll, dass es neben all den Unzulänglichen auch die perfekten AP-Eltern gibt, die immer voraus sehen und erkennen können, was ihr Kind gerade braucht und in jeder Situation voller Einfühlungsvermögen und respektvoll reagieren. Ich beneide sie um die Fähigkeit, offenbar nie eigene Bedürfnisse zu haben, die dem der Kinder gegenüberstehen, genauso wenig wie äußere Zwänge, denen sich beide (Eltern und Kinder) zu unterwerfen haben. Außerdem kommen sie vermutlich nie an körperliche oder nervliche Grenzen… wie überaus bedauernswert, dass ich nicht zu den Glücklichen gehöre, denen dieser Segen zuteil wurde. Ich hoffe sehr, AP-Kinder werden bald die Welt regieren! Ich stelle mir nur eine Frage: Wie lernen diese eigentlich, dass auch andere Menschen Bedürfnisse haben?

  3. Gabriele Patzschke

    Leider halte ich es für eine theoretische Illusion, wenn geglaubt wird, Probleme in der Pubertät mit AP umschiffen zu können… Ich selbst bin schon so aufgewachsen und meine vier Kinder auch – in der Pubertät ist die Entwicklungslage so komplex, dass es bei einer Anzahl von Kindern durchaus zu rebellischen Problemen kommen wird, unabhängig davon, wie die frühere Kindheit abgelaufen ist… Abgrenzungsbestreben, die Fähigkeit die Eltern sehr gut zu kennen, aber leider deren Fehler und Schwächen auch und die Enttäuschung darüber, führen bei manchen Teenagern immer wieder zu Grenzgängen. Sie wissen genau, wie sie ihre Eltern aus der Ruhe bringen können und tun dies mit System – das tut der gegenseitigen Liebe vom Ergebnis her am Ende zwar keinen tief liegenden Schaden an, kann jedoch für die Eltern eine riesige Herausforderung und/oder Enttäuschung sein. Macht euch kene Illusionen: während der Pubertät der Kinder brauchen viele Eltern so extrem viel Liebe und Geduld, wie in keiner anderen Lebensphase – und sie werden ständig mit ihren eigenen Grenzen konfrontiert. Das kann eine recht ungemütliche „Härtetest-Phase“ sein!

    • Es ist wichtig, mit den Jugendlichen in den Konflikt zu gehen und ihn auch durchzustehen. Es ist manchmal auch wichtig klar und deutlich zu kommunizieren, weil sonst nichts bei den Pubertierenden ankommt…sie sind neben dem unabhängig werden auch körperlich und hormonell in einer hochkomplexen Phase. Außerdem haben ab einem bestimmten Alter die Freunde eine viel größeren Stellenwert und die damit verbundenen Freuden und Schwierigkeiten kollidieren mit anderen Verpflichtungen, wie z.b. Schule, die für einen Jugendlichen aber nebensächlich sind. Wir Eltern spielen keine so große Rolle mehr und haben deshalb auch keinen so großen Einfluss. Ich komme aus einer bindungsorientierten Familie und habe einen pubertären Sohn. Ich hatte keinen Grund zu rebellieren und trotzdem waren es harte Jahre für meine Eltern. Jetzt wo ich selbst Eltern bin, weiß ich warum! Manches oder auch vieles ist den Kids egal! Und das ist auch gut so, aber schwer auszuhalten… ob das nur mit Bedürfnissorientierung zu argumentieren ist, wage ich zu bezweifeln.

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